Jazz geht eigentlich ganz einfach: Du brauchst ein paar Leute, die ihre Instrumente beherrschen, den richtigen Spirit haben und sich was trauen. Die lässt du dann gemeinsam Musik in der Tradition der afroamerikanischen Musik der vergangenen 120 Jahre machen. Manchmal reichen auch zwei oder drei Personen oder gar bloß einer. In dieser Konstellation kommen ungefähr eine Million verschiedener Musiken heraus, die so weit auseinanderliegen können wie Erde und Mars, aber immer noch um die Sonne namens Jazz kreisen. Insofern ist ein Festival auch die bestmögliche Art, den Menschen den Jazz zu bringen. Und bei Licht besehen kann es keine besser Möglichkeit für ein Jazzfestival geben, als es im Wonnemonat in der schönsten Stadt am Rhein stattfinden zu lassen. Nun ist der Jazz aber auch eine Musik, die bei Menschen, den Jazz nicht kennen oder mögen, erhebliche Vorurteile auslöst. Denen kann man nur beikommen, indem man ihnen den Jazz auf dem Silbertablett serviert. Dass derlei Missionierung funktioniert, zeigt der ständig sinkende Altersdurchschnitt der Besucher der Düsseldorfer Jazz-Rally.

Brand New Heavies - Jazzrally 2015Die fand dieses Jahr zum 23. Mal statt und hat sich in einiger Hinsicht verändert. Das neue Trio, das fürs Programm zuständig ist, setzt insgesamt deutlich mehr auf die populären Formate, was in einem Fall leider zu einem völlig unjazzigen Konzert führte. Vielleicht haben die Brand New Heavies aber auch einfach das Prinzip eines Jazzfestivals nicht verstanden. Denn sie boten am Samstag im Festivalzelt auf dem Burgplatz einen ziemlich glattgebügelten Gig mit diversen Showeinlagen, die man eher im Bereich des R’n’B-Pops verorten würde. Das kam bei den Anwesenden gut an, sorgte aber auch für eine stetige Abwanderung der Jazz-Fans unter den Zuhörern. Auch wenn vielen Menschen der Dixieland- und der Traditional-Jazz beinahe populistisch erscheinen, zeigen die gut gelaunten Menschenmassen, die sich rund um den Carschhaus-Pavillon daran erfreuten, dass es auch ohne Pop-Kram geht. Und damit schon genug Kritik am Festival.

Bühne auf dem Marktplatz - Jazzrally 2015Wichtiger Anlaufpunkt für Leute, die sich zunächst einstimmen lassen wollte, war die Sparda-Bühne am Marktplatz. Hinterm Jan Wellem gab’s eine kleine Fress- und Trinkmeile, die dann auch von den unerträglichen Abschiedsjunggesellen frequentiert wurde. Vorne spielte u.a die Bigband des hiesigen Theodor-Fliedner-Gymnasiums nach besten Kräften oder auch das Bednarska Jazz Ensemble, das aus Schülern der Warschauer Musikhochschule rekrutiert wird.

Jazz-Auflauf am Uerige - Jazzrally 2015Zuvor konnte der Jazz-Freund genau wie der Normaltourist überall Jazz für umme kriegen – ob beim Dauser am Karlsplatz, wie erwähnt vorm Carschhaus oder ganz besonders beim Uerige zwischen dem Stammhause und dem Rondell und Bierbänken gegenüber. Hier war der Jazz dann reichlich rockig, aber wie sagte ein Besucher zu seiner Begleiterin: Ohne Jazz kein Blues, ohne Blues kein Rock und kein Soul, und ohne Rock und Soul gäb’s überhaupt keine Popmusik.

Im Zelt am Burgplatz - Jazzrally 2015War das Festivalzelt bei früheren Jazz-Rallys bei den Headlinern oft drastisch überfüllt, bietet das aktuelle Ding doch genug Platz für (fast) alle, die reinwollen. Um einer möglichen Überfüllung zu entgehen, hat man Zu- und Abfluss stärkerer Regulierung unterzogen und zudem bei einigen Gigs Reservierungskarten eingeführt, die dem jeweiligen Inhaber den Zutritt garantieren. Die Bühne drinnen ist jetzt so groß wie die Freiluftbühnen früher am Burgplatz, als bis zu 3.000 Menschen sich Top-Jazz von Größen wie Passport, Nils Landgren oder auch der Jazzkantine anhörten. Meistens übrigens bei mindestens ein bisschen Regen. Dieses Jahr erfreute sich das musikliebende Volk an zwei Tagen über Traumwetter, und am Samstagabend war’s lediglich ein bisschen zu kühl für die Jahreszeit.

