Die Geschichte ist mittlerweile legendär, obwohl es nur wenige Berichte darüber gibt: Im Winter 1972 trat das legendäre Ajax Amsterdam im Düsseldorfer Rheinstadion gegen eine gemischte Auswahl aus Spielern von Borussia Mönchengladbach und Fortuna Düsseldorf ab. So konnte man den langhaarigen Ferrari-Fahrer Günter Netzer einmal im Fortuna-Trikot erleben. Ajax war damals DAS Spitzenteam in Europa und gewann dreimal nacheinander den Europapokal der Landesmeister. Wir reden von der Ära, in der die Borussia fünfmal Deutscher Meister wurde, und von der Zeit des legendären Büchsenwurfes auf Boninsegna. Die goldenen Siebzigerjahre, zu deren Beginn die glorreiche Fortuna in die Erste Bundesliga aufstieg und anschließend zweimal Dritter wurde. Also das Jahrzehnt, in dem Auswärtsfans noch „Schlachtenbummler“ hießen und gerade mal die Kutten aufkamen.

Eher neutral

Die gegnerischen Mannschaften sah man als Zuschauer meist eher neutral. Zwar gab es unter den Anhänger auch Abneigungen, aber das Maß an Hass und Gewalt, das die Achtzigerjahre kennzeichnen würde, fand zwischen 1971 und etwa 1978 noch nicht statt. Im Gegenteil: Obwohl F95 und BMG aus benachbarten Städten stammten und quasi direkte Konkurrenten waren, gab es in den Sechziger- und Siebzigerjahren nicht wenige Fußballfreunde, die beiden Clubs anhingen. Mein 1967 verstorbene Vater war so einer (der übrigens auch den BVB mochte). Ich erinnere mich an langen Diskussionen zwischen ihm und meinem Onkel als die Borussia ihren Wunderspieler Albert Brülls 1962 an den FC Modena nach Italien verkaufte.

Beide Vereine waren bei der Gründung der Bundesliga nicht berücksichtigt worden und mussten sich den Aufstieg in den 60ern erarbeiten. Außerdem teilte man sich das Zuschauerpotenzial am Niederrhein – so gab es besonders in Neuss, Kaarst und drumherum nicht wenige Menschen, die sich gern die Spiele beider Mannschaften anschauten. Während es bei der Rivalität zwischen anderen Vereinen oft ein Spiel oder einen Vorfall als Auslöser gibt, verlief die Sachen zwischen der Fortuna und der Borussia eher schleichend und hatte viel mit der Radikalisierung der Fans im Verlaufe der 70er zu tun.

Andere Kreise

Diese Radikalisierung hat auch damit zu tun, dass sich an vielen Orten mit Bundesligamannschaften immer mehr sogenannte „Prolls“ zum Fußball hingezogen fühlten. Es ist ein Irrglaube, dass Fußball immer ein Arbeitersport war. Eher im Gegenteil. Noch bis weit in die Sechzigerjahre hinein fand man kaum Arbeiter in den Stadien. Überhaupt kamen die Leute damals hauptsächlich, um Fußball zu erleben – auch wenn man zur eigenen Mannschaft hielt, waren die Emotionen meistens doch eher begrenzt. In Düsseldorf waren es bis etwa zum Aufstieg 1967 eher die Angestellten und Beamten, die kleinen Geschäftsleute und die selbstständigen Handwerker, die ins Rheinstadion pilgerten. Mit dem Aufstieg aber wurde F95 auch interessant für die aufstrebende Jugendkultur – und die war klassenübergreifend.

Fußball wurde zum Teil der „Proletenkultur“, und gerade die jungen Arbeiter waren es gewohnt, sich in der Freizeit auch schon mal gewalttätig zu vergnügen. Man denke nur an die Rocker der Sechzigerjahre, an die Massenschlägereien mit den britischen Soldaten in der Altstadt und den massiven Boxereien auf jeder Kirmes in Düsseldorf. Dieses Testosteron-Phänomen schwappte ab etwa 1970 überall auf den Fußball über. Es bildeten sich Gangs, die sich als Fans verstanden und die Auseinandersetzungen mit den Gangs anderer Clubs suchten.

Gladpack ekelhaft

Auch im beschaulichen Mönchengladbach fand diese Entwicklung statt, die dort aber auch die Landbevölkerung ergriff. Leider kam es so, dass diese Sorte „Fans“ von BMG zu den ekelhaftesten der ganzen Liga zählten (neben den Hertha-Fröschen und den Äff-Zeh-Typen). Es waren BMG-Anhänger, die bei Auswärtsspielen marodierend durch die Städte zogen, Läden plünderten, Unbeteiligte belästigten und nach Belieben in die Gegend pinkelten und schissen. Und die Veteranen sind darauf bis heute stolz.

Vor einigen Jahren war ich mit dem Zug unterwegs nach Freiburg, angetan mit einem F95-Hoodie. Schräg gegenüber im Abteil saß ein leicht verwachsener Kerl, der ununterbrochen Bier aus Dosen trank und mich anstarrte. Irgendwann fing er an, auf die Fortuna zu schimpfen. Ein Sprachfehler hatte er auch, und bei jedem Satz sprühte er die Sitze mit seiner Bierspucke voll. Ich reagierte nicht. Und dann begann er, genau von den Heldentaten zu erzählen, die das miese Image des Gladpacks kennzeichnen. Von Märschen durch München, bei denen (O-Ton) „kein Spiegel an den Autos blieb“, von Touren nach Hamburg, wo sie die Landungsbrücken vollkackten und so weiter…

Große Auseinandersetzungen

Und weil sich die BMG-Leute so benahmen, waren sie bald mit den Anhängern aller anderen Vereine verfeindet – auch mit den F95-Fans. So kam es in den Achtzigern und überhaupt in den Jahren, in denen beide Mannschaften in derselben Liga spielten, regelmäßig zu mehr oder weniger schlimmen Auseinandersetzungen. Mit der Veränderung der Fan-Kultur ab etwa 1984 in Richtung Campanilismus spielte dann zunehmend auch die Konkurrenz unter Nachbar eine Rolle. Die geringe örtliche Entfernung führte – wie im Ruhrgebiet zwischen fast allen Clubs – dazu, dass auch die Typen zu den Auswärtsspielen kamen, die am Fußball wenig, an Gewalt aber stark interessiert waren.

Aus dieser Zeit stammt die große gegenseitige Abneigung, die sich auf Düsseldorfer Seite in bösen Bezeichnungen für BMG-Fans äußert: „Rautenärsche“ ist da noch harmlos; der gängige Ausdruck „ostholländische Pferdef***er“ diffamiert Gladbacher als dem Nachbarland zugehörig und bezieht sich im zweiten Teil auf die Bezeichnung „Fohlen“ für die jeweilige Borussia-Mannschaft. Wer – wie F95-Urgestein Paul Jäger – ausdrücken will, wie provinziell Mönchengladbach ist, redet nur von „Viersen-Süd“. Die Spitze der Abneigung stellt sich aber in einem Schmähgesang dar, der einen BMG-Fan-Gesang umdeutet: „Und wir schmeißen Stein um Stein auf die Elf vom Niederrhein. Scheiß-Borussia Mönchengladbach, denn du bist ein Scheißverein.“

Kommentare sind gesperrt.