Dass der Spagat zwischen wildem Künstlerdasein und brav-bürgerlichem Eheleben nicht lange gutgehen würde, erscheint in der Rückschau vorhersehbar. Meine damalige Gattin erklärte mir buchstäblich Jahrzehnte später, ihr haben es tierisch gestunken, dass sie den ganzen Tag malochen und danach noch aufs Abendgymnasium ging, währen ich – wie sie es ausdrückte – mich in der Akademie mit Menschärgerdichnicht vergnügte. Sie vergaß dabei, dass ich meist nebenbei und in den Semesterferien ebenfalls Geld verdienen ging und mich um Haushaltsdinge wie Einkaufen, Kochen, Waschen und Putzen zumindest gleichberechtigt beteiligte. Ihr war – wie vielen anderen Verwandten, Bekannten und Freunden – nicht klarzumachen, dass das Kunststudium eines war/ist, bei dem viel Rumprobieren, Nachdenken und Diskutieren nötig sind. Also Tätigkeiten, die aus ihrer Sicht Freizeit darstellten. Dann kam Karneval 1976 und das Ende unserer Ehe. Zufällig lernten wir ein etwa gleichaltriges Pärchen kennen, und es kam zum temporären Partnertausch, um es mal so auszudrücken.

Der Unterschied war bloß, dass sie und H. sich ineinander verliebten und fortan ein Paar sein wollten, während ich und S. nach den drei tollen Tagen nicht mehr sonderlich aneinander interessiert waren. Die Sache zog sich ein paar Wochen hin, in denen ich mal so nebenbei mein Erstes Staatsexamen absolvierte. Dann eröffnete sie mir, dass wir ab sofort getrennt seien, und ich beschloss, auszuziehen. Das war um den Maifeiertag des Jahres herum. Auf dem zugehörigen Fest der DKP erzählte ich J. davon, und sie gab mir den Tipp, mich mal mit F. zu unterhalten, deren WG habe ein Zimmer frei. Warum ich in der Nacht dann zu Fuß bis weit nach Neuss zu einem Kommilitonen wanderte, mit dem ich eigentlich weniger zu tun hatte, weiß ich nicht mehr. H., so hieß der, hauste in einer zugemüllten, leicht verfallenen Altbauwohnung irgendwo hinterm Bahnhof. Er nannte die Situation seinen Harem, denn er lebte mit drei Frauen zusammen, mit denen er mehr oder weniger gleichmäßig schlief. Verheiratet war aber nur mit der Mutter seiner drei Kinder. Außerdem gab es noch einen unsichtbaren Mitbewohner, dessen Matratze ich für eine Nacht nutzen konnte.

Drei Nächte blieb ich. Dann hatte sich die Sache mit der WG geklärt, und ich bezog ein Zimmer in einer Hochparterrewohnung an der Kleverstraße; einen schönen Altbau, in dem mehrere Wohngemeinschaften wohnten. Die Decken waren so hoch und mein Zimmer so klein, dass die eine Wand höher war als der Raum an seiner breitesten Stelle. Mit tatkräftiger Unterstützung von P., von der noch die Rede sein wird, renovierte ich. Aus dem gemeinsamen Hausstand blieben mir ein Polsterbett, ein Küchenstuhl und zwei Tischböcke. Wie gesagt: Das alles während der Examensprozeduren. Auch die Katze Olga kam mit, ein halbwildes, schwarz-grau getigertes Tier, das sofort zur Freigängerin wurde. Von der riesigen Küche aus ging es auf eine Terrasse, von der aus man über eine Treppe in den Garten kam. Ein Stück moosigen Rasens mit Büschen drumherum, in den nie ein Sonnenstrahl fiel. Olga eroberte den Innenhof und wurde alsbald trächtig. In der Küche wurden vier Kätzchen geboren, alle schwarz. Eines Tages kam ich an den Korb, den Olga mit ihrem Nachwuchs bewohnte und sah, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Sie hielt den Kopf schief und zitterte.

