Nachdem George W. Bush den „War on Terror“ angezettelt hat, wird immer wieder argumentiert, ob und wieviel persönliche Freiheit von Bürgern der Sicherheit geopfert werden darf oder sollte. Vielleicht ist die Frage „Freiheit oder Sicherheit?“ sogar das wichtigste Thema unserer Zeit. Ganz sicher aber handelt es sich um ein soziales Grundproblem, also um eine Frage, die jede soziale Situation und Beziehung begleitet. Wir wissen inzwischen sicher, dass die Beziehung zwischen Mensch und Hund eine einzigartige ist, weil es sich beim Canis familiaris um das einzige Haustier handelt, das die Evolution des Menschen mit geformt hat. Bradshaw spricht von Ko-Evolution und meint genau das damit: So wie sich der Hund im Zuge seiner Domestizierung auf den Menschen hin verändert hat, so hat sich auch der Mensch über die Jahrtausende auf den Hund zu bewegt. Wir wissen zum Beispiel, dass im Hirn des Menschen bei der Begegnung mit einem ihm bekannten oder vertrauten Hund ganz ähnliche Muster entstehen wie wenn er einen Verwandten oder Freund trifft. Das ist beim Hund nicht anders – das Bindungshormon Oxytozin wird beim Köter im selben Maße ausgeschüttet, wenn er mit seinen Leuten kuschelt, als wenn er mit Artgenossen zusammenliegt.

Und doch gibt es bei aller Gemeinsamkeit einen fundamentalen Unterschied. Der Hund ist aller Wahrscheinlichkeit das einzige Säugetier, das über zwei komplett unterschiedele Sätze an Verhaltensmuster verfügt, zwischen denen er bei Bedarf in Bruchteilen von Sekunden umschalten kann. Tatsächlich verhalten sich Haushunde im sozialen Kontakt mit Menschen beinahe wie Menschen – wenn man die Elemente abzieht, die rein physiologisch nicht möglich sind, also alles, bei dem die Hände im Spiel sind oder bei dem man aufrecht gehen muss. Diese Doppelfunktion besitzt der Mensch nicht: er verhält sich immer nach menschlichen Muster – egal ob er mit anderen Vertreter den Gattung Homo sapiens in Kontakt tritt, mit irgendeinem Tier oder eben mit dem Hund. Man könnte also sagen, dass so ein Fiffi über die höhere emotionale Intelligenz verfügt. Auf dieser Annahme beruhren ja diese ganzen sentimentalen Sprüche vom Hund, der sich fo gut einfühlen kann und deshalb der beste Freund des Menschen ist.

Nun kann man sich fragen, warum die Evolution den Canis familiaris mit diesen Möglichkeiten ausgestattet hat. Es handelt sich um eine Fähigkeit, die der Selbst- und Arterhaltung dient, denn die Töle hatte ja in der Anfassungsphase der Domestizierung, wenn sie in der Nähe der Menschen nicht negativ auffiel. Also passte sie sich an und versuchte, dem Menschen zu gefallen. Dieser „Will to please“ ist eine evolutionär entstandene Disposition, die per Zucht über die Jahrtausende verstärkt wurde, weil er die Basis für ein Grundgehorsam darstellt. Das Überlebenskonzept des Canis familiaris basiert darauf, sich von dem zu ernähren, was Menschen übrig lassen. Dafür musste er nah ran an die Hominiden. Dafür musste die Evolution aber übrigens auch seinen Verdauungsapparat anpassen, denn jeden Tag Fleisch gab’s in der Steinzeit weder für Mensch, noch Hund.

Will to please
Dem Menschen gefallen kann der Wuffi aber nur, wenn er weiß, wann er dem Menschen gefällt. Das hat diese wahnwitzige Fähigkeit erzeugt, die Körpersprache des Menschen entschlüsseln zu können. Wenn eher schlicht gestrickte Hundehalter sagen „Der versteht jedes Wort“, müssten sie nur sagen „Der versteht jede Bewegung, jede Geste, jede Mimik“ und lägen richtig. Versuche haben die These erhärtet, dass schon der Welpe ganz schön viel Menschensprache versteht, weil ihm vieles davon genetisch mitgegeben ist. Gleichzeitig hat die Evolution den Hund mit einem – verglichen mit anderen Säugetieren – enoren Lernvermögen ausgestattet. Und das wird vom Menschen dramatisch unterschätzt. In der Hundeausbildung ist dermaßen viel Müll möglich, weil sie immer noch weitestgegend auf Konditionieren setzte, also darauf erwünschtes Verhalten rein mechanisch in den Waldi zu drücken. Ob man das nun ausschließlich mit positiver Verstärkung oder aber auch durch Bestrafung tut, ist unerheblich – Konditionieren erzeugt Mechanik. Ausbildung setzt aber auf das Erwerben von Fähigkeiten.

