Wenn ich mit dem Hund im Volksgarten / Südpark die Runde drehe, begegnen wir oft einer Frau am Ende der mittleren Jahre mit einem Langhaardackel. Bisher verlief der Kontakt immer freundlich. Heute sah sie meinen Windhund an und sagte mit einem verschmitzten Grinsen: „Der ist aber dünn. Kriegt der nichts zu fressen?“ Ich verstand den Witz und grinste pflichtschuldigst zurück. Dann sagte sie: „Ich hab im Rucksack einen ganzen Stapel Zettel mit Antworten. Lebe seit 40 Jahren vegan, da hört man immer denselben Unfug.“ Wir wurden unterbrochen, setzten das Gespräch aber fort, indem wir ein Stück zusammen gingen. Ich beschrieb ihr mein Verhältnis zu veganer Ernährung: dass ich jeden respektiere, der sich dafür entscheidet, dass mir aber der Hype tierisch auf den Geist ginge, und dass dieser Attila Hildtmann ein Volla**** sei. Sie stimmte zu und erwähnte, dass sie aus rein ethischen Überlegungen auf Fleisch und tierische Produkte verzichte. Wieder sagte ich, dass ich das für respektabel halte. Und beschrieb meinen Umgang mit dem Essen von Fleisch, Eiern und Milchprodukten. Spürte ihren aufsteigenden Ärger. Und dann fing sie mit einem Sermon an.

Der Mensch brauche keine Tiermilch, er werde ja als Kind abgestillt. Die Aminosäuren seien eigentlich unverträglich, und Milch sei praktisch pures Gift. Ich kommentierte das nicht. Dann: Der Mensch müsse kein Fleisch essen, er sei ja Allesfresser. Ich betonte, dass ich gern FFleisch äße, aber darauf achte, woher es stamme, dass ich auch schon einer Schlachtung beigewohnt habe und industrielle Massentierhaltung ganz fürchterlich fände. Das reichte ihr nicht. Sie begann weiter, meine offenen Türen einzutreten. Und beendete einen Satz, in dem die „China Study“ vorkam und – ich glaube – Konrad Lorenz, mit der Aussage: „Wir müssen kein Fleisch essen, wir müssen nicht töten. Und das ist die Wahrheit.“

Nun werde ich unruhig, wenn Menschen ethisch-moralische Aussagen mit „Das ist die Wahrheit“ beenden oder irgendeine Meinungsäußerung mit „Fakt ist…“ beginnen. Weil es mir außerdem zu blöd wurde, während der Hunderunde, die bei mir eher meditativen Zwecken dient, eine stehendfreihändige Moraldiskussion zu führen, sagte ich wörtlich folgendes: „Das wird mir jetzt zu rigide. An dieser Stelle möchte ich die Diskussion beenden.“ Da tischte sie aus: „Ja, so seid ihr. Wenn’s hart auf hart kommt, kneift ihr.“ Und dergleichen. Ich beschleunigte meine Schritte, um von der Dame und ihrem Dackel wegzukommen, rief ihr aber noch ein herzhaftes „Esoterische Missionarstusse!“ entgegen. Sie redete von da ab die nächsten 50 Meter, der Abstand wurde größer, auf mich ein, ich habe Vorurteile, das habe nichts mit Esoterik zu tun, das seien Fakten. Und und und…

Während des Heimwegs wurde mir klar, wo genau das Problem mit vielen Veganern sitzt, die ja hierzulande weit überwiegend aus dem bürgerlichen, oft aus dem großbürgerlichen Millieu kommen. Also aus den Kreisen, die immer vom Kapitalismus profitieren, aber ein ewig schlechtes Gewissen haben. Die – ich nenne sie mal so – „Alt-Veganer“ gehören meiner Erfahrung und Beobachtung beinahe immer irgendeiner esoterischen Denkrichtung an, sehr häufig dem radikalen bzw. hysterischen Tierschutz, nicht selten aber auch irgendwelchen verquere nicht-christlichen Religionen. Einige dieser Menschen, die den Verzicht auf tierische Produkte schon vor dem verrückten Hype der letzten sieben, acht Jahre betrieben haben, gehören in die Tradition der Reformbewegung und hängt gern unwissenschaftlichen Gesundheitstheorien an. So weit sind die aber alle harmlos – es sei denn, sie geraten in die Kreise der Verschwörungstheoretiker, die sich gerade am rechten Rand der Gesellschaft sammeln.

