Es begann ja schon frustrierend zu werden. Ab Mitte März sollte eigentlich gerannt werden, aber ein ums andere Mal fielen die Trainingstage auf der Windhundrennbahn Dreiländereck in Stolberg aus. Die hatten uns die Züchter für das Antrainieren unseres Sloughi-Kerls empfohlen. Aus lauter Verzweiflung waren wir dann am Sonntag vor Ostern nach Gelsenkirchen gereist, wo der WRV Westfalen-Ruhr seine Bahn hat und Trainings anbietet. Aber an dem Tag regnete es, und es war kühl. Wieder kein Training. Am Mittwoch nach Ostern, hieß es, da gäbe es Jughundtraining. Wir sollten uns per Mail anmelden. Taten wir auch, hörten aber nichts vom Verein. Zum Glück hatte dann der Windhundrennverein Dreiländereck sein Training am Samstag nicht ausfallen lassen, sondern auf den Sonntag verlegt. Und so fuhren wir durchs malerische Industrieviertel von Stolberg mit der imposanten Prym-Nähnadel-Fabrik in die hügelige Landschaft außerhalb. Fast ganz oben auf einem Hügel findet sich dann die Windhundrennbahn. Wo der WRV Westfalen-Ruhr mit einem riesigen Gelände samt üppigen Stellplätzen für Reisemobile und einem ausladenden Freilauf sowie Vereinsheim glänzt, da besteht die Bahn in Stolberg aus der Bahn, einem winzigen Häuschen samt Dixieklo und ein paar Parkplätzen im Gras. Und die hat Franz-Josef Gillet vor 25 Jahren für seine eigenen Greyhounds maßgeschneidert gebaut – man sagt „mit seinen eigenen Händen“.

Dass hier eine windhundverrückte Familie am Werk ist, macht die Rennbahn Dreiländereck zu einem bodenständigen, ganzs aufs Rennen fokussierten Ort mit netten Leuten. Während Gillet persönlich auf dem Rennleiterpodest den Startvorgang überwacht und dem Bediener der Zugmaschine Anweisungen erteilt, betreut seine Gattin mit einem Vereinskollegen Halter und Hunde am Startkasten. Und im Häuschen bietet Omma Kaffee und Kuche sowie Bratwurst an. Wie gesagt: Die Bahn ist Gillets Werk:

„Vor über 25 Jahren traf man Franz-Josef Gillet noch mit seinen Greyhounds auf den Rennbahnen des DWZRV und auch im benachbartem Ausland an. Zu diesem Zeitpunkt gab es nur Rennbahnen mit einem Geläuf aus Rasen, jedoch die wenigsten mit einer Bewässerungsanlage. Nachdem er mehrere Pfotenverletzungen aufgrund von zu harten Böden bei seinen Hunden verzeichnen musste, fuhr er mit allen Hunden und Familie nach Spanien und hat sich dort die Profibahnen nicht nur aus der Entfernung angeschaut, sondern hat über mehrere Wochen dort seine eigenen Hunde laufen lassen.
Da sich seine Hunde dort nicht ein einziges mal verletzten, wurde die Idee geboren sich eine eigene Bahn zu bauen. Dies wurde in den Jahren 1979 bis 1980 in die Tat umgesetzt, und zwar nach dem Vorbild der Rennbahn Turia in Valencia .
Etwa 4 Jahre später wurde eine von Hand gegrabene ca. 600 Meter lange Zuleitung für Wasser gelegt, damit die Bahn regelmäßig bewässert werden konnte. (Quelle: Facebook-Seite des WDE Dreiländereck)“