Noch dramatischer ist es beim Versuch, unerwünschtes Verhalten abzuschaffen – davon leben ja inzwischen Hunderte sogenannter „Trainer“, die sich ganz dem „Problemhund“ widmen, und damit reich und berühmt werden. Herr Skinner hat nachgewiesen, dass man auch Menschenkinder per Konditionieren zu gewünschten Handlungen bringt, wurde dafür aber immer kritisiert, weil man die konkreten Maßnahmen für unmenschlich hielt. Moderne Pädagogen setzen auf Erkenntnis durch Üben. Indem Dinge, die gelernt werden sollen, immer und immer wieder geübt werden und der Lernende die Rückmeldung bekommt, ob er beim Lernen und Üben erfolgreich war, eignet sich der Lernende diese Dinge an. Die sitzen dann fest und gehen nicht flöten, wenn der Wirkung der Konditionierung nachlässt. Weil der Hund aber über menschliche Verhaltensmuster verfügt, kann auch er lernen durch üben. Moderne Hundeausbilder (die man selten im Fernsehen sieht, sondern oft eher in Hundesportvereinen antrifft) wissen das und wenden dieses Wisse an.

Hund will nicht frei sein
Was das mit Freiheit und Sicherheit zu tun hat? Zunächst soll das bisher Geschriebene helfen, mit einer extrem weit verbreiteten Legende aufräumen: Nein, der Köter will nicht „frei“ sein. Allein der Begriff „Freiheit“ ist eigentlich in Bezug auf das Verhältnis von Mensch und Hund fehl am Platz. Denn der Canis familiaris ist auf den Menschen angewiesen. Ohne den Mensch kann der Hund nicht überleben. Ohne eine menschliche Ansiedlung in seiner Näher, stirbt auch das erfolgreichste Streunerrudel schnell aus. Der Haushund ist in einem so hohen Maße domestiziert, dass er das Jagen zur Nahrungsbeschaffung generell verlernt hat. Müsste er sich von Beute ernähren, würde er schnell Mangelerscheinungen bekommen, immer schwächer und damit immer weniger erfolgreich sein. Um es noch einmal sehr klar zu sagen: Stirbt die Menschheit aus, stirbt auch die Hundschaft mit aus.

Die Vorstellung vom freien Hund, der ganz seine Natur lebt, ist romantisch, sentimenal und vollkommen falsch. Wann immer ein Haushund scheinbar versucht, Freiheit zu erreichen, hat er auf seine hündischen Verhaltensmuster umgeschaltet, ist also ganz Hund, ganz Instinkt. Da will er eben schnüffeln, jagen, buddeln, rennen, andere Hunde begrüßen, sein Revier markieren, soziale Rangfolgen klären und was die Natur den Caniden sonst noch so mitgegeben hat. Aber: Unser geliebter Wautz strebt nicht dauernd diese Hundefreiheit an und ist schon gar nicht „unglücklich“, weil er sie nicht kriegt. Eher im Gegenteil. Welcher Hundehalter kennt das nicht: Hasso ist abgeleint und geht weit, weit weg über die Wiese, weil da ein Kontrahent zu riechen ist oder eine schicke Hündin. Plötzlich hält er inne, dreht sich um und schaut, wo Herrchen und/oder Frauchen sind. Jedenfallls wenn er eine funktionierende Bindung zu seinen Leuten hat.

Die Evolution hat den Hund nämlich auch zum Sorgentier gemacht. Im Hintergrund macht sich jeder Hund Sorgen, dass die aktuelle, für ihn insgesamt angenehme Situation sich ändern könnte. Deshalb beobachtet er seine Menschen fast ständig und sehr aufmerksam und registriert jede Veränderung sehr genau. Und er nutzt seine menschlichen Verhaltensapparat, um deutlich zu machen, was ihm angenehm ist. Dabei setzt er ganz darauf, dass die für ihn verantwortlichen Menschen sich seine Sorgen zu eigen machen und ihm … ja, genau: Sicherheit geben. Sicherheit entsteht durch Berechenbarkeit, durch Regelmäßigkeit, durch Klarheit. Und weil er Canis familiaris über zig Jahrtausende gelernt hat, dass der Mensch für ihn sorgt, ihn ernährt und schützt, hat er beinahe grenzenloses Vertrauen in ihn, etwas, dass man bei Menschen Urvertrauen nennt.