Die zweite Gruppe Veganer, die ich „aufgeklärte Veganer“ nennen würden, kommen von der vegetarischen Ernährung und führen vorwiegend gesundheitliche und/oder politische Argumente ins Feld. So diese Argumente fundiert und nicht bloß nachgeplappert sind, kann ich diese Leute absolut und uneingeschränkt respektieren. Und stelle immer wieder fest, dass es die Veganer sind, die am ehesten darauf verzichten, Fleischessern ein schlechtes Gewissen zu machen oder sie zu missionieren. Und die dritte Gruppe besteht fast ausschlielich aus Kids zwischen 16 und 32, die „vegan“ für irgendwie widerständig, rebellisch, cool und moralisch überlegen halten. Die nerven mich, ja, TIERISCH. Besonders aber diejenigen, die vegane Ernährung für eine Art politische Aktion halten. Denen werfe ich gern den Marcuse-Satz davon an den Kopf, dass es kein richtiges Leben im Falschen gebe. Konkret: Dass nicht der Verzicht auf tierische Produkte zum Ende des Kapitalismus führt, sondern dass das Ende des Kapitalismus zwingend das Ende der industriellen, tierfeindlich und menschenvergiftenden Fleischproduktion mit sich brächte.

Die Frage der Ernährung in der ersten Welt so in den Mittelpunkt zu stellen, ist völlig unpolitisch und meist nicht mehr als der Versuch, der moralischen Verkommenheit der Bourgeoisie zu entkommen. Denn das hat es, das Bürgerkind: Ein verdammt schlechtes Gewissen, dass es in Saus und Braus leben kann, während in den armen Ländern die Menschen verrecken. Und dieses Gewissen zu entlasten, dafür tut das Bürgerkind fast alles.

Eines noch: Veganer, die in diesen Beitrag jetzt wieder herauslesen, ich hätte Ressentiments gegen Menschen, die auf tierische Produkte verzichten, dürfen sich getrost zur Kategorie 3 gehörig zählen.

32 Kommentare

  1. Eine Frage, die man am Grab von Veganern niemals hören wird: „Wusstest du, dass er/sie Veganer war?“

  2. jupp flassbeck am

    Da es nach 23 Uhr ist, sei die Frage erlaubt wie es Veganer eigentlich mit Oralverkehr halten …

  3. Das sehe ich entschieden anders – wenn ich zwischen die so supertoleranten Altherrenwitze mal reinfunken darf:

    Der Spruch vom Ende des Kapitalismus, das das Ende unzumutbarer Zustände für Mensch und Tier en passant mit sich bringe,
    ist ja leider auch nur kapitalismuskritisches Gequatsche, und noch wirkungsloser als der moralische Ablasshandel der veganen Bourgeoisie…

    Die Ernährung nämlich als Luxusproblemkompensator reicher Schnösel mit Restgewissen abzutun, verkennt absolut, was Du hier ansonsten immer predigst:
    Systemveränderung durch Boykott. Wenig Anderes greift so tief in den industriellen Komplex wie Nahrungsverweigerung, bzw. Alternativernährung.
    Das setzt die Fraßketten und Supermüllmärkte unter Druck, und da es sich bei vielen Veggies um gebildete und recherchestarke Leute mit Internetkompetenz handelt, lassen die sich auch nicht von eine Cola ‚life‘ verarschen,
    den Marketing- und PR-Zuckungen von Nestle, McDoof etc., die es dennoch versuchen, dabei zuzuschauen, ist aber durchaus amüsant.

