Als die Eisenbahn nach Düsseldorf kam und sich dort ausbreitete, entstanden entlang der Bahndämme das, was man heute „Gewerbegebiete“ nennen würde. Weil es in vorindustrieller Zeit begann, handelte es sich meist um Werkstätten oder Handelshöfe mit Schuppen. Die Fabriken entstanden erst ab etwa 1865, also zu Beginn der Gründerzeit, der Phase der ersten Industrialisierung. Ein wahres Prachtstück von Fabrik ist die (CCD) ehemalige Lakritzfabrik Münster an der Südostseite der Hildebrandtstraße in Friedrichstadt, die heute leider den doofen Namen „Creativ Center Düsseldorf tragen muss, dafür aber in den Achtzigerjahren schön renoviert wurde. Die begann 1895 als Fabrik für Blech- und Lackierwaren, unter anderem Kohleöfen und Badewannen. Rund zehn Jahre später übernahm das Düsseldorfer Lakritzenwerk Edmund Münster die Gebäude und begann mit der Herstellung der damals schon höchst beliebten Leckerei.

Zeichnung der Düsseldorfer Lakritzfabrik Münster

Zeichnung der Düsseldorfer Lakritzfabrik Münster

Diese Fabrik nahm und nimmt praktisch den gesamten Raum zwischen der Straßenseite mit den geraden Hausnummern und dem Bahndamm ein und heißt bei den Düsseldorfern nur „Maoam„. Das liegt daran, dass der gute Generaldirektor Münster 1930 die Lizenz eines US-Unternehmens für Kaubonbons erwarb und ab 1931 unter dem Markennamen Maoam auf den Markt warf – übrigens sehr erfolgreich. Der merkwürdige Name entstand als Abkürzung für den schönen Satz „Mundet Allen Ohne Ausnahme“.

Der Verfasser dieses Artikels ist in den Fünfzigerjahren um die Ecke großgeworden und kennt – wie es damals hieß – die Münsterfabrik aus jener Zeit. Außer Maoam und den traditionellen Lakritzprodukten gab es auf dem Gelände auch eine Keks- und Waffelbäckerei. Beim Pförtner konnte man für einen Groschen eine große Zellophantüte voll mit Waffelbruch kaufen. Auch Großpackungen der dort fabrizierten Süßigkeiten waren dort zu haben; aber leider keine Kleinmengen für uns Pänz. Diese Bäckerei produzierte für fremde Hersteller – u.a. für die Marke XOX, die seinerzeit führend war. Jeder kannte die VW-Bully im roten Design einer XOX-Keksdose; der Nachbarssohn Erhard war Lieferfahrer in solch einem Gefährt und nahm gelegentlich eins von den Kindern auf der Cornelius- und Hildebrandtstraße auf Lieferfahrten mit.

Google-Map: Hildebrandtstraße

Google-Map: Hildebrandtstraße

Wie so viele Betriebe der Lebensmittelproduktion wurde auch die Münster-Fabrik im ersten Weltkrieg umfunktioniert. Und zwar zur so genannten „Kriegsküche“. Hier wurden kesselweise Suppen und Eintöpfe gekocht und auf die Ausgabestellen in der ganzen Stadt verteilt. Besonders im Steckrübenwinter 1916/17 war diese Einrichtung überlebenswichtig. Die noch sichtbaren Schienen im Pflaster des Innenhofs erinnern an diese Zeit.

Dass die Maoam-Fabrik nur Teil eines Gewerbegebiets war, zeigt sich besonders auf der Straßenseite mit den ungeraden Nummern. Dort gibt es insgesamt vier Toreinfahren, die zu wunderschönen Hinterhöfen führen. Hier finden sich ebenfalls sehr alte Fabrikationsstätten, die heute natürlich von kreativem Volk als Büros genutzt werden. Nebenbei: Die Entwicklung dieser Seite der Straße ist ein Paradebeispiel der Gentrifizierung. Bis zur Eröffnung des CCD galt die Hildebrandtstraße als düstere, trostlose Ecke, wo niemand wohnen und arbeiten wollte. Entsprechend niedrig waren die Mieten. Und weil die Hinterhofgebäude durchweg in keinem besonders guten Zustand waren, stürzten sich die Künstler darauf und machten sie zu Ateliers. Damit und mit dem Creativ Center wurde die Hilde, wie Fans sie kurz nennen, ab etwa 1990, 1992 attraktiv für die damals hippen Typen. Außerdem: Auf der Straße gab es bis in die Siebzigerjahre hinein mehrere Läden: einen Metzger, einen Obst-Gemüse-Laden und einen Schuster. Die beiden erstgenannten Geschäfte wurden dann in Wohnungen umgewandelt und sind heute Büros.

Natürlich hat sich in den vergangenen gut 55 Jahren noch viel mehr verändert. Am auffälligsten: Die Bäume, die aus der Hilde eine Allee machen, gibt es erst seit Ende der Sechzigerjahre. An der Ecke zur Oberbilker Allee residiert seit 1985 das Restaurant Vulcano – ihr ergebener Geschichtenerzähler, der sein Büro damals am Fürstenplatz hatte, zählte zu den Stammgästen der ersten Generation. Der Schumacher zwei Häuser weiter, der 2003 oder 2004 aufgab, war Mitschüler aus der Zeit in der Volksschule an der Kirchfeldstraße. Auf der ungeraden Seite gab es vorne zur Corneliusstraße hin damals einen sogenannten „Bierverlag“, also einen Getränkehändler, bei dem wir im Sommer auch mal eine Sinalco abstauben konnten. Gleich gegenüber füllte ein Kohlenhändler den Winkel zwischen den letzten Häuser und dem Bahndamm aus.

Über die Jahre und nicht zuletzt dank der Gentrifizierung ist also aus der trüben Hildebrandtstraße eine Schönheit mit wunderschönen Hinterhöfen und einer interessanten Geschichte geworden.

4 Kommentare

  1. Wieder was gelernt. Ich hatte Maoam irgendwie immer in Neuss verortet.

    Die Hildebrandtstraße ist ziemlich cool. War mal in einer der Kreativschmieden zu Besuch. Man mag ja zu der Branche stehen wie man will, aber die Büros in den umgewidmeten Hinterhöfen machen echt was her.

  2. Habe selbst die ersten 16 Jahre meines Lebens in der Hausnummer 16 verbracht. Die Tüten von Edmund Münster, das Teilchen vom Bäcker und das Sauerkraut für ein paar Groschen „auf die Hand“ sind mir in sehr guter Erinnerung. Spielen an der Düssel, Fußball im Torweg, das Büdchen „ beim Büchi und der tägliche Gang zum Fürstenplatz. Das war schon eine tolle Zeit.

  3. Klaus Winkler-Vogels am

    Habe 16 Jahre auf der Pioniertrasse 95 gewohnt mein Name ist Winkler , ab 1950.

  4. Toll! Total interessant!
    Danke schön!!!
    Ich selbst bin aus Derendorf / Pempelfort und dort gab es ja ähnliche Verhältnisse und mir wurde jetzt durch den Artikel klar, dass dies wahrscheinlich auch mit der Nähe zu den Bahngleisen zu tun gehabt hat.

    Nochmal Danke❣