Nein, nicht die Diva ist launisch, ihre Fans sind es. Wenn es ein Beispiel für Bipolarität gibt, dann sind es die Anhänger des TSV Fortuna Düsseldorf 1895, die mit schöner Regelmäßigkeit zwischen Himmelhochjauchzend und Zutodebetrübt changieren. Wirklich? Die Szenen nach dem Abpfiff des sehr schönen Sieges gegen Lautern sprechen eine andere Sprache. Zwar gab es ein paar Unentwegte, die nach der Humba riefen, aber die kam nicht, weil sich weder die Spieler in Weiß, noch die organisierten Fans auf der Süd so richtig im Klaren darüber waren, was das denn nun alles bedeutet: 7 Punkte nach drei Spielen, zweiter Tabellenplatz. Irgendwie scheint noch niemand dem Braten zu trauen. Und da hätte der gute Friedhelm Funkel gar nicht vor zu viel Euphorie warnen müssen: Die treuen Anhänger sind in dieser Hinsicht vorsichtig geworden. Dabei gab es mindestens zwei Spielszene, die nichts anderes verdient hätten als pure Begeisterung.

Die eine davon führte zum 2:0. Manche hielten es für einen Alleingang des tollen Florian Neuhaus. Die TV-Bilder der Zusammenfassung offenbaren aber, dass der sich nur deshalb in eine gute Schussposition durchtanken konnten, weil seine Mannschaftskameraden die Lauterer Abwehr geschickt und konsequent auseinanderzogen. So geht moderner Fußball! Dass die Leihgabe dann einen annähernd perfekten Strich aus zwanzig Metern in den Winkel torpedierte, war der verdiente Lohn. Die zweite Traumszene führte leider leider leider nicht zu einem Treffer und bestand aus einem perfekten Zusammenspiel des hervorragenden Jean Zimmer mit dem unermüdlichen Ihlas Bebou. Den spielte die Zimmer – von dem noch die Rede sein wird – per Hacke an, sodass Bebou – von dem ebenfalls noch die Rede sein wird – in eine klasse Position für eine Flanke in den Rücken der Abwehr kommen konnte.

Mann des Spiels

Es ist ja mittlerweile Usus, den oder einen der Torschützen zum Mann des Spiels zu wählen. So entschieden sich auch viele Freunde der Fortuna auf den verschiedenen Kanälen auch für Neuhaus. Und übersehen dabei die grandiose Leistung des Oliver Fink am gestrigen Tag. Der Mann, den „Oldie“ zu nennen so blöd wie unpassend ist, war immer überall und sorgte besonders in der zweiten Halbzeit für ständige Verwirrung bei den Verteidigern der Region. Natürlich ist sein Treiben nicht so spektakulär wie das des jungen Herrn Bebou, aber von einer Energie geprägt, die man in der vergangenen Spielzeit nur ganz selten und nur bei einzelnen Kickern der Fortuna erleben konnte. Das zieht die Kollegen natürlich mit. Und da macht es dann auch nichts, dass der bereits erwähnte Herr Neuhaus im Verbund mit Marcel Sobottka eher unscheinbar Einfluss aufs Geschehen nimmt.

Und so lässt sich der verdiente Sieg gegen den 1. FCK recht schnell zusammenfassen: Eine grundsolide Dreierkette plus ein engagiertes, kreatives Dreiermittelfeld multipliziert mit zwei quirligen Außenstürmern geteilt durch zwei, ja, was? Sturmspitzen? Und schon sind wir bei den Schwächen des Systems am gestrigen Mittag, die vor allem das quälende Spiel in der ersten Halbzeit prägten. Nun ist der junge Herr Zimmer nicht sehr groß, aber seine blonden Haarstacheln leuchten so, dass er eigentlich nicht zu übersehen sind. Und doch ließen ihn die Insassen der Dreierkette und die Mittelfeldler über mehr als eine halbe Stunde buchstäblich verhungern. Er machte sich dann gar nicht mehr die Mühe, Handzeichen zu geben, während er mutterseelenallein an der rechten Außenlinie vor sich hin wartete. Als man ihn dann entdeckte und endlich endlich endlich Pässe in seine Richtung schickte, löste das beim Publikum Spontanapplaus aus. Auch das Trainerteam Funkel und Hermann wird das bemerkt und in der Kabine angesprochen haben, denn in der Spielzeit Zwo verlagerte sich die Offensive zunehmend auf die rechte Seite, was die Fortuna für den Gegner immer gefährlicher machte.

