Das Schlimme an populistischen Debatten über öffentliche Finanzen, das dabei vorwiegend in Kategorien von Privathaushalten diskutiert wird und nicht einmal in Analogien zu Unternehmensfinanzen. Nur so erklärt sich, dass rund um Staats- und kommunale Haushalte von „Schulden“ die Rede ist. Otto Normalverbraucher hat sofort den eigenen Kontostand mit dem Minus vor dem Saldo vor Augen und findet aus eigener Erfahrung Schulden doof, böse, schädlich und bedrohlich. Dabei sind Verbindlichkeiten – so der zutreffendere Ausdruck – integrierter Bestandteil des Wirtschaftens jenseits des privaten Tellerrandes. Und das schon so lange der Mensch überhaupt so etwas Abstraktes wie Geld kennt. Will ein freier Unternehmer (Händler, Handwerker, Dienstleister etc.) sein Unternehmen ausbauen und verfügt nicht über das benötigte Kapital, leiht er sich welches. Er wird zum Schuldner. Die natürliche oder juristische Person, die ihm das benötigte Kapital zur Verfügung stellt, wird sein Gläubiger. Beim Leihgeschäft geht der Schuldner die Verbindlichkeit ein, das geliehene Kapital zu einem festgelegten Zeitpunkt, meist zusätzlich eines Zinses, zurückzuzahlen. Betrachtet man diesen Vorgang also sachlich, kommt das böse Wort „Schulden“, das ja etymologisch dicht an den Begriffen „Schuld“ und „schuldig“ liegt, nicht mehr vor.

Das ist in anderen Sprachen, zum Beispiel im Englischen, ohnehin anders, weil dort die potentielle Doppelbedeutung nicht existiert: „debts“ sind Schulden, „guilt“ ist die Schuld. Ob der verstorbene Oberbürgermeister Joachim Erwin dies alles gewusst hat, sei dahingestellt. Als Meister der politischen Propaganda wird er gewusst haben, dass seine Wählerschaft Schulden negativ beurteilt. Dass sie also demjenigen huldigen werden, der sie von den Schulden befreit. So wie ja Christus die Menschen von den Sünden befreit hat. Da kam ihm der Begriff „schuldenfrei“ natürlich zupass. Wobei es ja in der Partei, die sich ein „C“ im Namen leistet, eine jahrzehntlange Tradition der Verteuflung von Schulden gibt, die im ersten Wahlkampf nach der Übernahme der Regierung durch die sozialliberale Koalition 1969 massiv betrieben wurde. Dabei wurde immer wieder der Begriff „Juliusturm“ ins Feld geführt, der den Zustand bezeichnet, der besteht, wenn ein Staat Überschüsse erwirtschaftet hat und quasi über ein Sparkonto verfügt. Das war in den Jahren 1953 bis 1957 dem damaligen Finanzminister Schäffer gelungen – keine große Leistung angesichts explodierender Steuereinnahmen dank Wirtschaftswunder. Den bösen Sozen und ihren liberalen Spießgesellen unterstellten die CDUler nun, sie könnten nicht mit Geld umgehen und würden leichtfertig „Schulden“ machen.

Dabei waren es schon die CDU/FDP-Regierungen und die der Großen Koalition, die durch Leihen von Geld am Kapitalmarkt im keynesianischen Sinne die erstmals schwächelnde Konjunktur angekurbelt hatten. Ja, schon unter Adenauer machte die Bundesrepublik Schulden. Das so geliehene Kapital wurde etwa ab 1965 vor allem in Infrastrukturmaßnamen und in Subventionen – vor allem des Steinkohlebergbaus – investiert. So konnte ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit vermieden und eine größere Wirtschaftskrise verhindert werden.

Weg mit dem Tafelsilber!
Nun war aber dank der CDU der Begriff „Schulden“ in der öffentlichen Wahrnehmung negativ geprägt, und dieses Image ist er nie wieder losgeworden. Inzwischen ist eine überwältigende Quote des Wahlvolks der Ansicht, öffentliche Schulden müssten unbedingt vermieden, Haushalte unbedingt ausgeglichen werden, weil Schulden böse sind. Dabei haben Verbindlichkeiten gegenüber Institutionen des Kapitalmarktes nur einen Nachteil: Sie kosten Zinsen. Zu zahlende Zinsen aber belasten Haushalte. Da Zinszahlungen normalerweise Vorrang haben, verhindern sie oft sinnvolle Ausgaben, die den Bürgern zugutekämen. Das Problem sind also nicht Verbindlichkeiten an sich, sondern Verbindlichkeiten gegenüber Banken. Die armen Griechen erleben dies seit einigen Jahren tagtäglich am eigenen Leibe, und der Versuch der Syriza-Regierung, den Banken einfach keine Zinsen mehr zu zahlen, zogen massive Eingriffe in die griechische Staatsautonomie durch die EU und den IWF nach sich.

