Es ist ja nicht so, als hätten meine zehn Semester an der Düsseldorfer Kunstakademie nur aus Partys, Malen und Rumlungern bestanden. Tatsächlich habe ich eine ganze Menge gelernt im ehrwürdigen Bau zwischen Rhein und Hofgarten. Das fing schon im ersten Semester an. Was den Bereich der Kunstwissenschaft anging, hatten wir Wahlfreiheit, also wählte ich die große Vorlesung des damaligen Akademie-Direktors Eduard Trier zum Thema „Gotische Kathedralen„. Die fand vor ziemlich vollem Haus in der Aula statt. Der Prof stand am Pult auf der Bühne, und jede Menge Dias wurden quer durch den Raum geworfen. Dazu strömten komplizierte Sätze durchs Auditorium, die eine angenehm beruhigende, ja, sedierende Wirkung hatten. Und trotzdem: Noch heute weiß ich, wer Viollet-le-duc war und was der mit der gotischen Baukunst zu tun hat. Irgendwie subkutan und unter Umgehung von Auge und Ohr nebst Hirn gelangten die wesentlichen Dinge in meine Datenbank, und letztlich gelang des Prof. Trier, mit Ehrfurcht und Verständnis für die großen Kirchen einzuimpfen. Noch viel mehr mit noch weniger Konzentration aber bläute uns Prof. Dr. Heinrich Theissing ein.

Damals noch ein relativ junger Hüpfer, der ein wunderschönes Haus in Oberkassel in Rheinnähe bewohnte, wohin er gelegentlich zum Kolloquium lud. Bei dem ging es unter anderem um den geheimnisvollen Hercules Seghers, niederländischer Maler und Radierer des siebzehnten Jahrhunderts. Und dessen Zeitgenossen. Die Veranstaltung fand am Nachmittag im staubig-muffigen Hörsaal am Westende der Akademie statt, in der man schon einschlief, kaum hatte man den Raum betreten. Die Begeisterung des Dozenten aber war es, die einen dann weckte, denn Theissing war immer emotional beteiligt, weil er die Künstler und deren Kunst liebte, über die er sprach. Dass dieser Kunstwissenschaftler trotz allen wissenschaftlichen Ernstes eine geradezu kindliche Begeisterung für die Werke hatte, lernte ich im Rahmen einer wunderbaren Exkursion nach Venedig kennen. Mit dem Zug reisten wir, eine Gruppe von knapp zwanzig Studenten. In Liegewagen über die Alpen, in vierzehn Stunden bis Bologna, wo wir, die wir die Nacht mit allem Möglichen verbracht hatten, nur nicht mit Schlafen, in aller Herrgottsfrühe, müde, verkatert und orientierungslos durch den Bahnhof taperte, angeführt vom taufrischen Professor unseres Vertrauens, der uns in den Bummelzug verfrachtete, der weitere fünf Stunden bis in die Lagune brauchte. Untergebracht waren wir in verschiedenen Locandas; ich teilte mir ein Zimmer mit Kommilitone Walter; außer uns waren noch die ausgesprochen netten Mitstudentinnen B. und M. in derselben Villa untergebracht. Deren Herzstück war eine hohe Halle mit allen Zeichen des Verfalls, von wo aus in zwei Etagen die Zimmertüren abgingen.

Venedig, ja, auch mit Kunst
Täglich gab’s zwei fixe Termine für Vor-Ort-Vorlesungen. Wir fuhren nach Torcello, um die byzantinische Kathedrale zu besichtigen, wir ließen uns nach San-Giorgio-Maggiore übersetzen, liefen stundenlang durch die Academia, blieben von Theissing inspiriert vor den allerschönsten Tintorettos stehen und lernten etwas über die Farbe Schwarz als Malgrund. Wir stöberten im Gelände der Biennale herum. Natürlich auch den Dogen-Palast, und noch eine Kirche und noch eine. Das war wirklich interessant und so spannend, dass alle Teilnehmer hübsch beieinander blieben. Und in der Freizeit turnten wie zu viert durch die Gassen, über die Brücken zu den Kais. Wo es – wir schrieben das Jahr 1974 – Eis für kleines Geld gab, Pizzen für ein paar Lire und sehr, sehr billige, sehr, sehr scheußlich schmeckende Zigaretten. Mit dem Vaporetto gurkten wir durch die Lagune, besichtigten eine Glasbläserei auf Murano, fanden den Fischerort Burano fast verlassen vor. Verirrten uns in den Außenbezirken mit den sechsstöckigen Mietskasernen, landeten dort in Bars, wo man nicht täglich Touristen traf. Für diese Exkursion, während derer ich mich für immer in Venezia verliebte, werde ich Prof. Theissing ewig dankbar sein.

Viel mehr Vorlesungen und Seminare zur Kunstwissenschaft sind mir nicht in Erinnerung geblieben. Es gab da mal was zu Picasso, auch Matisse stand mal auf dem Speiseplan. Dazu ein paar kunsthistorische Parforce-Ritte. Genug jedenfalls, um die notwendigen Scheine zu bekommen. Die in Philosophie und Pädagogik zu erwerben, fiel mir deutlich schwerer, weil mich beide Fächer nicht die Bohne interessierten. Immerhin „spezialisierte“ ich mich in der Pädagogik auf die damals heiß diskutierte neue Kunstpädagogik sowie auf das Bildungswesen der DDR – warum auch immer. Die Pflichtveranstaltung im Bereich der Philosophie haben keinerlei Spuren in meiner Erinnerung hinterlassen.

