[Dieses Lesestück erschien zuerst im November 2010 auf dem Vorgänger-Blog „Rainer’sche Post„.] Nun bin ich ja ein geradezu manischer Lokalpatriot. Ich stehe dazu, mache mir aber immer wieder Gedanken darüber, wie es so weit kommen konnte. Es gibt eine quasi übergeordnete Ebene: Düsseldorf ist meine Heimat. Wie Heinrich Heine bin ich hier nicht nur geboren, sondern denke in der Nacht in der Fremde auch immer an diese kleine Stadt am Rhein. Tatsächlich vergleiche ich jede Stadt, die ich kennenlerne, instinktiv mit Düsseldorf. Wenn so ein Ort keine richtigen Fluss hat, fällt er schon mal aus dem Raster. Fließendes Wasser muss schon sein. Und es muss mehr sein als irgendein Bach – wie der Main in Frankfurt. Scheint so, als mache der Strom viel vom Heimatgefühl aus. Ja, es ist ein Gefühl. Ein ganz subjektives, irrationales, das keine Fakten braucht, um wahr zu sein. Übrigens bin ich mit allen Lokalpatrioten solidarisch, sogar mit Kölnern! Wenn ein Mensch eine Heimat (gefunden) hat und sich zu ihr bekennt, ist er mein Kollege. Aber auch auf der Faktenebene bin ich ein Fan dieser Stadt.

Da tut es schon weh, wenn der notorische Wowi-Bär angesichts der Tatsache, dass man uns den ESC zugesprochen hat, einen komisch riechenden Erguss Anti-Düsseldorf-Ressentiments von sich gibt. Vor allem, da sein Vorurteilsgeschwafel ganz frei von faktischer Basis und sogar ganz weit weg von den üblichen Klischees ist, mit denen Fremde diese Stadt etikettieren. Meist heißt es ja, Düsseldorf sei total schicki-micki. Da wird die Kö als Beleg angeführt als sei sie typisch für unser Dorf. Düsseldorf sei „reich und langweilig“ lässt der zukünftige ehemalige und noch regierende Bürgermeister der Hauptstadt verlauten. Klar, wenn man eine Metropole regiert, die arm und chaotisch ist, kommen einem alle anderen Orte reich, aber langweilig vor.

Die längste Theke

Tatsächlich trägt Düsseldorf ein Janusgesicht: Die Stadt ist reich und arm zugleich. Sie ist auch spannend und langweilig – je nachdem, in welcher Lebenssituation man sie kennenlernt. Und welche Seite man betrachtet. Aus Sicht eines Junggesellen aus dem Sauerland, der den Vorabend der Hochzeit mit seinen Kumpels in der hiesigen Altstadt verbringt, ist Düsseldorf eine Art alkoholgetränkte Dauerkirmes. Es heißt ja auch, wir hätten die längste Theke der Welt. Dass die aber erst nach dem Ende des zweiten Weltkriegs überhaupt als Kneipenviertel bekannt wurde und über fast 20 Jahre hinweg (ca. 1975 bis 1994) nahezu ausschließlich von Düsseldorfern frequentiert wurde, weiß so ein Provinzknalli natürlich nicht.

In den Fünfzigern war es der Jazz (Kreuzherreneck, Downtown, Dr. Jazz, Pötzke), der die Szene beherrschte. Und die Studenten der Kunstakademie, die diese Kneipen als Wohnzimmer nutzten, wo sie nächtelang über Kultur filosofierten. Günter Grass hat das in der „Blechtrommel“ zutreffend beschrieben (Hinweis: Das Buch spielt in der zweiten Hälfte, also nachdem der Film zu Ende ist, in Düsseldorf…). Er war ja schließlich dabei und hat in den Pinten mitgejazzt.