In den Zeiten der Erwinista musste Düsseldorf aus verschiedenen Gründen etliche Großbauprojekte zu finanzieren. Weil der Leichtathlet JE gern Olympia in seine Stadt geholt hätte und richtig viel Geld in die Bewerbung investierte, musste auch ein neues Stadion her. Die heute als „Esprit-Arena“ bekannte Turnhalle, die auf Anweisung des OB zu seinem Geburtstag 2004 ein erster Fußballspiel erhielt und im Januar 2005 offiziell eröffnet wurde, kostete nach einigem Hickhack und diversen Skandälchen rund 240 Millionen Euro. Auf den Verbindlichkeiten aufsetzend, die zu Zeiten der Sozenregierungen entstanden waren, kam die Stadt Düsseldorf per 2005 so rund 900 Millionen Euro Verbindlichkeiten gegenüber Geldinstituten. Und das in einer Zeit, in der nicht nur immer von „Schulden“ die Rede war, sondern auch halbwegs seriöse Medien gern davon schrieben, dieses oder jenes Gemeinwesen lebe „auf Pump“, als sei so eine Regierung ein spielsüchtiger Alkoholiker, der mit Geld nicht umgehen könne.

Und weil OB Erwin in dem ihm eigenen Größenwahn nicht nur bauen ließ wie blöde, sondern auch noch gut dastehen wollte, beschloss er, die Schulden abzuschaffen. Also: Nicht die Verbindlichkeiten zu begleichen, sondern die Schulden abzuschaffen. Sein Gesamtplan beruhte vor allem darauf, die städtischen Anteile am Energiekonzern RWE zu verkaufen. Und nun kamen die Sozen mit ihrem populistischen Geplärre zum Zug, den für sie wie für andere oppositionelle Instanzen der Stadt hieß es nur noch „Der OB verscherbelt das Tafelsilber.“ – eine Formulierung, die noch erheblich blöder ist als das Geschwafel vom Leben auf Pump. Es hieß nun, die RWE-Aktien seien ja quasi eine Rücklage für schlechte Zeiten, die müsse man halten, auch um die Kontrolle über den Einfluss der RWE auf die Stadtwerke zu halten. Es dauerte dann noch bis Mitte 2007 bis der Verkauf tatsächlich vonstattenging, und weil die Einnahmen dann doch nicht hoch genug ausgefallen waren, um „die Schulden“ komplett abzulösen, ließ Erwin noch ein bisschen Kapital und Verbindlichkeiten zwischen dem Stadtsäckel und den der Stadt gehörenden Unternehmen verschieben.

So konnte der Mann mit dem großen Gebiss dann am 12.09.2007 bei Freibier und Konfetti die Schuldenfreiheitsuhr am Düsseldorfer Rathaus starten, die heute – trotz erheblicher Verbindlichkeiten, die in der Ägide von Onkel Dirk Elbers angehäuft wurden – immer noch vor sich hin tickt. Und immer noch können es lokale Schreibfinken nicht lassen, von der Schuldenfreiheit der Stadt zu schwafeln…

Der ungeschickte OB Geisel
Aus heutiger Sicht betracht hat OB Joachim Erwin mit dem Verkauf der RWE-Aktien alle richtig gemacht. Ja, wüsste man nicht besser um seine Motive, müsste man ihn als Seher bezeichnen, denn tatsächlich wurden auch die Anteile am Energiekonzern ein Opfer der Finanzkrise von 2008, und die aktuelle Entwicklung des Kurses hätte bedeutet, dass Düsseldorf für die Aktien nicht einmal die Hälfte der Summe bekommen hätte, die 2007 in die Stadtkasse floss. Richtig war auch ganz sicher, die Kassandrarufe vom verscherbelten Tafelsilber zu ignorieren, denn ausgerechnet Wertpapierbündel sind keine Form „Vermögen“, die einer Großstadt kurz-, mittel- oder langfristig nutzen. In seinem Denksystem hat auch OB Erwin gewusst, dass es Investitionen in Infrastruktur sind, die eine Stadt auf mittlere Sicht in halbwegs gesichertes Finanzwasser bringen. Denn es geht bei Stadtfinanzen immer auch um die Einnahmeseite, insbesondere um die Steuereinnahmen. Je höher sie sind und je gleichmäßiger sie fließen, desto mehr Spielraum hat eine Kommune beim Ausgaben.