Tage in der Dunkelkammer
Anfangs hatte ich keine Ahnung, dass die Akademie über ein bestens eingerichtetes Fotolabor samt ausgedehnter Dunkelkammer verfügte. Aber als ich es wusste, wurde ich Stammgast und belegte vom dritten bis zum vorletzten Semester jeweils einen Kurs da unten in den Katakomben der Akademie. Leider sind mir die Namen der Dozenten entfallen. Man sah sich auch selten: erstens war’s oft dunkel, zweitens hielt ich mich oft allein dort auf. Das Schöne an den Kursen war auch, dass man da eine Bescheinigung bekam, mit der man Filmmaterial der Marken Ilford und Kodak mit enormen Rabatten beim Fachhandel kaufen konnte. Noch heute beherrsche ich die Negativprozesse von FP4 und HP5 quasi im Schlaf. Also rauschten Schwarzweißfilme im Dutzend durch meine Praktica. Aus der Zeit verfüge ich immer noch über ein Archiv mit mehreren Hundert Filmen. Und weil da unten alles vorhanden, aber relativ wenig genutzt wurde, habe ich von den meisten Negativen zumindest Kontaktabzüge angefertigt.

Das Fotografieren lernte ich nicht an der Kunstakademie, weil dies in die sogenannte „Fotoklasse“ verlagert war. Und die war einigermaßen hermetisch. Weil mein Freund Paul und ich aber interessiert waren, experimentierten wir ein Semester lang mit Sach- und Porträtfotografie und richteten uns behelfsmäßig ein „Studio“ in unserem Raum unter dem Dach ein. Vor allem mit dem Licht probierten wir herum, also mit der Ausleuchtung. Aber auch mit Hintergründen, also mit Guckkästen und Hohlkehlen. Vermutlich wäre ich in der Fotoklasse ohnehin besser aufgehoben gewesen, weil die Fotografie – das weiß ich heute – die mir angemessene Technik der künstlerischen Arbeit ist.

Maltechnik und Matscherei
Einen Kurs in Maltechnik habe ich absolviert. Vor allem, weil es in der zugehörigen Werkstatt so gut nach Terpentin und Farbe roch. Verstanden habe ich alles, aber in der Anwendung haperte es vollständig. Mir fehlte und fehlt dazu einfach das manuelle Geschick. Trotzdem war es spannend, selbst Kaseinfarben anzurühren aus Quark und Pigmenten, selbst Keilrahmen zu bauen und zu bespannen und selbst mit unterschiedlichen Malgründen zu experimentieren.

Noch weniger geeignet erwies ich mich in der Bildhauerei. Wobei ich das Prinzip zu verstehen lernte. Bis zum Beginn des Studiums konnte ich mir nur Steinbildhauerei vorstellen. Also nach dem Michelangelo-Prinzip, der über einen Marmorblock sagte: „Der David steckt da schon drin, ich muss ihn nur noch heraus meißeln.“ Völlig fasziniert war ich von den Holzbildhauern, die aus ganzen Stämmen Menschen in Lebensgröße und durchaus naturalistisch schnitzten. Aber wie eine aufgebaute Skulptur entsteht, das erfuhr ich noch im Orientierungsbereich, weil in unserer Klasse ein richtiger Künstler als Gast an einem Grabstein werkelte. Also: Zunächst schweißt man ein Gerüst aus Moniereisen und befestigt es in einem tragfähigen Sockel. Das Gerüst muss in etwa den Dimensionen der späteren Skulptur entsprechen. Dann werden überall feste Drähte befestigt an deren Enden jeweils ein Stück Holz reingezwirbelt wird. Und dann wird Schicht für Schicht Ton aufgetragen, bis die rohe Form zu erkennen ist.

Der Ton lagert übrigens in großen, innen mit Metall ausgeschlagenen Holzkisten und duftet wunderbar. Auch den Matsch mit den Fingern zu bearbeiten, ist ein Vergnügen. Hergestellt wird der Ton in Speisfässern aus pulverisiertem Lehm mit Wasser. Nicht mehr benötigte Tonformen werden zerschlagen und der Ton wieder zu Pulver zermahlen, das mit Wasser angerührt wird uns so weiter… Nun begann der Künstler damit, die Konturen zu verfeinern, hier ein bisschen aufzutragen dort ein bisschen wegzunehmen, Texturen anzulegen und überhaupt aus dem Tonklops eine Skulptur zu machen. Von der fertigen Tonform wird ein Gipsabdruck angefertigt, der aus so vielen Teilen besteht, dass er vom Ton abgenommen werden kann, ohne etwas zu verändern. Aus der Gipsform kann dann eine fertige Skulptur aus Metall oder Kunststoff werden. Bei Beate Schiff und ihren Leute war es vor allem Kunststoff. Die Gipsform wurde zunächst mit Kunstharz in der gewünschten Farbe ausgestrichen, dann wurden Glasfasermatten hineingedrückt, die wieder mit Kunstharz bestrichen wurden. So entstanden hohle Plastiken mit glatter Oberfläche.

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