Als klar war, dass die Hochstraße zwischen der Fischerstraße und der Berliner Allee der Umgestaltung zwischen Kö-Bogen, Schauspielhaus und Johanneskirche weichen müsste, war das Geheule in der Stadt groß. Ja, es bildete sich sogar eine Initiative namens „Lott stonn!“, die den Abriss des Tausendfüßlers unbedingt verhindern wollte. Dabei kann man die Beseitigung des Bauwerks auch als Stück Entnazifizierung betrachten. Immerhin war es – neben den berühmten Rheinbrücken – das sichtbarste Zeichen der autogerechten Stadtplanung des Friedrich Tamms. In der zweiten Phase des Düsseldorfer Architektenstreits spielte sie eine wichtige Rolle. Ursprünglich hatte der 1949 gegründete Düsseldorfer Architektenring vor allem daran Anstoß genommen, dass der Nazihelfer Tamms als Planungschef wichtige Stellen mit Personen besetzt hatte, die wie er eine Vergangenheit im Arbeitsumfeld von Albert Speer hatten.

Tamms und seine Nazi-Phantasien

Tamms gehörte nicht nur zum Speer’schen Planungsstab zum Umbau Berlins in die Irrwitz-Metropole Germania, sondern auch zum Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte, der im Dezember 1943 gegründet worden war. Dieser Stab sollte Pläne für die Zeit nach dem Endsieg erarbeiten. Die großflächige Zerstörung wurde dabei bewusst und explizit als Chance gesehen, die Städte ganz im Sinne der nationalsozialistischen Vorstellungen von Wohnen, Leben, Verkehr und Ästhetik neu zu erbauen. Im Mittelpunkt dieser kranken Phantasien stand dabei das Auto als Massenverkehrsmittel. Grundsätzlich sahen die Entwürfe des Arbeitsstabs breite – auch für militärische Zwecke ausgelegte – Nord-Süd- und Ost-West-Achsen quer durch die Städte vor, an das bestehende und zukünftige Autobahnnetz angebunden durch noch breitere Zubringerstraßen.

Tamms scheute sich nach dem Krieg nicht, exakt diese Philosophie als Philosophie des Fortschritts zu verkaufen:

„Darum gilt es, beim Wiederaufbau unserer im letzten Krieg zerstörten Städte, die (hoffentlich nicht wiederkehrende) Chance wahrzunehmen, um einer neuen Entwicklung Rechnung zu tragen, die aufzuhalten in keines Menschen Hand liegt.“
„Es wäre daher unverzeihlich, vor allem mit Rücksicht auf die kommenden Geschlechter, die wenigen Vorteile, die die Zerstörungen den Städten bieten, nicht zu einer allgemeinen Gesundung zu nutzen. Ordnung hat noch nie Nachteile gebracht. Sie ist die Voraussetzung zu wirtschaftlichem Erfolg und Aufstieg. Im Ganzen gesehen erhöht sie den Wert von Grund und Boden, indem sie das Geschäftsleben fördert und zu größerer Entfaltung bringt.“
[Quelle: Wikipedia]

Der Tausendfüßler als Mahnmal der undemokratischen Stadtplanung

Bild der KW40: Thyssenhochhaus und Tausendfüssler

Mit Demokratie hatte es Tamms nicht so, weshalb er geradezu empört war, dass sich gegen seine Pläne für eine autogerechte Stadt Düsseldorf regte. Dabei beruhten die nicht nur auf den allgemeinen Prinzipien des NS-Arbeitsstabs, sondern entsprachen in weiten Teilen den Planungen, die noch während der Nazizeit für den Umbau Düsseldorfs zur „Gauhauptstadt“ angefertigt worden waren. Um behördeninternen Widerstand gar nicht erst aufkommen zu lassen, hatte er die wesentlichen Positionen mit alten Kameraden besetzt. Die Leute vom Düsseldorfer Architektenring hatten völlig andere Vorstellung von der Gestaltung der Stadt.