Vertrauen ist gut
Erschüttert wird das Vertrauen, wenn der Halter es enttäuscht. Wenn das Futter über Jahre immer um 11:30 serviert wurde, plötzlich aber zu ganz verschiedenen Uhrzeiten, fragt sich Fiffi: Upps, was ist denn los? Irgendwas stimmt nicht… Und wenn der Hund unsicher wird, probiert er Verhaltensweisen aus, um die alte Ordnung und damit die Sicherheit wiederherzustellen. Aus Menschensicht kommen da bei merkwürdige Dinge zustande, die wir leider viel zu oft auch ausschließlich aus Menschensicht beurteilen. Haben sich beispielsweise die Gassizeiten geändert, beginnt Hasso plötzlich, alle paar Minuten zur Wohnungstür zu tapern, sich dort zu setzen und ausdauernd zu fiepen. Sein Halter denkt: Oh, er will raus. Und geht dann vielleicht auch ein paar Mal. Aber das ändert Hassos Verhalten nicht – der möchte, dass wieder zu den alten Zeiten gegangen wird. Denn wenn die Highlights des Tages zu berechnbaren Zeitpunkten passieren, gibt ihm das Sicherheit.

Viel wichtiger aber ist, dass sich der Fellträger auf seine Leute verlassen kann. Das heißt vor allem, dass die für ihn wichtigen Dinge regelmäßig geschehen und dass das Befolgen von Anweisungen beim Menschen immer dieselbe Reaktion auslösen. Überhaupt: Mit seiner durchaus beschränkten Intelligenz und vor allem seinem absolut fehlenden Gefühl für Dauer (ob man fünf Minuten oder fünf Stunden aus dem Haus ist, macht für Waldi keinen Unterschied – weg ist weg und da ist da) verwirren ihn ungewohnte und unerwartete Reaktion seines Herr-/Frauchens ganz erheblich. Warum, so denkt er (wenn er denn in der Art denken könnte wie wir) er, krieg ich Schimpfe, wenn ich da buddle, wenn ich doch sonst buddeln darf? Dass es seinem Halterpaar nicht gefällt, das Waldi mal eben die Rosenbüsche ausgegraben hat, kann er nicht nachvollziehen. Er müsste dazu erst lernen, dass es einen Unterschied macht, ob er sich im heimischen (oder einem fremden) Garten auffhält oder im Wald und auf der Wiese. Das ist aber Welpenkram, dem man auch schadlos wegkonditionieren kann.

Nicht vermenschlichen
Beim erwachsenen Hund ist das ganze angeborene und erlernte Geflecht aus hündischen und menschlichen Verhaltensmustern von großer Komplexität und zum Glück meist so beschaffen, dass er damit auch die schwierigsten Situation gut verpackt. So lange man ihm nicht ständig unterstellt, eigentlich ein Mensch zu sein. Womöglich ein ewiger pubertierender Halbwüchsiger. Er muss die Möglichkeit haben, seine hündische Seite im sozialen Kontakt mit Artkollegen auszuleben,um nicht autistisch zu werden, und er muss ausreichend Gelegenheit haben, seine physischen und psychischen Fähigkeiten (Lernen, Aufpassen, Finden, Rennen…) anzuwenden, um nicht zu verblöden. Das kann ihm nur bieten, wer begriffen hat, dass sein Fiffi nicht „mit anderen Hunden spielen“ will, dass er genauso gern mit anderen Wautzis wie mit Menschen kuschelt, dass er eben Hund ist und nicht Mensch. Erst dann kann auch der Mensch die Beziehung mit seinem Hund ganz erfassen und genießen.

Dazu gehört dann auch der harte Ton, der harsche Befehl. Darunter leider der Hund nicht, er nimmt es seinem Halter auch nicht übel. Im Gegenteil: Die starke und klare Führung gibt ihm Sicherheit. Und das ist, was der Canis familiaris anstrebt: ohne Sorgen mit seinen Menschen zusammenleben.

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