    Mir gingen die Veganer und andere Fressgutmenschen auch auf den Keks, bis ich verstanden habe, dass es hier schlicht um die Wirkung der Masse und um den Versuch geht, diese widerliche Tierverarbeitungsindustrie ausbluten zu lassen.
    Das hat monetäre und physische Folgen. Sogar Angst kann man bekommen, wie sich der Drecksverein, dem Skrupel ja nicht wirklich nachgesagt werden können, wohl zukünftig aufstellen wird. Vergleiche zur Atomindustrie sind wohl gegeben.

    Ich jedenfalls lasse Alternativernährende gerne quatschen, auch ob die Gruppe derer aus Mode, pragmatischer Überzeugung oder religiösem Wahn größer wird, ist mir völlig egal. Ich sehe hier den einzigen Wirkungsimpuls der Gesellschaft,
    mit einem persönlichen Opfer (das, ästhetisch und gesundheitlich betrachtet, in den meisten Fällen ja gar keins ist) eine Systemänderung herbeizuführen.

    Letzten Endes ist der 1.-Welt-Mensch ja ebenso eine Masttier der Nahrungsindustrie, nur eben als Endlager konzipiert (-:

    • jupp flassbeck am

      Als einer der witzigen alten Herren –

      ich habe selbst irgendwann mal vor mehreren Jahrzehnten mehrere Jahre vegetarisch, nicht vegan, gelebt.

      Die Argumente der Veganer gegen Fleischkonsum, gegen unsere industrielle Nahrungsmittelproduktion sind durch die Bank berechtigt.

      Alles richtig – wäre da nicht dieser missionarische Eifer, der mich ein bisschen an die Zeugen Jehovas erinnert.

      Ich zwinge niemanden Köfte, Lammkotelett mit Thymian und Rösti oder Currywurst zu essen. Ich missioniere nicht.

      Ja das ist gut was die Veganer machen – nur dieses permanente Missionieren, der Versuch mir vorzuschreiben was ich essen soll, nervt und ist für deren Anliegen eher kontraproduktiv.
      Ein bisschen habe ich auch das Gefühl dass manche Veganer ihren Veganismus als Mission verstehen weil sie sonst gar nichts anderes haben womit sie Aufmerksamkeit erzielen.

      Der Mensch ist mE. ein Allesfresser, womöglich haben wir nur dieses Hirnvolumen erreicht, weil wir über Jahrtausende unsere Artgenossen verzehrt haben …

      ——

      Einen habe ich noch:
      „Ich bin Veganer, ja!“ – „Cool – ich komm vom Saturn.“

    • Rainer Bartel am

      Gut gebrüllt. Und den Punkt getroffen.
      Kritisch aber die Argumentation nach dem Muster „Whatever works“. Nein, Boykott wirkt nur, wenn er auf Erkenntnis über die Zusammenhänge beruht. Ansonsten ist Boykott nur Attitüde. Und Attitüde ist, was die Bürgerkinder mit Abstand am besten können. Die können praktisch alles zur Attitüde machen. So mimikry-mäßig…

      Und, ja, ich weiß, dass im nächsten, nicht-kapitalistischen System Schluss sein wird mit der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, aber auch mit der Ausbeutung des Ökosystems durch den Menschen. Das ist quasi die wesentliche Antithese zum Kapitalismus.

