Ach, man sollte sich manche Nostalgie sparen. Denn es gehört einfach zum langfristigen Rhythmus einer Stadt, dass Gebäude gebaut und andere abgerissen werden. Wenn aber ausgerechnet die Schule, an der man seine ersten Jahre verbracht hat, verschwinden soll, dann stimmt das traurig und ruft Erinnerungen vor. Es geht um die Schule an Kirchfeldstraße im Häuserblock zwischen Jahn- und Talstraße. Die wurde Mitte der Fünfzigerjahre erbaut – wie so viele Volksschulen, die deshalb auch alle so ähnlich aussehen. Ich besuchte die Volksschule an der Kirchfeldstraße ab Ostern 1959 drei Jahre lang. Nachdem die Familie nach Pempelfort umgezogen war, wechselte ich auf die Volksschule an der Lennéstraße, die fast genauso aussah.

Mein erster Schultag - Ostern 1959

Mein erster Schultag – Ostern 1959

Wir wohnten in der Corneliusstraße 118. Das Haus gibt es schon lange nicht mehr. Heute residiert dort das Hotel Rubin. In den Jahren bis 1959 lag die Corneliusstraße von der Unterführung zur Erasmusstraße bis zur Ecke Bilker Allee noch in Trümmern. Das mit voller Absicht, denn im Zuge der fürchterlichen Tamm’schen Stadtplanung sollte sie zum Teil der autogerechten Nord-Süd-Schneise werden und deshalb auf doppelte Breite anwachsen. Als ich begann zur Schule zu gehen, war die Verbreiterung ab der Gabelung Berliner Allee und Oststraße bis zur Kreuzung mit der Bilker bzw. Oberbilker Allee schon vollzogen.

Der Schulweg

Auf dem Weg in die Volksschule an der Kirchfeldstraße wechselten wir an dieser Kreuzung die Straßenseite. Ampeln gab es noch nicht. Mitten auf der Kreuzung tat ein Schutzmann Dienst, der den Verkehr mit Handzeichen regelte. Einer der Polizisten, die hier für Recht und Ordnung sorgten, war Wachtmeister Schumacher. Im extrem heißen Sommer 1958 brachten wir ihm im Auftrag der Mutter Sprudelwasser, die wir an der Ecke deponierten. Er sah es und grüßte und freundlich. An der Ecke zur Oberbilker Allee (Richtung Innenstadt links) residiert heute eine Café-Bar der Firma Espresso Perfetto. Witzigerweise war der erste Ladenmieter die längst vergessene Kaffee-Kette „Überseekaffee“, wo unsere Mutter den Kaffee einkaufte.

Google-Maps: Kirchfeldstraße

Google-Maps: Kirchfeldstraße

Auf dem Weg in die Volksschule an der Kirchfeldstraße wechselten wir hier also zweimal die Straßenseite. Und kamen hundert Meter weiter am Schreibwarenladen vorbei, dessen Namen ich leider vergessen habe und der zum Entsetzen der Friedrichstädter vor rund zwölf Jahren für immer schloss. Dort versorgten wir uns nicht nur mit allem, was man so für die Schule brauchte, sondern auch allerlei Spielkram. Zum Beispiel fanden wir hier die mit Abstand größte Auswahl an Murmeln, die man in Düsseldorf „Dötze“ nennt. Gedötzt wurde nachmittags in der warmen Jahreszeit unter den Bäumen am Fürstenplatz.

Meine Lehrerin

Meine Lehrerin war Frau Christa Krämer, und die hatte eine sehr moderne Auffassung vom Heimatkundeunterricht. Anscheinend war es ihr Ziel, uns in immer größer werdenden Zwiebelschalen mit unserer Lebensumgebung und letztlich mit der Welt vertraut zu machen. Für sie wird Heimatkunde der direkte Vorläufer von Erdkunde gewesen sein. Ich erinnere mich noch ganz genau, dass sie uns als erstes Pläne der näheren Umgebung zeichnen ließ. Also des Häuserblocks, in dem unsere Schule untergebracht war, sowie aller acht angrenzenden Blocks. Diese Karte reichte also von der Friedrichstraße im Westen bis zur Corneliusstraße im Osten, von der Herzogstraße im Norden bis zur Bilker Allee im Süden. Vorher ließ sie uns eine Lageskizze der Schule mit allen Gebäuden und dem Schulhof erstellen. Und die Fassade des Hauptgebäudes abmalen. Das alles ist mir tief eingebrannt.