Die gab’s da nicht immer in der Anzahl wie heute. Ich kann mich z.B. noch an die Schneider-Wibbel-Gasse erinnern als dort nur ein einziges Restaurant untergebracht war. Oder als es in der Kurze Str. nicht in jedem Haus eine Kneipe gab. So war es mein Vater, der in seiner Eigenschaft als Architekt der Hirschbrauerei eine Gastwirtschaft (das legendäre „Männeken Piss“) in das Eckhaus zum Burgplatz einbaute – das muss vor 1960 gewesen sein. Und im 19. Jahrhundert sah dieses Quartier, das den Kern der Stadt bildet, noch ganz anders aus: Es gab am Burgplatz eine Gastwirtschaft (da wo heute der „Goldene Ring“ steht) sowie eine Handvoll Weinhäuser in den Gassen – im wunderbaren Roman „Der Maulkorb“ von Heinrich Spoerl, der in einer Art verkleidetem Düsseldorf spielt, lässt sich das nachlesen.

Eine weitere Quelle ist ein Krimi für Kinder und Jugendliche mit Schauplatz Düsseldorf. Wilhelm Matthießen hat mit „Das rote U“ 1932 eines der erfolgreichsten Jugendbücher jener Zeit veröffentlicht, in dem die Altstadt und der mit Eisschollen bedeckte Rhein eine tragende Rolle spielt. Hier wird die Altstadt als enges, schmutziges und nachts beinahe unheimliches Viertel dargestellt.

Vieles was von außen aussieht wie langjährige Traditionen der Altstadt ist noch recht jung. So kam der Brauch, Sylvester auf dem Burgplatz zu „feiern“, erst in den Neunzigern auf. Die ersten Junggesellenabschiede datieren vom Anfang der Nuller-Jahre. Und so weiter…

Schickmicki-Kö

Weil es mich persönlich nervte, als Düsseldorfer dauernd auf die Kö angesprochen zu werden, unternahm ich vor Jahren einmal gemeinsam mit einem Freund eine private Umfrage. Wir gingen an einem Herbstsamtag auf die Königsallee und befragten die Passanten nach ihrer Herkunft. Wir trieben uns von etwa 11:00 bis gegen 14:00 Uhr dort herum und bekamen von rund 200 Menschen eine Antwort. Unter den Flaneuren fanden sich ganze FÜNF Personen, die sagten, sie wären Düsseldorfer. 5 von 200, also 2,5 Prozent… Je prächtiger die Leute gekleidet waren, desto provinzieller war ihre Herkunft. Ganz grob ließ sich die Klientel einteilen in einen großen Haufen Niederrheiner – von Bergheim bis Wesel -, zahlreiche Nasen aus dem Ruhrgebiet und dem Bergischen Land sowie um die 30 Besucher aus dem Ausland.

Der Düsseldorfer geht nicht AUF die Kö, sondern über die Kö – und zwar dann, wenn sie gerade auf dem Weg liegt, also beispielsweise auf dem Gang von Bilk in die Altstadt. Wir kaufen da auch kaum. Gut, das Sevens mit seiner Saturn-Filiale hat so viele Einheimische wie nie zuvor auf die Prachtstraße gelockt, und natürlich gibt es auch innerhalb der Stradtgrenzen peinliche Neureiche, die sich auf der Kö zur Schau stellen.

Über Jahrzehnte gab es genau einen Grund als Düsseldorfer AUF die Kö zu gehen: das wunderschöne Kino namens „Lichtburg“ – eines der schönsten Lichtspielhäuser im ganze Bundesland. Nachdem gierige Immobilienbesitzer den Betreibern vor ein paar Jahren Mondmieten abverlangen wollten, gaben diese auf. Statt dessen betreibt jetzt diese sinnlose Kaffeekette Starbucks dort eine Filiale, die sie „Flagship-Store“ nennt. Und so können sich die hirngewaschenen Shopping-Freaks aus der grauen Provinz nun ihren Kaffeeeersatz im Pappbecher auf der Kö holen.

Stadt der Mode

Auch wenn es gerade die Macher aus der maroden Metropole im märkischen Sand es nicht wahr haben wollen: Düsseldorf ist immer noch eine der wichtigsten Modestädte der Welt. Mich persönlich lässt das kalt, weil Mode nun so gar nicht mein Ding ist. Immerhin waren es die Igendo genannten Modemessen, die uns als Schüler und Studenten seinerzeit prima Jobs ausüben ließ – ich war in jenen Jahren ein fähiger Parkplatzwächter, der von den aparten Damen und den exaltierten Herren in den ungewöhnlichen Karossen manch gutes Trinkgeld einstrich.

