Während wir uns im ersten Teil um die Menschen gekümmert haben, die aus dem unbedeutenden Fischerkaff überhaupt erst eine nennenswerte Stadt gemacht haben, geht es im zweiten Teil um fünf Personen, die das Düsseldorf von heute entscheidend geprägt haben. Dabei fiel die Auswahl viel schwerer als bei den Urmüttern und -vätern. Wir haben uns bewusst und ausschließlich für kreative Leute entschieden, für Schriftsteller, Schauspieler und einen Filmemacher. Denn wenn Düsseldorf einen weltweiten Ruf hat, dann als eine Stadt der Künste und der Kultur. Und den haben diese Menschen begründet.

[6] Heinrich Heine (1797 ~ 1856)

Das Heine-Denkmal von Bert Gerresheim am Schwanenmarkt

Das Heine-Denkmal von Bert Gerresheim am Schwanenmarkt

Man kann über den Mann, den sie Harry nannten, in Bezug auf Düsseldorf nicht schreiben ohne dieses Zitat: „Die Stadt Düsseldorf ist sehr schön, und wenn man in der Ferne an sie denkt und zufällig dort geboren ist, wird einem wunderlich zu Muthe. Ich bin dort geboren und es ist mir, als müsste ich gleich nach Hause gehn. Und wenn ich sage nach Hause gehn, dann meine ich die Bolkerstraße und das Haus, worin ich geboren bin…“ Zuvor hat niemand auch nur annähernd eine Heimatliebe zum hübschen, aber ein wenig zu beschaulichen Städtchen am Rhein so ausgedrückt. Und dass diese Sätze von einem stammen, der die europäische Literatur eigenhändig aus der menschenfernen Romantik in die Moderne befördert hat, machen sie doppelt wertvoll.

Ja, Heinrich Heine war än ächte Düsseldorfer Jong. Geboren auf der Bolkerstraße und dort auch aufgewachsen. Allerdings zu einer Zeit, als die Altstadt noch weit entfernt davon war, die längste Theke der Welt zu sein. Sogar zu einer Zeit, als es das wunderbare Düsseldorfer Altbier noch nicht einmal gab. In jener Zeit trank man Wein in den Gasthäusern der Stadt, vor allem von der Mosel und von der Ahr. Manche Wirte brauten obskure Schankbiere, aber es war in der napoleonischen Zeit ohnehin den Pfaffen und den Beamten vorbehalten, in den Kneipen zu zechen. Die Bürgerlichen, zu denen die jüdische Kaufmannsfamilie Heine zählte, waren in den feudalistischen Zeiten noch Untertanen. Aber kurz vor Heinrichs Geburt versetzte die Französische Revolution die Welt in Bewegung.

Dass er in eine christliche Volksschule und später ins Lyzeum (heute das Görres-Gymnasium) gehen konnte, war schon eine Folge dieser Veränderungen. Mehr aber noch der Eroberungszug Napoleons, dessen Einzug in Düsseldorf er als 13-jähriger miterlebte. Auf die Handelsschule und die kaufmännische Ausbildung beim Onkel in Hamburg hatte er keine Lust, auf das folgende Jura-Studium noch weniger. Dichter wollte er werden, und Dichter wurde er. Zwar legte er das Jura-Examen in Göttingen ab, aber dann begann er Gedichte zu verfassen und – ganz im Sinne der Romantik – Reiseberichte. In seinen Pariser Jahren wurde Heine dann international so bekannt, dass er das immer noch kleine Städtchen Düsseldorf auf die europäische Landkarte brachte. Und deshalb heißt unsere Uni Heinrich-Heine-Universität, deshalb wurde die Alleestraße in Heinrich-Heine-Allee umbenannt und deshalb denken viele Düsseldorfer immer wieder an Heinrich Heine…

[7] Gustaf Gründgens (1899 ~ 1963)

Gustaf Gründgens als Mephisto in der berühmten Verfilmung von 1960

Gustaf Gründgens als Mephisto in der berühmten Verfilmung von 1960

Als Schulklassen noch busweise in Lichtspielhäuser gekarrt wurden, wo man ihnen cineastische Kultur un Zivilisation beizubiegen gedachte, wurden auch wir Leibniz-Schüler eines Tages in den frühen Sechzigern mit einem besonders geeigneten Streifen konfrontiert: Dem „Faust“ von 1960. Einer Schwarzweißfilm mit Will Quadflieg als Doktor Faustus und Gustaf Gründgens als Mephisto. Wir Pennäler waren überwiegend beeindruckt, denn irgendwie war das Rock’n’Roll. Groß war dann die Freude, als wir erfuhren, dass der Regisseur und Mister-M-Darsteller Gründgens ein Düsseldorfer war.