Dann sah ich, dass ihr rechtes Augen stark blutunterlaufen war. Ich packte sie in einen Korb und eilte zum Tierarzt. Kurz und gut: Sie hatte eine schwere Schädelverletzung, vermutlich durch einen Schlag oder Tritt. Man sagte mir, ärztlich wäre da wenig zu tun. Entweder es würde von selbst heilen oder … nicht. Ich war dann im Moment ihres Sterbens bei ihr. Wir hatten ihr die Kinder weggenommen. Da lag sie, schwer atmend. Dann sah sie mich an, ihr Maul ging auf, ihre Pupillen wurden riesengroß. Und dann war das Licht darin erloschen. Das Fell am ganzen Körper stand ab, als sei es elektrostatisch angezogen. Zum Glück waren die kleinen Kätzchen alle schon eigenständig genug, sodass wir sie weggeben konnten. Bis auf eine. Ich nannte sie Daisy, und sie begleitete mich 19 lange Jahre.

Da meine Kombination aus Waisenrente und Bafög kaum für mehr als die Miete reichte, begann ich zu jobben. Landete wieder einmal bei Mannesmann, bei einem Projekt, an dem ich als Student in den Semesterferien schon mitgewirkt hatte. Gleichzeitig probte ich den Aufstand gegen das Bürgerliche. Solange ich selbst – besonders in Relation zu meinen Studienkollegen – spießig lebte, verhielt ich mich auch meist so. Das fing mit der Kleidung und der Frisur an und hörte mit dem Auto nicht auf. Da ich in den Semesterferien 1975 außergewöhnlich viel verdient hatte, kaufte ich einer Kommilitonin, die Angst vor dem Autofahren hatte, ihren ziemlich neuen Käfer ab, ein Geschenk der Eltern. Wie jeder normale Angestellte nutzte ich nur die Urlaube dazu, die bürgerliche Hülle abzustreifen. Zum Beispiel im September 1973. Nach der Hochzeitreise hatte ich unseren Peugeot 203 verkauft, um ein Motorrad anzuschaffen. Damals verkaufte Hein Gericke gerade Honda-Maschinen aus einem Wasserschaden zu Schleuderpreisen. Es reichte dann für eine CB 125, auf der wir zu zweit, natürlich in normalen Klamotten und ohne Helm durch die Gegend kariolten. Für die Frankreichreise lieh uns eine Kollegin von S. ihren Uralt-Käfer, eine 28-PS-Kiste mit Faltdach. Wir hatten mit S. alter Freundin C. und ihrem Mann, dem selbstständigen Malermeister T. ein gemeinsames Ferienhaus in Mimizan-Plage an der Atlantikküste südlich von Arcachon gemietet. Das war eher eine Hütte in einer pflanzenarmen, staubigen Ferienkolonie. Ich hatte mir eine weiße Malerlatzhose gekauft, und vom Tag der Ankunft bis zur Abreise trug ich nichts anderes als diese Hose mit einer Badehose drunter und sonst nichts. Ich lief barfuß und fuhr auch ohne Schuhe Auto.

Aber im Sommer 1976, da wurde ich Punk. Oder jedenfalls etwas, was später Punk genannt wurde. Ich wusch mich selten und duschte kaum noch. Besaß nur eine Jeans und trug meistens ein rotes Fußballtrikot mit der Nummer 7. Abend für Abend pilgerte ich auf die Ratingerstraße, wo mein Studienkollege Rüdiger B. im Ratinger Hof kellnerte. Der Hof war damals in einer Übergangsphase. Ich kannte den Laden noch als Hippie- und Motorradrockerkneipe mit durchgesessenen Sofas und schmuddeligen Orientteppichen am Boden. Gern gingen wir Kunststudenten nicht dahin. Dann waren die Sofas und Teppiche weg, Auch die alten Kneipentische fehlten. Hinten stand ein Billardtisch, ansonsten lehnten die Leute an den Wänden. Nur unterm Fenster gab es noch die gute alte Rundbank mit dem Stammtisch davor. Da war mein Platz. Das Düssel Alt kostete eine Mark pro Glas, und ich trank unter der Woche jeweils genau sechs Stück, am Freitag und Samstag dann aber jeweils zehn Alt, die mir Rüdiger mit seinem schelmischen Grinsen servierte. Der trug durchweg ein pinkfarbenes Satinjäckchen mit den Buchstaben DKP auf dem Rücken. Der Fernseher hing schon an der Ecke über dem Durchgang zu den Klos. So sah ich fast die ganzen Olympischen Spiele von 1976 – allerdings komplett ohne Ton.