Es war ja auch das, was uns den krankhaften Neid der Kölner eintrug, dass Düsseldorf seit den fünfziger Jahren nicht nur eine Modemetropole war, sondern ein Zentrum der bildenden Kunst in Deutschland und die erklärte Werbehauptstadt der Republik. Keimzelle all dieser Kreativität war (und ist teilweise immer noch) die Kunstakademie, die seit den Tagen Schadows (ab 1862) weltweit einen glänzenden Ruf genießt. Die Düsseldorfer Malerschule bildete das einzige Gegengewicht gegen die den Markt dominierenden Franzosen jener Zeit, und so zog das Gebäude am Rheinufer seitdem immer große Künstler aus aller Welt an. Dass die Künstler in dieser Stadt eine derart wichtige Rolle spielen, hat damit zu tun, dass die Düsseldorfer Kunstakademie eine der ersten Kunsthochschulen weltweit war, die das individuelle Genie des Malers als solches anerkannte und sich nicht nur als handwerkliche Ausbildungsstätte verstand. All die Klischees über den armen, aber fröhlichen Künstler, über die Bohéme, über das lockere Leben (siehe dazu auch „Der Maulkorb“) haben ihre Wurzeln in der Düsseldorfer Künstlergemeinde seit etwa 1870, 1880.

Und dieser Ruf war es, der zahllose Heimatvertriebene anzog, die schon immer Künstler waren oder es aufgrund der Kriegserlebnisse wurden. Es war die Kunstakademie, die zum Beispiel das Ehepaar Lorenz hierher lockte, wo sie mit dem Kom(m)ödchen das vermutlich einflussreichste politische Kabarett der BRD gründeten und betrieben. Ich hatte das große Vergnügen zwischen 1967 und 1970 regelmäßig für das Kom(m)ödchen zu jobben, weil die Mutter eines Schulfreundes dort Kostümbildnerin war. Und habe dabei die totale Vernetzung von Kunstakademie, Mode und eben Kabarett hautnah erlebt.

Die Industrie

Ehrlich gesagt ist es mir lieber, ein unwissender Bayer verortet Düsseldorf im Ruhrgebiet als eine Provinznase wirft uns Schickimicki vor. Denn Düsseldorf war bis vor nicht langer Zeit eine waschechte Industriestadt. Hier wurden Röhren gefertigt, Bleche gewalzt und Drähte gezogen. Hier baute man Lokomotiven und Kessel für Kraftwerke. Hier wurden (und werden) Autos gebaut. Hier besteht eines der größten Chemiewerke der Republik und hier gab es eine vielteilige Textilindustrie.

Wer als Reisender den Hauptbahnhof Richtung Osten verlässt, betritt den Stadtteil Oberbilk – den hat der große Düsseldorfer Schriftsteller Dieter Forte im Roman „In der Erinnerung“ (Teil der Trilogie „Das Haus auf meinen Schultern“) porträtiert. Er zeigt Oberbilk als qualmenden, lauten und schmutzigen Industriestandort, eingekreist von Bahndämmen, auf denen Tag und Nacht die Güterzüge daherrumpeln. Von der Stelle aus, die heute Bertha-von-Suttner-Platz heißt, zog sich eine Industrieschneise Richtung Osten, die bis nach Lierenfeld und Eller reichte. Da wo man in letzter Zeit das neue, monströse Gerichtsgebäude hingeklatscht hat, standen bis weit in die siebziger Jahre hinein die Vereinigten Kesselwerke mit ihrem markanten Schornstein. Das Viertel zwischen Erkrather und Fichtenstraße war fast vollkommen von den Klöckner-Werken (Bleche und Draht) ausgefüllt – ich habe da in den sechziger Jahren mal gejobbt. Thyssen Rheinrohr hatte seine Fabrik weiter östlich. Zwischen Lörick und Büderich wurde ein veritables Stahlwerk betrieben (ich glaube, es gehörte auch zu Thyssen…). In Rath baute die Maschinenfabrik Sack ihre Produkte, und der größte Teil ebendieses Viertels – von der Westfalenstraße bis zur Theodorstraße und entlang des Rather Kreuzwegs – bestand aus Mannesmann. Ja, dieser Industriekonzern war über mehr als 50 Jahre DAS Aushängeschild Düsseldorfs. Bis irgendwo ein zynischer und geldgeiler Arsch den Konzern für eine Handvoll Silberlinge an britische Besatzer vertickte.