Dieser Stolz blieb mir persönlich so lange erhalten, bis ich erfuhr, wie sich GG dem Nazipack angedient hatte – ein Verhalten, das Klaus-Maria Brandauer im Film „Mephisto“ von 1981 ganz vortrefflich darzustellen wusste. Gründgens war erst einmal geixt. Aber nach und nach lernte ich dann, dass es das Düsseldorfer Schauspielhaus bzw. die große Bedeutung, die unser Theater landauf-landab genießt, das Verdienst dieses Schauspielers ist. Das Besondere an seiner Kunst: Er schätzte den Film als Akteur und Regisseur genauso hoch wie das Theater – Hauptsache, er konnte spielen, spielen, spielen…

An dieser Stelle hätte aber auch von Helmut Käutner die Rede sein können, einem ächten Friedrichstädter Jung, der auf der Pionierstraße geboren und aufgewachsen ist. Im Gegensatz zu Gründgens hat sich Käutner nicht bei Goebbels angebiedert, obwohl er bei seiner Arbeit als Regisseur auf das Placet des Porpagandaministers angewiesen war. Keiner seiner Streifen aus der Zeit des Nazi-Regimes ließ sich propagandistisch nutzen, eher im Gegenteil. Käutner war der Meister der melancholischen Komödie und schaffte es, noch während der letzten Kriegswochen zwei Filme zu drehen, die zu den schönsten deutschen Filmen überhaupt zählen: „Große Freiheit Nr. 7“ und „Unter den Brücken„. Und natürlich zählt seine „Feuerzangenbowle“ zu den kultigsten Kultfilmen überhaupt. Leider hat er nie in Düsseldorf gedreht oder einen Film in seiner Heimatstadt spielen lassen.

[8] Lore Lorentz (1920 ~ 1994)

Lore Lorentz, die große deutsche Kabarettistin vom Düsseldorfer Kom(m)ödchen

Lore Lorentz, die große deutsche Kabarettistin vom Düsseldorfer Kom(m)ödchen

Die Mutter meines Schulfreunds Jörg arbeitete in den Sechzigerjahren am Düsseldorfer Kom(m)ödchen. So kam es, dass wir jungen Burschen dort in verschiedenen Funktionen aushalfen – beim Auf- und Abbau der Bühne vor und nach Abstechern oder in der Zuschauergarderobe. Auf diese Weise wurde ich ein paar Jahre lang assoziiertes Mitglied der Kom(m)ödchen-Familie. Ich erinner mich noch detailliert an die Proben zum 1969er Programm „Es geht um den Kopf“, einem andauernd Diskussionsprozess weit über die vorliegenden Texte hinaus, in der alle eingebunden waren – auch wir. Bezugspunkt war immer Lore Lorentz, die mit glasklarer Schärfe die demokratischen Defizite der BRD unter Kiesinger zu analysieren wusste.

Überhaupt: Für Kay und Lore Lorentz war nicht das Kabarett das Ziel, sondern die Demokratie. Dieser Begriff stand im Mittelpunkt, um den drehte sich alles. Weil das Nachkriegsschicksal das Paar zufällig nach Düsseldorf gespült hatte, konnten sie mit dem politischen Kabarett par excellence die Stadt um eine weitere Facette kultureller Aktivität bereichern. Ich persönlich habe mein Leben lang von dem profitiert, was ich in den paar Jahren im Umfeld von Lore Lorentz und ihrem Mann Kay gelernt habe.

[9] Charles Wilp (1932 ~ 2005)

Natürlich kennt jeder die Afri-Cola-Werbung von 1968, in der Charles Wilp mehr oder weniger nackte Supermodels jener Jahre hinter mit Eis bedeckten Glasscheiben fotografierte. Weniger bekannt ist, dass die in jenen Jahren hyperavantgardistische Beatband „The Monks“ mehrfach in Wilps Atelier an der Corneliusstraße zu Gast war und er unbedingt deren Musik für die Afri-Cola-Werbung nehmen wollte – was der Kunde nicht erlaubte. Überhaupt: Wilp war weniger Werber als Künstler. Mehr noch: Ein Wanderer zwischen diesen beiden Welten, die sich in den Figuren Wilp und Joseph Beuys in dern Siebzigerjahren umkreisten und Düsseldorf ins Zentrum der Weltkunst rückte.