Manchmal erinnere ich mich recht intensiv an sie, wobei mir nicht ganz klar ist, ob ich sie nicht mit Doris Day verwechsele. Denn Frau Krämer war auch eine fröhliche Blondine, immer in Bewegung, meist mit schwingenden Röcken und einer hellen Strickjacke im Stile der Zeit gekleidet.

Der Schichtunterricht

Das Besondere aber war: Wir hatten Schichtunterricht. Zwar waren wir Kinder von 1952/53 noch keine Angehörigen eines besonders geburtenstarken Jahrgangs, aber es gab 1959 tatsächlich immer noch zu wenige intakte Schulgebäude. Also teilten wir uns die Räume mit den Schülern der künftigen katholischen Volksschule auf der Jahnstraße, deren Gebäude noch nicht fertig war. Das bedeutete ganz konkret, dass wir in der einen Woche vormittags dran waren, in der anderen dann nachmittags. Hört sich nicht besonders spannend an. Wobei die Wochen mit Frühschicht und dem Unterrichtsbeginn um acht Uhr morgens ja auch ganz normal waren.

Hatten wir Spätschicht, begann der Unterricht aber erst um 14 Uhr. Das war im Sommer blöd, weil es sich kaum lohnte, zum Spielen rauszugehen. Und außerdem mussten man dann vormittags die Hausaufgaben erledigen – die Tage waren einfach kaputt. Schlimm wurde es im Winter, wenn es kurz vor Weihnachten schon um halb fünf dunkel war und man immer noch in der Klasse hockte und verzweifelt versuchte, wach zu bleiben. Zum Glück hatte ich dieses Missvergnügen nur im ersten und zweiten Schuljahr, denn ab 1961 konnten die Katholenkinder in ihre eigene Schule um die Ecke gehen.

Das Ende naht

Die Schule zwischen Kirchfeld- und Talstraße ist über dreißig Jahre eine Gemeinschaftsgrundschule geblieben bevor sie Mitte der Neunzigerjahre zur Hauptschule umfirmierte und ab Anfang der Nullerjahre in Dumont-Lindemann-Schule umbenannt wurde. Dann fand man heraus, dass der Fünfzigerjahrebau bei einer der Renovierungen mit PCB-haltigen Stoffen verseucht worden war – wenn auch in relativ geringem Maße. Es gab 2015 einen Beschluss zur Sanierung, auch Mittel waren schon bereitgestellt.

Weil aber die Belastung weit unterhalb kritischer Werte lag, lief der Unterricht weiter, allerdings nur noch als Dependance-Betrieb, denn Hauptstandort der Dumont-Lindemann-Schule wurde das Gelände an der Weberstraße. Dann fand man weitere Mängel in den Bereichen Installation, Heizung und Isolation, und nun heißt es, dass meine alte Volksschule an der Kirchfeldstraße samt Sporthalle bald abgerissen werden soll. Und weil an dieser Stelle wegen sinkender Zahlen an Hauptschülern keine Schule mehr gebraucht wird, dürfte das Grundstück irgendwann dem Verdichtungswahn des amtierenden Oberbürgermeisters und den gierigen Bau- und Immobilienmenschen zum Opfer fallen.

3 Kommentare

  1. Hans-Jürgen Kempa am

    Hallo Rainer,
    der erwähnte Schreibwarenladen auf der Kirchfeldstrasse gehörte der Frau Kalwa.

  2. Claus Altendorf am

    Ich bin 1955-1958 auf die damalige kath. Volksschule an der Kirchfeldstrasse gegangen. Es war schon ziemlich schwachsinnig , diese religiös bedingte Trennung der Kinder mit einer Woche vormittags und einer Woche nachmittags Unterricht. Sie hatte auch zur Folge , daß wir die gleichalterigen evangelischen Kinder praktisch nicht kannten. Wir haben damals viel in Trümmergrundstücken gespielt. Besonders auf dem Gelände auf dem heute die kath. Grundschule steht. Wenn ich mich nicht irre , dann war mein Jahrgang 1955 der erste Jahrgang der als Erstklässler an der Schule eingeschult wurde. 1958 zogen meine Eltern dann von Düsseldorf weg.