Wo heute Mercedes seine Sprinter montiert und lackiert, bestand bis 1968 ein Werk der Auto Union AG, in dem die Pkw der Marke DKW gebaut wurden. Man hatte eine Fabrik des Rheinmetall-Konzerns übernommen. Dieses Düsseldorfer Unternehmen war in der Nazi-Zeit einer der wichtigsten Rüstungsbetriebe überhaupt und sollte von den Besatzungstruppen zerschlagen werden. Aber schon 1951 begann man in Düsseldorf-Derendorf wieder mit dem Bau von Geschützen… Die Produktion in der Gerresheimer Glashütte war dagegen auch während des Kriegs kaum zum Erliegen gekommen, die gewaltige Fabrik beherrschte den Stadtteil, den man schon damals hätte „Little Italy“ nennen können, den bereits in den zwanziger Jahren hatte man Arbeitskräfte für die Hohlglasproduktion in Italien, besonders in Venetien rekrutiert.

Die Leute

Im Jahr 1962 erreichte die Bevölkerungszahl in Düsseldorf den historischen Höchststand von rund 705.000. Der Wiederaufbau war beinahe abgeschlossen, und die Industrieproduktion auf ihrem Höhepunkt. Besonders durch die Zuwanderung von Flüchtlingen aus dem deutschen Osten war die Zahl der Einwohner von 1950 bis 1960 um über 200.000 angewachsen. Auch mein Vater kam nach Düsseldorf, weil ihm hier eine Wohnung und ein sicherer Arbeitsplatz winkten. Er war erst 1947 aus der britischen Gefangenschaft gekommen und in Schleswig-Holstein gelandet, wo seine Stiefmutter nach der Flucht aus Stettin gelandet war. Beim selben Bauer lebte meine Mutter mit ihrer Mutter; sie waren aus Ostpreußen, der Vater war unterwegs gestorben. Arbeit fand mein Vater, ein gelernter Maurer mit Notabitur, in Kiel. Dort fielen eines Tages die Anwerber des rheinischen Bauunternehmens Grünzig ein. Wer sich einstellen ließ, dem versprach man eine Wohnung im ersten wiederhergestellten Wohnhaus.

So zog die brandneue, eben mit einem Säugling vervollständigte Familie nach Düsseldorf, wo sie rund anderthalb Jahre in einem umgebauten Pferdestall in Lörick lebte, bevor dann Anfang 1950 das Haus Corneliusstraße 118 wieder bewohnbar wurde. Man bezog eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit Wohnküche, aber ohne Bad und Innentoilette im obersten Stockwerk. Wenn ich mich recht erinnere, war mein Vater nie besonders beeindruckt von Düsseldorf, er stammte ja schließlich auch aus Stettin, einer quirligen Hafenstadt, die vor dem Krieg kaum kleiner war als seine neue Heimat. Aber er integrierte sich nach Kräften, so wie es das Gros der Ostflüchtlinge tat, die von den rheinisch-katholischen Eingeborenen gern „Polacken“ genannt wurden. Besuche des Rosenmontagszugs waren Pflichtprogramm, und mein Vater wurde zweimal Schützenkönig beim Gästeschießen entsprechender Brauchtumsvereine.