Stärken und Schwächen des Ihlas Bebou

Die zweite Schwäche ist auch eine Stärke und heißt Bebou. Was freuten sich die Leute mit ihm darüber, dass er mit einem wuchtigen Kopfball nach großem Körpereinsatz in der 43. Minute den Führungstreffer ins Netz nagelte! Und wie sehr hätten ihm alle auch den zweiten Treffer gewünscht, nachdem er aus aussichtsreicher Position versemmelte. Aber ansonsten konnte er einem erheblich auf die Nerven fallen. Positiv an dem jungen Mann mit den beschi..eidenen Beratern, die ihn im eigenen finanziellen Interesse in die erste Liga reden wollen, ist seine Unermüdlichkeit, seine hohe Frustrationstoleranz, quasi sein Sisyphos-Faktor, der ihn immer und immer und immer wieder aktiv werden lässt, ihn immer wieder auf Ballgewinn programmiert, auf Dribblings – auch in aussichtsloser Lage – und auf Flankenläufe rechts und links. Wer viel macht, macht auch viel Fehler. Und so sind Bebous Ballverluste mittlerweile vorhersehbar. Wer, und sei er noch so schnell und trickreich, auf drei Gegner zu dribbelt, wird in acht von zehn Fällen die Pille verlieren.

Dass aus den zwei Erfolgsfällen rasch gute Chancen werden können, steht auf einem anderen Blatt. Und den immergleichen Übersteigertrick anzusetzen, um sich dabei selbst auszuspielen, ist auf Dauer auch nicht lustig. Die große Stärke des Ihlas Bebou ist aber, dass er eine komplette Defensive in nackte Panik versetzen kann, sodass sich Räume für andere bilden oder die gegnerischen Verteidiger ihm auf die Knochen geben, was zu Standards für die Fortuna führt. Leider klappt das Zusammenspiel mit Rouwen Hennings nicht besonders gut, zumal der sich gestern wieder einmal als Wühler betätigte und nur ganz selten da zu finden war, wo man einen Mittelstürmer vermuten sollte. Dass der später eingewechselte Emir Kujovic erneut einiges verstolperte, sei ihm zugestanden – dessen Zeit wird noch kommen.

Mehr so Sommerfußball

Die Partie zeigte in den ersten 45 Minuten alle Anzeichen von Sommerfußball. So schien es zumindest. Tatsächlich aber lag das öde Gekicke vor allem am System der Lauterer, das ihnen Trainer Norbert Meier verabreicht hatte. Zwei hochstehende Ketten mit vier bzw. fünf Mann machten im Mittelfeld alles enger als eng, und so versuchten die Fortunen immer wieder und irgendwie außen herum zu spielen. Weil die Kicker aus KL aber sehr diszipliniert agierten, ergaben sich keine Räume außen und keine Schnittstellen innen. So hatte sich die Begegnung eingerumpelt, nachdem die Pfälzer sich rund zwölf Minuten ziemlich offensiv gegeben hatte. Der Spielplan war zu erkennen: Schnelles Tor, dann zumachen. Auch wenn in der Teufel-Offensive drei superschnelle Spieler herumrannten, Effizienz geht anders. Zumal deren Spielzüge ebenfalls sehr vorhersehbar ausfielen. Und so kam der Gegner per Saldo nur auf zehn Torschüsse und (mit Wohlwollen gerechnet) zweieinhalb Torchancen.

Das Team der glorreichen Fortuna brachte es auf doppelt so viele Schüsse auf die Hütte und handgestoppte fünf gute Tormöglichkeiten. Und dann war da noch der nicht gegebene Elfer, der komischerweise für relativ wenig Aufregung sorgte; selbst Kaan Ayhan, der olle Hitzkopf, blieb gelassen – aber vielleicht hat er die Szene auch nicht mitbekommen. In der 48. Minute wurde nämlich Andre Hoffmann, der im Umfeld eines Standards nach vorne geeilt war, von einem Lauterer Verteidiger im Strafraum umgerissen. Der ordentliche Schiri Dankert stand ungünstig, und sein Assi an der Haupttribünenseite hatte nichts gesehen. Ein Videobeweis á la FC Bayern hätte mit großer Sicherheit zum Strafstoß geführt – aber wir will schon wirklich den virtuellen Referee in der zweiten Liga?

Zwei Erfolgsfaktoren

Was noch auffiel: Ähnlich wie in Bielefeld war eine deutliche konditionelle Überlegenheit der Fortuna-Kicker zu erkennen. Die Mannschaft des 1. FCK baute nämlich ab etwa der 75. Minute schon sichtbar ab, während die Jungs in Weiß noch einiges zuzusetzen hatten. Das spricht für eine ausgezeichnete Saisonvorbereitung. Womit der zweite Erfolgsfaktor für die angelaufene Saison benannt ist – der erste ist nach wie vor die hervorragende Arbeit des Scouting-Teams (Uwe Klein, Robert Palikuca, Goran Vucic), die diese Fülle an fantastischen Neuzugängen ermöglicht hat. Beides zusammengenommen eröffnen den Coaches ungeahnte Möglichkeiten – nicht nur der Rotation, sondern auch das Durchspielenlassen körperlich aufwändiger Spielsysteme.