Apropos: Joseph Beuys fehlt in dieser Liste der wichtigsten Düsseldorfer, weil er zwar ebenfalls viel für den Ruf Düsseldorfs als Kunststadt in der Welt getan hat, aber eben als Weltkünstler. Wilp war dagegen eng verzahnt mit der Werbeindustrie, die nach dem zweiten Weltkrieg und bis weit in die Achtzigerjahre hinein, ihre deutsche Hauptstadt in Düsseldorf gefunden hatte. Charles Wilp, der Mann mit dem Riesenfaible für die Raumfahrt, hat die Ästhetik der Werbefotografie und des Werbefilms nachhaltig geprägt, und einige seiner TV-Spots bilden die ästhetische Basis für die Videoclips, die mit MTV in die Welt kamen. Seine Bedeutung ist also in ästhetischer Hinsicht nur noch mit der Band „Kraftwerk“ zu vergleichen. Und obwohl er „nur“ assimilierter Düsseldorfer war, hat er sich außerhalb der schönsten Stadt am Rhein auch immer zu ihr bekant.

[10] Wim Wenders (* 1945)

Wim Wenders - noch ein großer  Filmregisseur aus Düsseldorf

Wim Wenders – noch ein großer Filmregisseur aus Düsseldorf

Als der Name Wim Wenders auf meiner Shortlist für diese Aufzählung der wichtigsten Düsseldorfer erschien, fragte ich mich: Wie viel Düsseldorf steckt in Wenders? Und konnte die Frage nicht eindeutig beantworten, weil sich die Antwort über seine Lebenszeit hinweg drastisch verändert hat. Zunächst: Wenders ist zwar in Düsseldorf geboren, aber nicht aufgewachsen. Er stammt aus einem katholisch-bürgerlichen, ausgesprochen wohlhabenden Elternhaus und hat sich schon ab seinem zwölften Lebensjahr als künstlerischer Mensch geoutet. Dass er zum Film kam, war eher Zufall. Genau wie seine Beteiligung an der Gründung des Filmverlags der Autoren. Seine Herkunft macht ihn zu einem Intellektuellen, der nicht an einen Ort gebunden ist – auch nicht an Düsseldorf. Nur entdeckt Wenders spätestens seit seiner Begegnung und Zusammenarbeit mit DTH-Frontmann Campino seine Geburtsstadt immer wieder und hat inzwischen hier auch einen Wohnsitz.

Deshalb kann es passieren – und es ist mir schon zweimal passiert -, dass man nichtsahnend am Abend oder in der Nacht durch Düsseldorf geht und dann einem großgewachsenen Mann mit Fotokamera in der Hand begegnet, der Aufnahmen macht. Und plötzlich ist man mit drauf… Denn Wim Wenders ist ja nicht nur Filmregisseur und dreht Werbespots, sondern er ist auch Fotograf. Und je älter er wird, desto wichtiger wird ihm offensichtlich die Fotografie. Und damit auch die Bewegung in Düsseldorf…

Mehr oder wichtige Anmerkungen

Schon merkwürdig: Vier der fünf Namen im zweiten Teil sind alliterativ – die Anfangsbuchstaben von Vor- und Nachnamen sind identisch. Wer weiß, ob und was das bedeutet. Nur einer, der noch nicht tot ist, hat einen Platz in der Liste gefunden. Politiker, Unternehmer und Sportler fehlen ganz. Aber natürlich ist die Auswahl subjektiv. Deshalb würden wir uns über Kommentare mit Vorschlägen für weitere wichtige Düsseldorfer/innen sehr freuen.

Auf meiner Shortlist standen auch die folgenden Namen: Campino (stellvertretend für „Die Toten Hosen“), Ralf Hütter (stellvertretend für „Kraftwerk“), Andreas Gursky, Joseph Beuys, Luise Rainer, Dieter Forte, Wilhelm Marx, Aloys Odenthal (stellvertretend für „Aktion Rheinland“), Hans Müller-Schlösser, Heinrich Lueg, Luise Dumont, Heinrich Spoerl, Maximillian Weyhe, W.T. Mulvany, Michael Schirner, Fritz Henkel, Alfred Sohn-Rethel, Peter Behrens, Peter von Cornelius, Carl Maria Seyppel, Hermann Harry Schmitz, Harry Piel, Lorenz Cantador, Ernst Poensgen, Carl Napp.

Ein Kommentar

  1. Der/die/das Maskottchen am

    Ja, wo zieht man die Grenze? Spontan fallen mir da noch so einige ein, die in den letzten Jahrzehnten wichtig (für mich) waren. Ich meine das die ganzen Musiker die Ende der 70, Anfang der 80er die Musik in (nicht nur) Deutschland mit geprägt oder beeinflusst haben dazu zählen sollten. Konkret die Jungs von DAF/Der Plan, die Krupps, Westernhagen, wichtig mir persönlich noch Trini und die Jungs von Mittagspause.