Mein Onkel, der so weit ich mich erinnere, eine kaufmännische Lehre absolviert hatte, landete bei Heinrich August Schulte, einem metallverarbeitenden Unternehmen, das später von Klöckner aufgekauft wurde und noch später Teil des Thyssen-Konzerns wurde. Der Mann meiner Tante war Lagerist beim Autohaus Nordrhein, damals eines der größten VW-Häuser Deutschlands. Zu den Freunden der Familie zählte der Herr Kraft, der bei DKW als Autoschlosser arbeitete. Herr Fischer war ursprünglich Metallarbeiter, entschloss sich aber mit dem Start der Bundeswehr Berufssoldat zu werden. Onkel Paul, der ächte Ostpreuße, war von Beruf Ofensetzer und arbeitete in dieser Eigenschaft bei den Vereinigten Kesselwerken. Der hatte Tante Ida geheiratet, eine Schwägerin meiner Mutter. Deren Mann, Onkel Franz, war früh im Krieg gefallen und hinterließ vier Söhne, denen Onkel Paul ein toller Vater wurde – jeder einzelne von denen lernte ein solides Handwerk, und zwei von ihnen gründeten sogar eigene Betriebe. Gemeinsames Kind von Paul und Ida war Roswitha, die etwa so alt ist wie mein Bruder. Auf irgendeiner der vielen Geburtstagsfeiern, die man im Kreise von Freunden und Familien verbrachte, kam es zum Skandal: Roswitha hatte sich mit einem Italiener eingelassen! Toni hieß der und war Sizilianer, ein Frisör. Man verbot ihr den Umgang mit dem Itaker und ahnte nicht, dass die Familie (Tony war weitläufig mit dem besagten Dieter Forte verwandt…) dieses Itakers schon länger in Düsseldorf-Oberbilk zuhause war als man selbst…

Etwa ab Ende des siebzehnten Jahrhunderts gewann Düsseldorf eine gewisse überregionale Bedeutung. Bis dahin hatte man zwar auch schon ab 1380 die Residenzstadt der Grafen von Berg gegeben, war aber mit um die 2.000 Bewohnern innerhalb der Wallanlagen leichzeitig eine der kleinsten Residenzstädte im gesamten deutschsprachigen Raum. Auch wenn man Düsseldorf heute ganz eindeutig dem Rheinland zurechnet, war die Stadt über die Jahrhunderte aber doch eigentlich immer Hauptstadt des bergischen Landes. Auswärtigen ist meist auch nicht klar, dass der Grafenberger und der Aaper Wald die westlichsten Ausläufer dieser Landschaft sind. Und dass hier auch bis Ende des achtzehnten Jahrhunderts gar keine rheinische Mundart gesprochen wurde (wie in Köln, Aachen und am Niederrhein), sondern neufränkisch, eine Mundart, die man heute am ehesten im Siegerland noch hört.

Der durchgeknallte Jan Wellem brachte mit rasanten Bau- und Feieraktivitäten an etwa 1690 eine erste Blüte und Ausweitung von Stadtgebiet und Bevölkerung. Und in napoleonischer Zeit geriet das bergische Land mit seiner Hauptstadt in welthistorische Strudel. Natürlich war Düsseldorf ein paar Jahre französisch besetzt. Während aber das ebenfalls unter napoleonischer Besatzung stehende Köln fraternisierte, übten sich die sturen Bergischen im passiven Widerstand. So dankte man es dem kleinen Napoleon nicht, dass er die Stadt erneuerte und verschönerte und u.a. die Königsallee anlegen ließ.

Nach den Franzosen kamen die Preußen, und die mochte der Düsseldorfer noch viel weniger. Zumal die Preußen unser Dorf zur Garnisonsstadt machten, und das Militär hier rundum das Sagen hatte. Zwischen 1855 und 1858 stieg die Bevökerungszahl so um ein gutes Viertel an; der Zuwachs bestand allerdings durchweg aus Soldaten. Trotzdem war Düsseldorf in jenen Jahren ein eher beschauliches Städtchen, das von landwirtschaftlich geprägten Dörfern und Kleinstädten umgeben war. Zu jener Zeit war Düsseldorf noch nicht einmal die bevölkerungsreichste Stadt der Gegend; Kaiserswerth, Gerresheim, Benrath und selbst Bilk waren kaum kleiner, gleichgroß oder sogar größer.