    • 18andy95 am

      Vom Prinzip finde ich den Grundgedanken nicht schlecht: Systemveränderung durch Boykott.
      Allerdings richtet sich „das System“ aber auch immer ein Stück weit an den Leuten von denen es profitiert, die es sozusagen mit ihrem Konsum am Leben erhalten. Sollte es also gelingen, dass immer mehr Verbraucher auf vegane Ernährung umsteigen wird auch der Markt hierfür wachsen, was zur Folge haben wird, dass „das System“ in diesen wachsenden Markt vermehrt einsteigen wird. Großkonzerne werden die führenden Firmen in diesem Sektor übernehmen, bzw die Konzerne die jetzt bereits unsere indirekte Nahrung produzieren – also das Futter für das Futter – werden expandieren.
      Die Leidtragenden werden dann nicht mehr industriell gehaltene Tiere sein, sondern die Erdoberfläche, welche durch noch mehr Ackerbau und Plantagen – höchstwahrscheinlich in feinsten Monokulturen – nachhaltig geschädigt wird.
      Das System an sich wird durch Nahrungsumstellung niemand ändern, selbst wenn der komplette Planet vegan wird. Nur die Haupteinnahmequellen der Profiteure des Systems werden sich verlagern, denn konsumiert wird weiterhin, nur eben andere Produkte.
      Wenn Ihr wirklich das System ändern wollt, müsst Ihr das an dem einzigen Punkt tun an dem es ihm schmerzt: dem Kapital!

  4. Ich bin nicht mal Vegetarier. Meine Mission beschränkt sich darauf, keinen Müll zu essen und nicht gedankenlos plastikverpackten Aufschnitt in mich reinzustopfen.
    Ich bin also unverdächtig, die Moralkeule zu schwingen.

    Was mir aber auffällt, sind die vielen Pseudoargumente der Fleischesser: „Habe mal einer Schlachtung beigewohnt“, „ der Mensch ist ein Allesfresser“, „ich zwinge ja niemanden, Köfte, Lammkotelett oder Currywurst zu essen“…
    Weder legitimiert das Beiwohnen einer Tötung die Tötung selber, noch muss ich „alles fressen, was man fressen kann“, nur weil ich nicht dran sterbe, noch muss man den größten Teil der Bevölkerung dazu zwingen,
    Fleisch in sich hineinzuschaufeln – das machen die von ganz allein.

    Vielleicht habe ich auch einfach noch nie missionierende Veganer erlebt – im Gegenteil, mit Vegetariern und Veganern kann man oft toll über’s Kochen plaudern, weil viele (natürlich nicht alle…) das notgedrungen lernen und
    kreativer sind als die Bratwurstabteilung.

    Den Witz versteh‘ ich nicht… (-:

    • Rainer Bartel am

      Ich verstehe dieses generelle Tötungsverbot nicht. Womit begründest du das? Weshalb sollen Menschen Tiere nicht töten? Aus welcher philosophischen und/oder religiösen Quelle kommt das?

    • jupp flassbeck am

      „Den Witz versteh‘ ich nicht… (-:“

      https://de.wikipedia.org/wiki/Wega

      Und dann ist ein Weganer jemand der von da weg ist. Dass es anders geschrieben wird hört man ja nicht.

      Gut, ich gestehe, der Witz ist etwas bemüht – aber so sind witzige, alte Herren nun mal.

  5. Ja, Rainer, natürlich hoffe ich das auch, aber ich sehe das als Prozess, der hier und jetzt einsetzt und auch Statisten braucht, die aus Coolness keine Bifi mampfen,
    damit sie mit den anderen (orthodoxen, „berechtigten“) coolen Veggies abhängen dürfen. Oder anders: Mal die Marketinggläubigkeit und Eitelkeit der Mitläuferschaft für einen positiven Effekt nutzen.

    Machst Du mit allen Antifas einen Gesinnungscheck, bevor Du die am Mintropplatz bejubelst, weil sie PEGIDA an‘s Bein pinkeln?
    Oder ist vorstellbar, dass da viele einfach soziale Wärme abholen? Und dennoch eine gewünschte Außenwirkung haben? Oft entsteht ja auch durch’s Handeln erst Erkenntnis, sei es durch Beschäftigung mit dem Thema,
    sei es durch neue soziale Umfelder…

    Dein Aburteilen der Wohlfühlmitmacher hat was misanthropisches, da werd ich depressiv von (-:

    Nach Deiner These brauchen wir eine weltweite Erleuchtung zu einem fixen Termin, nach dem wir dann alle zusammentreten und gemeinsam auf Enter drücken für ‚mankind 2.0‘…ich glaub‘ nicht recht dran.