Bisweilen wird man als Halter eines Wundhundes ja gefragt: „Und, rennt der auch?“ Allerdings haben 99,9 Prozent der Nicht-Windhundhalter eine völlig verquere Vorstellung vom Windhundrennen, die vor allem aus US-amerikanischen Filmen geprägt ist, die Windhundrennen meist in der professionellen Variante samt Wettbetrieb zeigen. Diese Form der Rennerei ist so gut wie ausgestorben. In Europa werden professionelle Windhundrennen überhaupt nur noch in Irland betrieben, in den USA gibt es sie praktisch nur noch in Kalifornien. In den meisten europäischen Ländern ist dieser „Sport“ aus Tierschutzgründen schlichtweg verboten. Und was man früher mit den Greyhounds – denn nur diese sowe Galgos in Spanien wurden eingesetzt – angestellt hat, ist mit dem Wort „Tierquälerei“ noch milde umschrieben. Aber nicht das Rennen an sich war die Quälerei, sondern die Art der Haltung.
Ein Sprichwort sagt: „Was das Fliegen für den Vogel, ist für den Windhund das Rennen.“ Ja, die Sichtjäger WOLLEN rennen und sind ganz bei sich, wenn sie rennen. Das bekamen wir von unserem Sloughi-Mann gestern intensiv vorgeführt. Als beim Trainingslauf eines anderen Köters zum ersten Mal der Hase durch sein Blockfeld flog, rastete Clooney völlig aus; er stand buchstälich senkrecht auf seinen Hinterläufen und wollte unbedingt hinterher.

Wie geht Windhundrennen?
Im richtigen Meisterschaftsbetreib laufen die Windhunde nach Rassen und Geschlechtern getrennt in Feldern von bis zu sechs (seltener acht) Kollegen gegeneinander. Die Teilnehmer kommen in die Startbox, ganz ähnlich wie beim Pferderennen. Die ist hinten, links, rechts und oben blickdicht; vorne gibt’s ein Gitter durch das die Töle auf die Startgerade sehen kann. Der künstliche Hase (dazu später mehr) wird an einem Seil gezogen, das über Umlenkrollen einmal rundherum um die Bahn läuft. Heutzutage ist es in der Regel eine motorgetriebene Seilwinde, die den Hasen zieht und deren Geschwindigkeit von einem Helfer nach Anweisung des Rennleiters reguliert wird. Ist der Hase in Sichtweite der Renner, springen die Gitter auf, und die Meute jagt los. Die meisten Bahnen sind 400 Meter lang, und weil die Startgerade zweimal durchlaufen wird, beträgt die Rundenlänge 480 Meter. Aber auch Bahnen mit nur 280 Metern Länge gibt es. Gelaufen wird auf Gras oder Sand. Weil Grasbahnen wesentlich aufwändiger in der Pflege sind und außerdem ein wesentlich höheres Verletzungsrisiko bieten, haben immer mehr Bahnen auf Sand umgestellt.

Die Bahn in Stolberg wird von F.-J. Gillet ständig nach den neusesten Erkenntnissen optimiert. Denn die Kunst besteht darin, ein Geläuf zu schaffen, dass einerseits hart genug ist, durch die Pfoten der Sprinter nicht in wenigen Durchläufen zerpflügt zu werden, und andererseits weich genug ist, die Gelenke der Windhunde zu schonen. Dabei spielt die Be- und Entwässerung ebenso eine Rolle wie die Art und Konsistenz des Sands. Die Dreiländereck-Bahn hat leicht überhöhte Kurven, was ebenfalls das Verletzungsrisiko minimiert. Das Feld jagt also dem Hasen hinterher. Während in Stolberg echte Kaninchenfelle gezogen werden, setzen andere Rennvereine beim Training bloß Flatterband oder Textilien ein. Außerdem wird es den Hunden beim Trainieren gestattet, den Hasen im Ziel zu greifen – das erhöht den Reiz. Dieses Ziel liegt am Ende der Startgeraden und hat einen Auslauf, in dem der Hase landet. Gewonnen hat der Hund, der als erster durch eine dort angebrachte Lichtschranke kommt, die dann seine Zeit misst. Nicht alle Bahnen sind mit Zielfotoanlagen ausgerüstet; dort bestimmt der Rennleiter, der erhöht an der Ziellinie thront, den Sieger.