Der große Sprung bei den Einwohner kam mit der Industralisierung und sorgte zwischen 1880 und 1900 für eine Verdopplung der Bevölkerung. Die erste Eingemeindungswelle im Jahr 1909 brachte Gerresheim und andere Orte, und 1929 kamen dann die Orte hinzu, die heute das Gebiet abrundeten, das sich Düsseldorf nennt. Dass irgendwann Garath und Hellerhof als Trabantenvorstädte hinzukamen sowie Angermund und Monheim (das seit 1976 wieder selbstständig ist), hat der Düsseldorfer an sich nie wirklich verinnerlicht. Als Köln sich an den über Jahrhunderte eigenständigen rechtsrheinischen Gebieten Porz, Poll, Deutz und Mülheim dick fraß, um endlich Millionenstadt zu werden, gab es auch in Düsseldorf Kräfte, die es auf die Eingemeindung von Büderich, Ratingen und sogar Neuss und Hilden abgesehen hatten. Aber im Gegensatz zu Köln gewann hier die Vernunft, und man beließ es bei dem Stadtgebiet wie es seit etwa 1930 immer war…

Im Viertel bleiben

Es waren auch die Eingemeindungen nach Süden und Norden, die Düsseldorf ein wenig dem Bergischen entfremdeten. Wer weiß was sich entwickelt hätte, wären Hilden und Erkrath hinzugekommen oder Langenfeld und Velbert. Vielleich zählte man uns dann immer noch zum Bergischen Land, und es wäre der Glanz der Stadt Düsseldorf, der ebendieses Bergische Land weltberühmt gemacht haben würde (bloß Spaß…). Das Rheinische kam durch die neuen Stadteile auf der linken Rheinseite (Ober- und Niederkassel, Lörick, Heerdt) und Benrath hinzu.

Noch heute meint ein Benrather einen Besuch der dortigen Fußgängerzone, wenn er sagt, er ginge „ins Städtchen“. Wie es überhaupt bei uns normal ist zu sagen, man fahre „in die Stadt“, wenn man das heimatliche Viertel verlässt. Auch wenn es von außen überhaupt nicht so gesehen wird: Das ächte Düsseldorfer Leben findet in den Vierteln statt. Allen vorn Flingern, der Heimat der glorreichen Fortuna. Bis etwa 1850 war dies eine recht wohlhabende bäuerliche Ortschaft vor den Toren der Stadt. Die Industralisierung schlug hier als Erstes und mit voller Macht zu. Noch heute zeigen ungezählte Innenhöfe mit Werkstätten und ehemalige Industriebrachen – zum Beispiel rund um den Flinger Broich – davon. Flingern war bis vor ganz wenigen Jahren ein fast reines Arbeiterviertel, weil man hier nicht nur Fabriken, sondern auch Mietskasernen errichtet hatte.

Ähnlich ging es Lierenfeld und auch Derendorf. Allerdings waren die Einwohnerzahlen dieser beiden Stadtteile immer viel kleiner als in Flingern. Auch Oberbilk war ein Quartier der Industriearbeiter und – wegen der Nähe zum Bahnhof – auch die Ecke mit dem bisschen Rotlichtmillieu, dass Düsseldorf zu bieten hatte und hat. Gerresheim ist bis auf den heutigen Tag eigentlich eine eigenständige, übrigens stark bergisch geprägte Kleinstadt, die vom Stadtgebiet durch die Ausläufer des Grafenberger Waldes deutlich getrennt ist. Wersten war bis vor fünfzig Jahren bäuerlich; erst der Bau der Uni in Stoffeln änderte das und brachte akademisch geprägte Quartiere. Eller ist Eller, bleibt Eller und ist ganz eigen. Pempelfort ist immer schon so urban wie Friedrichstadt und die Karlstadt. In Bilk leben die Künstler, die Studenten, die Kreativen, die Jungen, die Schönen, die Wilden und die ganz Normalen. Oberkassel hieß im Volksmund der sechziger Jahre „Over Castle“, weil es teurer und hochnäsiger war – nun ist der Stadtteil durch Bürowildwuchs fast entvölkert und merkwürdig geruchs- und geschmacklos. Es gibt die Rheindörfer, die genauso sind wie sich das anhört: Hammn, Volmerswerth, Flehe, Himmelgeist, Itter. Ecken wie Hassels und Reisholz, die von der Industrie schlimm zernarbt sind und von Miethaien bös zersiedelt. Unterrath, das in sich ruht – in jeder Hinsicht, denn eingekeilt zwischen Großmarkt, Mercedes-Werk, Fernzustrecke, Nordfriedhof und Flughafen können nur ächte Unterrather überleben.