„Die wesentlichen Prinzipien: Erfordernisse des Einzelmenschen, das Milieu, das auf dem Gepräge einer Stadt beruht, und somit auch die Lage, ferner das Klima, das die Organisation der Wohnungen und Freiflächen wie auch die Verbindung mit der umliegenden Landschaft bestimmt, die Funktionen einer Wohngemeinschaft, die sich in Verwaltung, Arbeitsplätzen und Stätten der Erholung und Kultur usw. auswirken, vor allem auch Verkehrsbewegungen und Gesamtaussehen, sind Grundlagen einer jeden Stadtplanung. Der heutige Städtebau kann sich nicht in der Neuauflage von Korridorstraßen erschöpfen. (…) Eine mit allen Kräften geformte Stadt muß nicht aus Hochhäusern allein bestehen. Sie entwickelt sich aus dem wundervollen Gegensatz von niedrigen und hohen Bauten, von bisher üblichen Straßenformen und offenen Verkehrswegen mit zurückspringenden Geländefreiflächen, zwischen vom Verkehr unberührten Fußgängerwegen und Kreuzungen, die der Fußgänger nicht betritt. (…) Von diesen Grundsätzen ist bei der Düsseldorfer Stadtplanung so gut wie nichts zu bemerken. Die schönsten Freiflächen sind für Parkplätze reserviert, anstatt Hoch- oder Tiefhausgaragen vorzusehen. Der Verkehr muß sich so entwickeln, als gäbe es in der Zukunft keine Fußgänger. Der Versuch, ein Kulturzentrum und eine City zu schaffen, ist überhaupt nicht gemacht.“ [Quelle: Wikipedia]

An der Formulierung dieser Grundsätze war Bernhard Pfau aktiv beteiligt. Pfau, der Architekt des Düsseldorfer Schauspielhauses, war Gegner des NS-Regimes, konnte als solcher zwischen 1933 und 1944 nur eingeschränkt in seinem Beruf wirken und musste zuletzt zum Nutzen der Wehrmacht arbeiten. Durch viele Auslandsaufenthalte und Freundschaften mit zahlreichen modernen Architekten aus aller Welt war er auf der Höhe der Zeit, was demokratische, menschenfreundliche Stadtplanung und Architektur bedeutet. Das Zitat belegt deutlich, wie sehr ihm die Tamm’sche Planungsphilosophie zuwider gewesen sein muss.

Die Schönheit der Hochstraße

Zeitungsnotiz zum Jubiläum

Zeitungsnotiz zum Jubiläum

Als der Tausendfüßler im Mai 1962 eröffnet wurde, war der Architektenstreit schon aus den öffentlichen Diskussionen verschwunden. Mit der Nazi-Zeit setzte man sich ohnehin nur ungern auseinander, und Tamms galt in Düsseldorf als Held, der die Stadt grundlegend modernisiert hatte. Gut ein halbes Jahrhundert diente diese fein geschwungene Konstruktion aus Spannbeton auf perfekt geformten Y-Stützen als wichtiger Baustein der autogerechten Stadt. Wer mit der Hochstraße großgeworden ist, wird sich noch genau an das Gefühl erinnern, im Auto sitzend von der Fischerstraße kommend auf die Peek&Cloppenburg-Fassade zu zu fahren, um dann an der Johanneskirche vorbei auf die Berliner Allee zu tauchen oder in die Immermannstraße abzubiegen. Ja, der Tausendfüßler war eine Schönheit, und unter ihm gab es eine besondere Atmosphäre.

Und, ja, man hätte die Tamm’sche Hochstraße auch erhalten können – als Mahnmal und trotz Kö-Bogen-Tunnel. Ideen gab es genug. Bis hin zum Konzept eines Gartens auf Stelzen; analog zu den urbanen Gärten, die in New York, Chicago und Philadelphia auf nicht mehr genutzten Hochbahnstrecken angelegt wurden. Aber letztlich hat der Abriss auch eine große Innenstadtfläche von der Last des Autoverkehrs befreit und Möglichkeiten für eine komplette Neugestaltung gegeben. Man kann nur hoffen, dass das Gebiet zwischen Corneliusplatz, Hofgarten, Gustaf-Gründgens-Platz, Börse und Johanneskirche nach all den Umbauten zu einem Platz für Menschen wird.

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