Wie gesagt: Wir Düsseldorfer Grüne waren Politamateure … und stolz drauf. Wir wollten ja eine Antiparteienpartei ganz im Beuys’schen Sinne sein. Im Laufe des Jahres 1979 gab es in Düsseldorf auch noch keinen nennenswerten Zustrom von Leute aus anderen Parteien. So bildeten eben die eher alternativen, kreativen und antroposophischen Köpfe den Kern, der umschwirrt war von Uraltlinken, Friedensmarschierern, Umweltschützern und Mitgliedern der unterschiedlichsten Bürgerinitiativen. Wir hatten einen leerstehenden Landen an der Ecke Cornelius-/Herzogstraße als Parteibüro angemietet. Dort traf man sich im Plenum mindestens einmal die Woche. Und es wurde diskutiert – immer auf Grundsätzen, immer basisdemokratisch, sodass noch der Verwirrteste seine Sichtweisen ganz darstellen konnte. Das war nicht sehr effektiv, und wenn Jürgen Binder, Martin Schata und noch ein paar Personen nicht dermaßen viel organisatorische Erfahrung und Arbeitsdisziplin eingebracht hätten, wer weiß, ob die Düsseldorfer Grünen nicht rasch wieder verschwunden wären. In anderen Städten gab es solche Vorgänge, dass die ursprünglichen Alternativen Listen nach der Umwandlung in eine Grüne Partei auseinanderfielen und die Parteistruktur von Neuankömmlingen übernommen wurde.

Jedenfalls reisten wir Mitte Dezember 1979 einigermaßen blauäugig zum Gründungsparteitag nach Hersel an. Der Schock kam schnell, denn dutzendweise hatten sich geschulte und bentonköpfige K-Gruppen-Kader zu Delegierten wählen lassen. Natürlich agierten die mit einer abgestimmten Taktik und versuchten, den Parteitag zu ursupieren – allen voran die K-Genossen aus Münster, die auf die satzungsgemäße Verankerung der Doppelmitgliedschaft pochten. Einige aus der Düsseldorfer Delegation – mich eingeschlossen – verstanden das Manöber zunächst nicht. Warum sollte jemand Mitglied bei den Grünen werden und trotzdem in der KPD-ML oder dem KBW bleiben wollen? Natürlich ging es den K-Leuten darum, die Macht in der zu gründenden Partei zu übernehmen, um sie dann zu einem weiteren Arm ihrer notleidenden revolutionären Bewegung zu machen.

NRW-Gründung in Hersel

Am eiskalten Gründungstag gab es ein stundenlanges Hin und Her, betrieben vor allem durch immer wieder neue Geschäftsordnungsanträge. Darin waren die K-Jungs firm, das kannten sie ja aus den diversen Studentenparlamenten. Zum Glück gab es auf dem Podium und im Saal ausreichend viele Sturköppe, die sich immer und immer wiedersetzten. Zwischendurch gingen wir an die frische Luft, um der stickigen Atmosphäre in der überfüllten Halle zu entgehen. Interessante Menschen lernte man kennen – so die Journalistin Thyra Quenzel, die von ihrer Begegnung mit Anwar al-Sadat berichtet oder Leute, die mit den alternativen Szene in Italien und woanders bestens vernetzt waren.

Schließlich hielt der spätere Gründungsvorsitzender, Wilhelm Knabe, ein ökologisch orientierter Forstwissenschaftler, seine berühmte Rede. Anhand eines Zollstocks zeigte er auf, dass die Altparteien nach dem Rechts-Links-Schema agierten und die Grünen begreifen müssten, dass sie vorne zu sein hätten, sollten sie erfolgreich sein. Der völlig unalternative Mann Mitte Fünfzig zog so alle Nicht-K-Leute auf einen Schlag auf seine Seite. Die Doppelmitgliedschaft wurde nicht in die Satzung geschrieben, ein Großteil der K-Gruppen-Typen zog aus, und nur ein Teil von ihnen schloss sich später den Grünen an.

Die Landtagswahl 1980

Im Mai 1980 standen Landtagswahlen in NRW an. Die große Euphorie hatte schon mit dem Einzug der Alternativen im Oktober 1979 in die Bremer Bürgerschaft begonnen und hatte mit dem Erfolg der Grünen in Baden-Württemberg noch Auftrieb bekommen. Also stürzten wir uns in den Wahlkampf. Meine damalige Partnerin und ich traten gemeinsam mit Hendrik Hendriks als Direktkandidaten an und wurden flugs vom Stern interviewt. Wir gründeten mit Bernd Kowol eine Straßentheatergruppe und spielten auf der Schadowstraße. Joseph Beys hatte ein Zelt auf dem Gründgens-Platz aufbauen lassen, dass interessierten Bürgern täglich mehr als 12 Stunden offen stand. Wir waren sicher: Mit dem Einzug in den NRW-Landtag würde die grüne Bewegung den ersten ganz großen Sieg erreichen.