Das muss der Rennhund können
Auch wenn alle Windhunde das schnelle Rennen lieben, mögen noch lange nicht alle das Bahnrennen. Außerdem müssen die Abläufe trainiert werden. Erst wenn ein Köter diese beherrscht, erhält er die Rennlizenz und kann an öffiziellen Wettbewerben teilnehmen. Am wichtigsten ist, dass der potenzielle Champion tatsächlich hinter dem Hasen herhetzt. Und zwar nicht nur mal eben die Gerade lang, sondern durch beide U-Kurven. Zweitens muss er damit klarkommen, in die Startbox – wie es heißt – „eingesetzt“ zu werden, um von dort aus loszurennen. Beim allerersten Versuch wird der Kandidat deshalb außerhalb das Kastens ins Rennen geschickt. „Wenn er die erste Kurve durchläuft, ist das die halbe Miete“, sagte man uns. Clooney absolvierte die erste Kurve völlig mühelos und verlangsamte in der zweiten kurz, weil der Hase an einem Huckel hochsprang und er ihn kurz aus den Augen verlor. Die Kenner lobten ihn und beglückwünschten uns.

Überhaupt: Schnell hatte ein älteres Ehepaar aus Neuss uns angesprochen. Die waren mit ihren zwei schon älteren Barsoi-Hündinnen da und nahmen uns ein wenig unter die Fittiche. Aber bis auf zwei überaus ehrgeizige Herren waren alle anderen Anwesenden und auch die insgesamt rund vierzig Hunde ausgesprochen freundlich. Wer seine(n) Hund(e) trainieren lassen wollte, trug sich in eine Liste ein und kam so an seine Laufnummer. In dieser Reihenfolge ging’s dann auf die Bahn. Clooney hatte die Nr. 19 – die Nummer, die hiermit zu seiner Glückszahl erklärt wird. Unser Sloughi war nicht nur vom Rennen extrem angefixt, sondern auch noch schwer verliebt in ein holländisches Whippet-Mädchen. Spielen ist allerdings auf der Bahn nicht erwünscht; die Hunde sollen lernen, dass dies der Ort fürs Rennen (Arbeit) ist und nicht für Freizeit und Spaß. Deshalb werden alle Tölen auf dem Gelände auch durchgehend an der kurzen Leine geführt.

Clooney hat’s drauf
Solch ein Trainingstag hat etwas sehr Kontemplatives, denn außer Warten und Plaudern gibt es nichts zu tun. Clooneys erster Lauf als Nr. 19 fand gegen 13:30 statt, eine Stunde nach unserer Ankunft. Die Liste ging bis Nr. 35. Dann gab es eine Pause. Nicht alle Hunde wurden ein zweites Mal auf die Bahn gebracht, sodass unser Sloughi schon um 15:30 wieder dran war. Dieses Mal sollte durch die Box starten. Dabei bleiben Hinterklappe und Gitter geöffnet. Angelockt wird er mit dem Hasen. Weil ich einigermaßen hektisch war, ging der erste Versuch in die Hose. Aber dann war er im Kasten und startete wie gewünscht – er absolvierte die Runde in knapp über 30 Sekunden, was einer der altgedienten Windhundherren mit einem „der hat Potenzial“ kommentierte.

Zweimal ist Clooney gerannt, und seitdem regeneriert er. Den Rest des gestrigen Tages hat er verschlafen, und heute war er auch eher wenig aktiv beim Morgengang. Das sei, so prophezeite man uns, völlig normal, weil renngeeignete Windhunde sich wirklich vollkommen auspowern und dann wirklich anderthalb Tage Ruhe brauchen, um wieder Kraft aufzubauen. Wenn wir als weitermachen mit der Windhundrennerei – und dagegen spricht wenig – wird sich den Sommer über der Wochenrhythmus deutlich verändern.

Sehr emotional war der Nachmittag. Lange hatten wir dem Rennen entgegengefiebert, und dank der tollen Atmosphäre und der netten Menschen in Stolberg sind wir jetzt infiziert. Und stolz auf unseren Bub, der seine Sache viel besser gemacht hat als zu erwarten war. Ja, das Hauptgefühl ist, als ob eines der eigenen Kinder in einer Sportart reüssiert hätte. Das hört sich für Nicht-Windhundbesitzer sicher komisch an, ist aber so.

[Foto: (c) Andrea Willers]

Ein Kommentar

  1. Fechner J. am

    Clooney und Phil werden sicher mal zusammen trainieren…alles liebe und Gruß aus Aachen