    • Rainer Bartel am

      Da reden wir jetzt bisschen aneinander vorbei. Das Problem mit den Attitüden ist, dass sie erkenntnisfrei, flüchtig und beliebig sind. Haben wir in den vergangenen 40 Jahren ja schon öfters gehabt.
      Natürlich ist Veränderung immer ein Prozess. Zu diskutieren ist, welche Schritte den Prozess fördern, welche nicht. Aber das Ende des Kapitalismus, wenn es denn käme, wäre a) Voraussetzung für mankind 2.0 und b) käme ziemlich plötzlich, weil kaum ein sanfter Übergang in eine völlig andere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung vorstellbar wäre.

  6. Zu Deiner Rückfrage: Ich schreibe ja nicht von einem Tötungsverbot – woher sollte ich das Recht dazu nehmen?

    Die aktuelle Tötungswillkür – und vor allem die ethisch völlig hirnrissige Unterscheidung von lebens (Hund, Katze, Hamster)- und schlachtenswerten (Rest abzgl. Ekelfaktor) Tieren
    geht mir aber auch nicht auf. Muss ich etwas beibehalten, was endloses Leid verursacht, weil ich es bisher auch getan habe? Aus Tradition, Evolutionsdenke (nicht, dass das Hirn wieder schrumpft ?) oder Hunger (haha)?

    Ich meine so: Veggies haben einen Fokus (statt wahllos rumzumümmeln), essen per Selbstdefinition (warum auch immer) kein Industriefleisch und setzen eine Bewegung an‘s Laufen, die idealerweise die komplette Ernährungswelt
    verändern kann. Das heißt nicht, dass man nicht auch weiter Fleisch essen darf – ich mache ja keine Gesetze, mich stören nur die vielen Scheinargumente. Warum man ‚müsste‘, warum man ‚sollte‘…das möchte ich nicht beurteilen.

    Ich glaube auch nicht, dass es auch nur einem griesgrämigen, missionierenden Veganer bisher gelungen ist, auf diese Weise einen Fleischfresser umzudrehen.

    • Rainer Bartel am

      Als Nicht-„Veggies“ (Was für ein blödes Kosewort…) habe ich auch einen Fokus, nämlich Industriefrass jeder Form nicht zu mümmeln. Das hat – wie bei Vegetariern und Veganern – drei Dimensionen: die moralisch-ethische, die politische und die gesundheitliche. Insofern unterscheidet mich von den V-Menschen nur, dass ich auch Fleisch esse.

    • Dudederdaist am

      „Veganer“ und „Fleischfresser“ – besser wäre „Gemüßefresser“ und „Mischköstler“
      Es ist schon unübersehbar, wie da immer dieser anfeindende und vorwurfsvolle Ton bei Veganern und Vegetariern mitschwingt, von dem sie sagen, dass er nicht da sei. Sagt was ihr wollt. Ich esse weiter Fleisch und bin dabei auch noch moralisch und ethisch überlegen – haha!

  7. Ja, weiss ich – ich les‘ ja aufmerksam Deine Artikel! – und ich halte es nach Kräften auch so. Anfangs musste ich überraschend viele Reflexe überwinden,
    inzwischen kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, was ich früher gedankenlos weggefuttert habe. Es geht mir darum, dass es für V-Leute ja quasi überlebenswichtig ist,
    sich mit Ernährung auseinanderzusetzen. Bewusstes Verweigern von Chemiemüll find‘ ich gut – egal, wie es jetzt zustande kommt. Ich schätze, wir sind da nah beieinander,
    nur, dass du eben auch die „korrekte“ Geisteshaltung miteinforderst – ich, ganz bewusst, nicht.