Wer in Düsseldorf geboren ist und noch hier lebt, der landet irgendwann wieder in seinem Viertel. Weil es da gut ist. Wer vor Längerem zugezogen ist, hat irgendwann ein Viertel für sich entdeckt. Nur die Management-Nomaden, die viel verdienen, aber heimatlos sind, die suchen sich Ecken, von denen man ihnen vorgelogen hat, sie seien hipp und cool und angesagt oder exklusiv. Und da hocken sie dann in heillos überteuerten Wohnungen und wundern sich, warum sie nix mitkriegen.

Der Größenwahn

Man wirft uns vor, wir seien arrogant. Wenn es Arroganz ist, sich über neureiche Provinzknallis, flachhirnige Niederrheiner und gefühlsbesoffene Kölner lustig zu machen, dann sind wir arrogant. Nur Größenwahn, den konnte man uns Düsseldorfern lange nicht vorwerfen. Das hat sich in der Ära des verstorbenen Oberbürgermeisters Joachim Erwin massiv, nachhaltig und imageschädigend geändert. Man stelle sich mal vor: Zuvor war ätt Marlies Oberbürgermeisterin, eine bei der Rheinbahn angestellte, alleinstehende Sozen-Dame! Da war alles nett und klein und beschaulich, ja, überschaubar. Oder Kläuschen Bungert, dessen Großtat es war, Bund und Land Zuschüsse für den Bau des Rheinufertunnels (die beste stadtplanerische Tat seit dem Anlegen des Volksgartens!) aus dem Kreuz geleiert zu haben. Oder der Kürten Jupp, kreuzkatholisch, aufrecht und nett zu den Leuten. Der einzige Größenwahn, zu dem sich Düsseldorfer Lokalpolitiker nach dem Krieg hatten hinreißen lassen, war es, dem notorischen Professor Tamms in Düsseldorf freie Hand bei der Realisierung seiner Vision von der autogerechten Stadt zu lassen. Der ließ eines Schneise durch das alte Viertel zwischen Bahnhof und Kö schlagen, nannte sie Berliner Allee und band diese über die ebenfalls neu verlegte Fischstraße und den hochmodernen Kennedydamm an den nördlichen Zubringer an. Noch heute leiden die Menschen in Bilk und Friedrichstadt unter den so mitten ins Herz der Stadt gelenkten Autoströme.

Passend dazu arbeiteten sich ihm hörige Lokalpolitiker ab Mitte der Fünfziger am Thema „U-Bahn“ ab. Denn Düsseldorf hat nur deshalb eine U-Bahn, weil Tamms der Ansicht war, alles, was den Autoverkehr störe, müsse unter die Erde. So litten wir Bürger fast zehn Jahre lang unter der Buddelei, die dann nicht mehr brachte als eine Linie zur Neuen Messe in Stockum. Die sinnvollen Verbindungen nach Süden und Osten kamen Jahre später. Und nun ist man wieder dabei, um uns die so genannte „Wehrhahnlinie“ zu bescheren, die eine Reise vom Bilker S-Bahnhof zum S-Bahnhof Wehrhahn um sage-und-und-schreibe 2 Minuten beschleunigt.