Bill Laurance Project - Jazzrally 2015Noch ist er kein ganz Großer des zeitgenössischen Jazz, aber auf dem Weg dahin. Bill Laurance weiß das und agiert dementsprechend bei seinen Ansagen einen Hauch ich-bezogen, wenn er ständig betont, dass er dieses Lied für sein Album geschrieben hat. Dabei hätte er seine tolle Band deutlich mehr loben können und müssen. Allen voran den wunderbaren Trommler Sput Searight, den tollen Bassisten Michael League und die im Programmheft leider nicht mit Namen vorgestellten Damen an den Violinen, dem Cello und dem Horn.

Heavytones im Henkelsaal - Jazzrally 2015Dass es bei dieser exzeptionellen Band knallvoll im Henkel-Saal würde, hatte wohl nicht jeder auf dem Zettel. Denn eigentlich kennt man die „Heavytones“ ja nur als die Truppe, die bei Stefan Raabs „TV Total“ die ultrakurzen Jingles spielt und schonmal einen Gaststar begleiten darf. Ihr Potenzial haben die Heavytones aber immer gezeigt, wenn Raab für diesen oder jenen Wettbewerb gecastet hat und sie die Kandidaten unterstützt haben. Der Frontmann beschrieb anschaulich den Weg der Band von Nippes über Hürth nach Mülheim und dann per Langenfeld nach Leverkusen, und krönte diese Beschreibung damit, dass ein Auftritt bei der Jazz-Rally in Düsseldorf der lang erträumte Höhepunkt ihrer Karriere sei. Und dann spielten sich die acht Vollblutmusiker den Arsch ab, dass nicht nur ihr Schweiß von der Decke tropfte.

Max Merseny Band - Jazzrally 2015Wer nicht so bewandert ist im aktuellen Jazz, seinen Trends und Entwicklungen, für den musste der Auftritt des jungen Saxophonisten Max Merseny und seiner Band eine wahre Entdeckung sein. Auch wenn der Frontmann nach eigenem Bekunden immer ein bisschen zu viel redet auf der Bühne, stand doch die kraftvolle Musik im Mittelpunkt, die immer sehr funky ist, oft zum Hip-hop neigt und auch reggae-artige Dinge nicht auslässt. Dazu tolle Gitarrensoli von Ferdinand Kirner, perfekte Bassarbeit von Claus Fischer und natürlich die raumgreifenden, nie nervigen Soli von Max Merseny selbst. Dazu ein Keyboarder mit dem Gefühl für die richtigen Stimmungen und ein aufregender Drummer namens Felix Lehrmann. DJ Mayonga steuerte passendes Scratching bei und überraschte zum Abschluss mit einem situationsbezogenen Rap.

Marshall Cooper Brass - Jazzrally 2015Gäbe es sie nicht schon so lange, müsste auch die Formation „Marshall Cooper“ als Entdeckung gelten. Da zimmern vier Blechbläser flankiert von einem Schlagzeuger, der im Stehen spielt, und einem kongenialen Scratcher einen Sound, der sich gewaschen hat. Der Henkel-Saal war dazu am Samstagabend leider ein bisschen dünn gefüllt, sodass viele Jazz-Fans den perfekten Auftritt der Truppe verpassten. Die übrigens ihre Stücke mit Projektionen von fiktiven Kinoplakaten im Stil der 40er- und 50er-Jahre begleiten. Besonders schön die Cover-Version des alten Animals-Hit „Don’t led me be misunderstood“ entlang der berühmten Santa-Esmeralda-Linie.

Kein Mensch kann alles hören, was während der Jazz-Rally geboten wird, nicht einmal Afficionados, die am Donnerstagnachmittag anfangen mit dem Hören und am Sonntagabend zufrieden nachhause gehen. Vielleicht ist das auch die schwierigste Aufgabe für Besucher der Jazz-Rally, sich das richtige Programm zusammenzustellen. Aber es geht auch anders. Ein älterer Herr sagte zu seinem Kumpel: „Wir gehen jetzt einfach mal den Ohren nach Richtung Kö. Und wo’s uns gefällt, da gehen wir rein.“ Ein gutes Rezept für alle, die sich jetzt schon auf die Jazz-Rally 2016 freuen.

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