In Sachen Musik konnte von Punk noch nicht die Rede sein; außer New York Dolls und ähnlich wüster Musik aus den USA lief allerhand schräges Zeug ohne feste Richtung. Nach meiner Erinnerung spielte die erste Live-Band, deren Angebot unter Punk fiel, im Winter 76/77 – wer auch immer das war. Es war dann das Jahr 1978, in dem es richtig losging. Auf dem Foto von ar/gee Gleim, das von der „Bühne“ im Hof aus während eines Fad-Gadget-Konzerts von 1979 aufgenommen wurde, bin ich einer der Dunkelhaarigen, von denen nur Haare und ein wenig Gesicht zu sehen sind. Besser erinnere ich mich allerdings an die Gigs von Wire und den UK Subs im Jahr 1978. Nicht dass ich Fan dieser Musik gewesen wäre, aber mir gefiel das Rebellische, das Antibürgerliche, denn so war ich auch drauf. Das hatte auch viel mit der Akademie zu tun, deren Studentenschaft in jenen Jahren in drei Gruppen zerfiel. Eine davon, die zahlenmäßig größte, war die Beuys-Klasse, ein bunter Haufen ohne definierbares soziodemografisches Profil. Auf der exakt gegenüberliegenden Seite standen „die Künstler“. Also die Adepten der wichtigen Klassen, zum Beispiel der von Direktor Norbert Kricke. Und „die Architekten“, allesamt aus dem wohlhabenden Bürgertum stammend. Diese Peergroup verstand das Künstlerdasein als Beruf mit guten Verdienstmöglichkeiten. Das Studium verstanden sie als Vorbereitung auf den Kunstmarkt, den Künstler waren sie schon vorher. Eingeklemmt dazwischen vor allem die Lehramtsstudenten, viele von denen Arbeiter- und Beamtenkinder, die meist gegen den Willen der Eltern Kunst studierten. Zu der Gruppe zählte ich – wie fast alle in der Klasse Neumann.

Die Bürgerkinder, die Künstler spielten, gingen mir immer schon auf den Nerv. Die Töchter aus besserem Hause, die zum Studienbeginn erstmal einen Neuwagen von Papa bekamen, die keine Stundenbuden hatten, sondern Wohnungen, die in den Semesterferien Urlaub an der Riviera machten. Die Söhnchen, die zu sensibel waren, Papas Firma zu übernehmen. Dieses ganze bourgeoise Gesocks, die es uns auch zeigten, dass sie es besser hatten. Den zeigte ich ab Mai 1978 durchgehend den Stinkefinger. Wenn ich die Nacht in der Altstadt durchgemacht hatte, schlief ich auf einer Parkbank an der Kö, um pünktlich bei der Arbeit zu sein – unsere Abteilungen hatten die Büros an der Kö. Im Job nahm niemand Anstoß an meinem Zustand, den die Task Forces rekrutierten sich durchweg aus schrägen Vögeln; da fiel ich gar nicht besonders auf.

In die Akademie ging ich kaum noch, obwohl ich ja noch eingeschrieben war, an meiner Arbeit in Kunstwissenschaft – ich schrieb über Goyas „Desastres de la Guerra“ – saß und die mündlichen Prüfungen noch vor mir hatte. Die einzige künstlerische Tätigkeit, von der ich nicht lassen konnte, war das Zeichnen. Damals zeichnete ich in einem annähernd naiven Stil vor allem Unfälle und Pornoszene. Von dem Material ist wenig erhalten, und ich weiß nicht genau, wo ich es aufbewahre.

[Foto geklaut bei Richard ar/gee Gleim: gnogongo.de]

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