Tja, und der Exilant aus Thüringen, der Mann, den keiner so richtig mochte, nicht mal seine eigenen Parteifreunde, der trat 1999 bei der ersten OB-Direktwahl gegen ätt Marlies an und gewann wieder Erwarten. Dabei hatte die hiesige CDU mit der mehr als grauen Eminenz Wolfgang Schulhoff den Joachim Erwin nur antreten lassen, um ihn nach seiner Niederlage entsorgen zu können – das sagen zumindest Leute, die 1999 dabei waren. Und der Mann hatte viel vor. Vor allem viel Bautätigkeit; kein Wunder hatte er sich doch mit einer Tochter des hiesigen Planungsimperiums Schüssler verheiratet, also sich einem Clan angeschlossen, in dem man beim Frühstück, Mittagessen und abends vom Bauen redet. Außerdem hatte der Mann mit dem markanten Gebiss vor, an Düsseldorf ein neoliberales Exempel zu statuieren. Dazu sollte Düsseldorf ganz im Sinne der global agierenden Anleger aufgepimpt werden.

Es war Joachim Erwin, der den Düsseldorfer einredete, die Stadt müsse global einen höheren Bekanntheitsgrad genießen; das würde Investoren anlocken und allen Bürgern nutzen. Sein Masterplan sah vor, die Stadt über den Sport zu profilieren – ein Modell namens „Sportstadt Düsseldorf“ wurde konzipiert, und der OB himself startet die Bewerbung Düsseldorfs um die Olympischen Spiele 2012. Dazu scharte er eine Gruppe Treuergebener um sich, die ihm auch nach dem kläglichen Scheitern der Bewerbung die Treue hielten. Kenner der Szenerie wissen zu berichten, dass es das persönliche Auftreten des Herrn Erwin war, das den Ausschlag zu Ungunsten Düsseldorfs gab. Beim erneuten Scheitern im Umfeld der Fußball-WM 2006 muss das sogar als gesichert gelten. Nicht einmal das Medienzentrum, dass der DFB Düsseldorfer Fußballfunktionären quasi versprochen hatten, kam hierher.

Machen wir es kurz: Der Oberbürgermeister Joachim Erwin und seine Erwinista waren es, die zwischen 1999 und 2008 das Image Düsseldorfs als Stadt der Reichen und Grüßenwahnsinningen geprägt und verbreitet hat, unter dem wir heute noch leiden. Man erinnere sich an die bundesweite Schadenfreude nach dem Scheitern der Bewerbungen oder auch angesichts der gescheiterten Großaktion „Roter Rhein“ zur Bambi-Verleihung 2007 in der Stadt. Und nun versucht sich der neue OB, den sie „Onkel Dirk“ nennen, in den zu großen Schuhen des Erwin. In ähnlicher Manier wie sein Vorläufer hat er sich um den European Song Contest beworben, und wie Erwin tut er so, als sei das sein persönliches Verdienst und der ESC ein (wörtlich!) „Jahrhundertereignis“. Zwar ist die Bewerbung nicht gescheitert, weil OB Elbers rund 10 Mio Steuergelder in den Ring warf; ob aber die Tage des Schlagerwettbewerbs eine positive Ausstrahlung haben werden, ist noch offen. Nein, das ist nicht Düsseldorf.

2 Kommentare

  1. Kleine Korrektur: Heinrich August Schulte war nicht metallverarbeitend sondern das Handelsunternhmen von Thyssen. Ich weiß das, weil ich dort von 1967 bis 1969 zwischen Abi und Studium eine Ausbildung, früher hieß das Lehre, als Kaufmann im Groß- und Außenhandel absolviert habe. In dieser Zeit durfte ich auch am Thyssen-internen Unterricht im Drei-Scheiben-Haus teilnehmen. Heute steht dort, wo Heinrich August Schulte angesiedelt war, die BMW Niederlassung Düsseldorf.

  2. Eine kleine Korrektur muss ich auch anbringen : Wenn man in Benrath in die Fußgängerzone geht, sagt man „ins Dorf“ und nicht „ins Städtchen“, zumindest die in den Achtzigern dort aufgewachsenen 😉