Inzwischen war die Geschäftsstelle der NRW-Grünen nach Düsseldorf gekommen. Die Räume lagen in einem Multifunktionsgebäude im Hinterhof der Volksgartenstraße; da wo jetzt der griechische Großhandel von Polychronidis sitzt. Auch die Düsseldorfer Grünen hatten dort ein Büro. Inzwischen wurde allerdings deutlich mehr organisiert und weniger diskutiert. Die hitzigen Debatten fanden nun eher in den Kneipen statt. Immer mehr politisch Heimatlose, teils mit wirklich kruden Ideen, stießen dazu. Versammlungen fanden in einem ehemaligen Laden an der Oberbilker Allee statt oder später im Saal des Kolpinghauses an der Blücherstraße.

Das Wahlergebnis wollten wir im Café Grüner Mond an der Grafenberger Allee begießen. Taten wir auch, obwohl die Grünen mit knapp 3 Prozent die 5-Prozent-Hürde deutlich nicht überschritten hatten. Immerhin hatten uns andesweit fast 300.000 Menschen gewählt. In Düsseldorf lag der Anteil wie in fast allen Städten deutlich höher.

Erste Richtungskämpfe

Wir Düsseldorfer Grünen der ersten Stunde waren zufrieden. Aber immer öfter kamen wir in Gesprächen darauf, dass wir gar nicht mehr so anders als die anderen Parteien sein könnten, wenn wir ständig an Wahlen teilnehmen müssten. Also wurden AGs zu verschiedenen Themen gegründet. Die Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen Gruppen wurde wieder intensiviert. Und es gab wieder mehr inhaltliche Diskussionen. Ich erinnere mich an eine AG, die immer in den Räumen der Evangelischen Studentengemeinde an der Witzlestraße tagte. Meist wurde Jörg Immendorff zum Diskussionsleiter gewählt. Der war damals noch im Schuldienst tätig und lief – ganz ungrün – immer in schwarzem Leder herum. Einen souveräneren Moderator habe ich selten erlebt. Wir freundeten uns an, und ich hatte die Ehre, an einem großen Transparent, das Jörg für die grüne Kolonne bei den 1.-Mai-Umzügen schuf, am Hintergrund mitzuwirken. Er hatte damals sein Atelier in einem Hinterhof an der Gustav-Poensgen-Straße.

Auch im Beuys-Atelier wurde weiter über relevante Themen gesprochen, dies weniger in Form einer AG als eines von der FIU vorangetriebenen Diskussionskreises. Hier erlebte ich das erste und einzige Mal, dass Joseph Beuys einen Menschen beleidigte. Zu den Mitgründern – allerdings nicht in Düsseldorf – gehörte der heutige Vorsitzende des Deutschen Olympischen Sportbundes Michael Vesper. Ob der aus K-Zusammenhängen, von der SPD oder irgendeiner anderen linken Gruppierung kam, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls gab der eines Abends in einer Runde, in der vor allem der Beuys-Adlatus Johannes Stüttgen das Wort führte, ein ums andere Mal den pragmatischen Appartschik. Als er zunehmend unfair argumentierte, sagte Beuys plätzlich: „Vesper, du bist ein Arschloch.“

Wir wissen heute, dass Typen wie dieser Vesper dann politische Karrieren auf dem Ticket der Grünen machten. Denn auch in Düsseldorf setzten sich nach kurzen Grabenkämpfen immer mehr die sogenannten „Realos“ durch, während die Funds systematisch weggemobbt wurden. Schon 1983 unterschieden sich die Grünen in Düsseldorf und in NRW kaum noch von den Altparteien. Viele der Gründungsmitgliedern engagierten sich nicht mehr in der Partei, sondern wieder in Bürgerinitiativen und in der Friedensbewegung.

[Und hier geht’s zum ersten Teil.]

Ein Kommentar

  1. Guido v. Oertzen am

    Wieder einmal ein wirklich spannendes Stück Stadtgeschichte. Wann stieß eigentlich der berüchtigte Werner Vogel zu den Grünen Düsseldorf, oder war der nur in NRW-Gremien aktiv? Ich erinnere mich noch nebulös an ein mehrseitiges Interview mit Vogel im „Überblick“ ca. 1982, bevor dann seine Alterspräsidentenrede im Bundestag zu Beginn der neuen Legislaturperiode 1983 kurzfristig abgeblasen wurde.