Das alles lässt auf eine fröhliche Saison für die treuen Anhänger der nicht so launischen Diva hoffen. Hört man sich um, dann ist es auch das, was besonders die Leute auf der Süd sich wünschen: dass man nicht ständig bangen muss, dass man sich nicht ständig Frust abholen muss, dass man einfach mal eine ganze Spielzeit über Spaß an der glorreichen Fortuna haben kann. Ob und was am Ende dabei herauskommt, ist erst einmal nicht soooo wichtig. Deshalb ist Euphorie auch völlig überflüssig – noch…

Die Begleitumstände

Das Tischtuch zwischen den organisierten Fans, namentlich dem SCD und den Ultra-Gruppen, und dem Verein hat momentan einen ziemlich ausgefransten Riss. Die Situation ähnelt der zwischen dem DFB und den organisierten Fans deutschlandweit. Außer dass es kein dermaßen weitreichendes Dialogangebot seitens der Fortuna gibt. Die Anhänger reflektierten die Situation mit umgedreht aufgehängten Bannern und einem reduzierten Support. In den Ultra-Blöcken war bis kurz vor Schluss nur eine Schwenkfahne zu sehen, später wurde die Jan-Wellem-Fahne bei UD gezeigt. Dafür gab es ein traditionsreiches Banner, dass dem DFB vorschlägt, mit sich selbst den Geschlechtsverkehr auszuüben sowie passende beschriftete T-Shirts, die sich wachsender Beliebtheit erfreuen. Auch die Lauterer zeigten diesen Spruch, und der inzwischen obligatorische Wechselgesang „Scheiß-DFB“ erschallte gleich zweimal quer durch die Arena.

Dass derlei in der Sache vereinten Aktionen nichts an den Grundsätzen ändert, bewies die Tatsache, dass anschließend „Scheiß-Kaiserlautern“- und „Scheiß-Fortuna“-Rufe im jeweiligen Block mit voller Inbrunst ertönten. So schön es ist, dass „Scheiß-DFB“ das viel zu martialische „Krieg dem DFB“ abgelöst hat: Es steht zu befürchten, dass die Wechselgesänge rasch zum sinnlosen Ritual erstarren. Was auch immer die grauen Herren in der Schneise bewegt haben mag – das Dialogangebot an die organisierten Fans garniert mit dem Verzicht auf Kollektivstrafen ist ja recht eigentlich schon ein kleiner Sieg für die unermüdlichen Supporter.

Ein Kommentar

  1. VaterAbraham am

    Wow, wieder ein neues Wort gelernt: „Bipolarität“ – trifft den Nagel aber auf den Kopf. Apropos Kopf bzw. sich einen solchen machen: es täte mich doch schwer wundern, wenn die branchenübliche Formel „Willst Du Fortuna oben sehen, musst Du die Tabelle drehen“ in dieser Sasion keine Gültigkeit finden würde. Ich lasse mich ja gerne eines besseren belehren (ja, ich erwarte das sogar!), aber ich habe in den letzten zwei Saisons feststellen müssen, das eine (halbwegs) passable Hinrunde bei diesem Verein keinerlei Aussagekraft über den restlichen Verlauf der Saison hat.

    Zu schade, das Fortuna nach wie vor auf befristete Leihgaben angewiesen ist. Das sichert uns in dieser Saison vielleicht (möglicherweise) den 6. Tabellenplatz, aber was ist der schon wert wenn am Ende wieder wichtige und gute Spieler den Verein wieder verlassen, weil sie eben nur geliehen waren?

    Positiv bewerte ich die Ruhepausen für Bellinghausen und Schauerte, aus verschiedenen Gründen: bei Bellinghausen bin ich der Meinung, das er zwar einen hohen „einer-von-uns“ Faktor hat, andererseits hatte er IMHO seine beste Zeit in Augsburg. Somit wirkt er auf mich seit geraumer Zeit eher wie ein „Lumpi“ Substitut. Und wenn ich Schauerte am Ball sehe, frage ich mich immer wieder was an dem so viel „besser“ sein soll als seinerzeit an Levels? Das er zuvor eben nicht bei den Ostholländern gespielt hat und man ihn deswegen nicht unfair anfeinden kann/muss?!

    Positiv bewerte ich (trotz anfänglicher Skepsis) den Zugang von Hennings und die Tatsache das Fortuna sich im Sturm insgesamt verstärkt hat. Auf Michael Rensing lasse ich ebenfalls nichts kommen, da haben wir schon ganz andere Clowns zwischen den Pfosten gehabt. Zudem freue ich mich, das Fink wieder auf dem Rasen steht. Der ist, zusammen mit Bodzek, mittlerweile auch sowas wie ein Urgestein. Zumidest aber sind beide Aufstiegshelden. Und Helden braucht die Fortuna!