Der Grundsatzstreit, bei dem Erwin samt FDP ganz weit auf der einen Seite der Medaille hockte, dreht sich um die Frage, in welche Infrastruktur genau man investieren sollte, um die Stadt attraktiv für institutionelle und private Steuerzahler zu machen. Die Erwinista hat dabei immer ausschließlich auf „die Wirtschaft“ geschielt und vor allem Projekte angeschoben, von denen örtliche Unternehmen und globale Investoren profitieren – ganz in der Tradition von Reagan und Thatcher und deren Glaube an den Trickle-Down-Effekt. Nach seinem Tod erbte der arme Hausmeister Elbers einen Haufen extrem teurer Großprojekte und die zu ihrer Realisierung benötigten Verbindlichkeiten. In den Jahren 2008 bis 2012 häufte die Stadt so erneut „Schulden“ in Höhe von gut 220 Millionen Euro an, inzwischen sind es schon wieder mehr als eine halbe Milliarde. Die Legende, dass sich die Vertunnelung der Innenstadt durch den Verkauf der Kö-Bogen-Grundstücke quasi selbst finanziert habe, glauben heute nicht einmal mehr die CDUler, die das immer behauptet hatten.

Der Trick, mit dem über die Jahre der Mythos von der Schuldenfreiheit aufrechterhalten wurde, ist simpel: Die Stadt Düsseldorf hat sich das Geld nicht mehr bei Banken geliehen, sondern bei seinen Tochterfirmen, genauer: bei der städtischen Holding, in der die Beteiligungen an städtischen Unternehmen gebündelt sind. Man kann sich das vereinfacht so vorstellen: Düsseldorf möchte eine Seilbahn vom Staufenplatz zum Gallberg bauen, die ca. 40 Mio Euro kosten würde. Also geht die Kämmerin zur Holding und sagt: Hömma, leih mir mal 40 Mio für die Seilbahn. Die Holding hat die 40 Mio aber gerade nicht auf der Kante und geht zur Bank und sagt: Hömma, leih mir mal 40 Mio für ein Projekt. Die Bank leiht der Holding die Kohle. Die Holding leiht die Kohle der Stadt. Die Stadt baut die Seilbahn und bleibt schuldenfrei, weil sie ja keine Schulden bei einer Bank hat.

Das alles hat der aktuelle OB Thomas Geisel, ein Ex-Manager, der es wissen muss, in einem klasse Papier im Wahlkampf 2014 sehr schön erklärt. Auch wenn er diese Praktik der Regierung Elbers-StraZi damit nicht, ähem, geiselt, stellt er sich doch als Täuschung der Öffentlichkeit dar, zu Recht.

Eines kann man dem amtierenden Oberbürgermeister ganz sicher nicht attestieren: politisches Geschick. Ähnlich wie sein Vorvorgänger neigt er zu unüberlegten und unabgesprochenen Aktionen, wenn er nur die geringste Chance wittert, damit einen populistischen Coup zu landen. Dass er sich wie in Sachen „Mannesmann-Hochhaus“ oder auch „Konzept Verwaltung 2020“ verhaut oder im Karneval als Zuhälter auftritt, kann unter Unerfahrenheit im politischen Amt abgebucht werden. Dass er nun aber exakt denselben Trick anwendet wie seine Vorgänger und 40 Mio Euro bei der Messegesellschaft borgt, aber versucht, diese Methode quasi als nachträglichen Schlag gegen den Mythos der Schuldenfreiheit zu verkaufen, ist annähernd perfide. Da können Geisel und Stadtkämmerin Dorothee Schneide mit noch so vielen Zahlen jonglieren, die Geisel’sche Glaubwürdigkeit hat einen weiteren Knacks bekommen.

[Foto: Lokalkompass]

2 Kommentare

  1. Rälfchen am

    Danke für die Darstellung, die sogar ich weltökonomischer Ignorant verstehe. Unterm Strich bleibt aber, daß Düsseldorf schon eine Weile von der Substanz lebt, sprich: Erneuerungsmaßnahmen (Schulen, KiTAs, Straßen) sind sehr lange aufgeschoben worden und jetzt fehlt das Bare. Die stadteigenen Töchter wird man wohl nicht bis zum Anschlag anzapfen können. Ob der Verkauf der Stadtwerke deshalb wirklich so eine tolle Sache war, weiß ich nicht. Immerhin hat der Laden auch aus dem Geschäft laufend Geld eingebracht. Es war also nicht nur der Anlagewert, der für Düsseldorf zählte. So als „Normalo“ hab ich es damals als Fehler empfunden, sich voll auf die (konjunkturabhängige) Gewerbesteuer zu stützen.

    • Rainer Bartel am

      Da sind wir uns in allem völlig einig. Der Thatcherismus des OB Erwin hat sich ja schon fatal auf den Zustand der Infrastruktur ausgewirkt, und durch du das Durchboxen der von ihm initiierten Bauprojekte ist es noch schlimmer geworden. Ich vermag nur nicht zu erkennen, dass die regierende Ampel SUBSTANZIELL anders agiert – außer dass sie vollmundig auf Bauereien verzichtet, die ohnehin weder sinnvoll, noch finanzierbar gewesen wären. Den Grand Depart zur TdF 2017 nach Düsseldorf zu holen, ist erwinistische Lokalpolitik in Reinkultur.