16.03 Uhr: Der Schreiberling erreicht seinen bevorzugten Parkplatz, ganz in der Nähe von Marlene. Nimmt er jedenfalls an, da Marlene dort auf diversen Schildern mit, äh, Dienstleistungen wirbt. Ansichtig geworden ist er Marlene noch nicht. Wirklich nicht.
16.16 Uhr: Jeder, wirklich jeder, der vor dem Schreiberling an der Kasse steht, verhandelt mit der zutiefst geduldigen Kassiererin die Vor- und Nachteile so ziemlich jeden Platzes, der im Dome noch frei ist – und das sind ca. 3.000. Er stellt sich die Frage, was genau ihn davon abgehalten hat, seinen banalen Stehplatz hinter dem Tor per print-at-home-Ticket zu buchen. Zu seiner Scham muss er sich eingestehen, auf diese im Grunde eher simple Idee erst just in der Schlange gekommen zu sein.

Guter Standort

16.28 Uhr: Guter Standort. Zentral hinter dem Tor, links ein paar Brehmstraßenveteranen und rechts, vielleicht 3m entfernt, die Bremerhavener Fans. Guter Standort, das richtige Tor. Das ahnt er um 16.28 Uhr aber noch nicht.
16.39 Uhr: Ein gewisser Kris Newbury, derzeit hauptberuflich Center in Bremerhaven, beginnt von der Bank aus Streit mit DEG-Winger Spencer Machacek (übrigens: das wird auf der mittleren Silbe betont. Alle mal nachsprechen jetzt: Ma-chaa-tscheck. Genau so, danke.). Immerhin hat er Anstand genug, danach auf das Eis zu kommen, um sich die fällige Tracht Prügel abzuholen. 16 Strafminuten hier, 14 da. So muss das.
16.42 Uhr: Der frisch aus der Vereinslosigkeit verpflichtete DEG-Keeper Dan Bakala, der den verletzten Mathias Niederberger ersetzen soll und muss, wird übermütig. Nachdem er die ersten, eher kümmerlichen Schussversuche der Gäste lässig abgefangen hat, beginnt er, hinter seinem Tor Faxen zu machen und zu versuchen, die BHV-Stürmer zu verscheißern. Ist ganz ohne Spielpraxis eine mutige Geschichte, geht aber so gerade noch mal gut. Der Schreiberling erinnert sich auf der Stelle an Tyler Beskorowany und sieht die Zukunft rosarot.

17.04 Uhr: Drittelpause. Der Schreiberling trifft zwei Forenkollegen auf ein Bierchen. Gemeinsam macht sich gewisse Sorge breit, da das erste normalerweise das stärkste DEG-Drittel ist und davon bislang bedrohlich wenig zu sehen war. Gemeinsam entscheidet man, dass es heute umgekehrt sein wird, dass die DEG also hinten heraus ganz groß aufdreht.
17.51 Uhr: Zweite Drittelpause. Der Schreiberling trifft einen anderen Forumskollegen und Nebenberufsfotografen, um mit ihm Satzungsfragen der städtischen Rundballer zu erörtern. Keine Freizeit, nie. Gemeinsam macht sich Sorge breit, weil die Theorie des grandiosen Comebacks im dritten Drittel rein statistisch auf ziemlich wackeligen Füßen steht, da die wunderschöne DEG in der Saison 17/18 noch kein Schlussdrittel gewonnen hat. Kein einziges, nicht mal neulich in Iserlohn.
18.31 Uhr: Es sind einundfünfzigeinhalb Minuten gespielt, die Gäste führen nach je einem Tor im ersten und zweiten Drittel mit 2:0. Der Schreiberling hat das bis hierhin nicht erwähnen wollen, um seinem Geschreibsel keinen allzu negativen Touch beizufügen. Über die DEG-Gefährlichkeit hat man bis zum Minute 51,5 nur singen können: „Wir schießen oft, wir schießen viel- und jeder Schuss verfehlt das Ziel.“ Auf die Melodie von „Oh, when the saints go marching in“, logo. BHV-Keeper Pöpperle, ein Tscheche, wie der Name erahnen lässt, musste bis zu diesem Zeitpunkt einfach nur seine Schoner und seinen Brustpanzer in den Weg stellen, so ungefährlich war das.

Plötzlich Eishockey

18.32 Uhr: Überzahlangriff der DEG über die rechte Seite in Person von Lukas Laub. Und während der Schreiberling schon die Augen verdrehen möchte, weil Laub trotz guter Schussposition nicht schießt, sondern querlegt, entscheidet er sich kurzfristig um und jubelt – John Henrion zum 1:2. Gute Übersicht, der Laub, der Schreiberling hat es ja gleich gesagt.
18.34 Uhr: Spencer Machaatscheck beweist Auge und Gefühl mit dem gaaaaanz langen und gaaaaanz genau getimten Pass diagonal durch das BHV-Drittel. Am dortigen langen Pfosten verrichtet Alex Barta Dienst, erinnert sich an Iserlohn neulich und die ewig gleichen Tore. Einfach nur kurz reintippen zum 2:2 – auf einmal ist es ein richtiges Eishockeyspiel. Der Schreiberling kann es nicht so recht fassen, auch wenn er es natürlich so prognostiziert hat, die Halle kann es nicht fassen und die Bremerhavener können es erst recht nicht.
18.36 Uhr: Alex Barta hämmert den Puck ans Lattenkreuz. Dem Schreiberling wird in diesem Moment gewahr, dass BHV gegen die DEG in allen vier Spielen, die gegeneinander ausgetragen wurden, verloren hat. Finale Siegesgewissheit macht sich breit, zumal ja ohnehin das Comeback-Drittel läuft.

Immer schon gewusst

18.44 Uhr: Alexandre Picard entsinnt sich der „When the saints“-Melodie und schießt Pöpperle auf dessen bestens geschütztes Sternum. Der ist von dieser Art Schuss mittlerweile derart gelangweilt, dass er den Puck zur Abwechslung nach vorne abprallen lässt – genau auf Barta, der soviel freies Tor vor sich hat, dass er den Zuschauern nicht mal mehr die Verlängerung gönnt. 3:2 mit 23 Sekunden Restspielzeit. Ein kurzer Blick nach rechts offenbart, dass der gemeine BHV-Fan von dieser Spielentwicklung allenfalls semibegeistert ist.
18.53 Uhr: WhatsApp-Nachricht des Schreiberlings an den Forumskollegen und Nebenberufsfotografen: „I hobs imma gwusst“.
20.02 Uhr: Facebook-Eintrag des Forumskollegen und Nebenberufsfotografen: „Die DEG gewinnt nach 0:2-Rückstand und absolut überzeugender Leistung hochverdient, souverän und völlig ungefährdet mit 3:2 gegen Bremerhaven. Kann man so machen.“ Der Schreiberling wüsste nicht, wie man das heutige Match treffender zusammenfassen könnte.

[Fotos: Hajo Kendelbacher, der Forumskollege und Nebenberufsfotograf]

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