    Ich kenne die Gesinnungskämpfe der letzten 40 Jahren vor allem aus Büchern, Filmen und Erzählungen. Aber gerade die Gesinnung im Kampf
    sehe ich als künstlich erzeugte Polarisierung, die man schön gegeneinander ausspielen kann. Daher habe ich Sympathie für ein gesinnungsfreies Weiterkommen,
    das heterogene Haltungen zulässt und Platz lässt für Bürgersöhnchen/Töchterchen, Spinner, Mitmacher…wann hat denn Ausgrenzung und moralisches Überlegenheitsgetue bisher wen weitergebracht?

    Angelehnt an die Egoismustheorie des Kapitalismus a la Smith, vertrete ich die Theorie, das kompromissloser Qualitätssnobismus für Verbesserung aller Lebensumstände in der Nahrungskette führen muss (Achtung, die Theorie ist nicht zu Ende gedacht).
    Pardon, wenn ich hier so viel rumplapper‘ – ich finde das ein Top-Thema, das bei Dir hier immer wiederkehrt und gut in diversen Wunden rumrührt, danke!

    • Rainer Bartel am

      Wir sind so nah beieinander, da passt kein Salatblatt zwischen ;–))
      Ich würde auch nicht sagen, dass ich etwas einfordere. Ich fürchte nur, dass „richtiges“ Verhalten ohne den Überbau der Erkenntnis wirkungsarm bleibt.

      Natürlich arbeite ich mich deshalb an der Bourgeosie ab, weil es eben weltweit die Klasse ist, die von der Systemstabilisierung am meisten profitiert, wobei ja die Grenzlinie heute in den wohlhabenden Staaten eher zwischen Bürgern mit Besitz (Erben vor allem) und Bürgern ohne Besitz verläuft, weil uns der Arbeiter ja quasi unter den Händen weggestorben ist. Jedenfalls gibt’s von denen nur noch so wenige, dass man sich eine proletarische Weltrevolution abschminken kann.

      Danke fürs Rumplappern – mir persönlich bringt das nicht nur Anregung, sondern echten Erkenntniszuwachs. Das ist mehr als man erwarten darf.

  8. Guido von Oertzen am

    Kann den Standpunkt des Chefreds nahezu zu 100% unterschreiben. Allerdings ist der Satz „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ nicht von Marcuse, sondern von Adorno.

  9. Hallo,

    ich bin praktizierender Buddhist (Dzogchen) und somit ein „Anhänger“ einer „verquerten nicht-christlichen“ „Religion“ und wenn dir ein Buddhist erzählen möchte, dass ein Buddhist alles ablehnen (Alkohol, Fleisch etc.) und 20 Jahre unter einem Baum oder in einer Höhle leben muss, dann hat er ein bestimmtes Konzept (oder quasi ein Klischeebild) im Kopf.
    Sicher ist alles ablehnen und in einer Höhle leben EINE Methode …aber Buddha Shakyamuni beschrieb 84.000 Methoden.
    Schnell wird aus einem Weg, der zur Befreiung führt ein Dogma bzw. ein goldener Käfig („SO MUSS man leben!“), der vielleicht schön anzusehen ist („spirituell“ und „hippiemäßig“), allerdings auch nur ein anderer Käfig ist. Chögyam Trungpa nannte das „spirituellen Materialismus“.
    Große Praktizierende gehen hinter die Konzepte …wenn es „in“ ist zu fasten und alles abzulehnen, trinken sie Unmengen von Bier und essen Fleisch. (Drugpa Künleg, Tilopa, etc.) Ist es „in“ zu trinken und Unmengen von Fleisch zu essen, und sich irgendwie rauszureden .. dann leben sie in Zurückgezogenheit und fasten streng (wie Chatral Rinpoche). Wichtig ist es präsent zu sein ..aber das führt jetzt zu weit und ist zu philosophisch
    Wenn dir ein altveganer Buddhist o.ä. etwas erzählen möchte, wie man zu leben hätte, dann sag ihm er sollte hinter seine Konzepte gehen und du bist nur die Reflexion seiner eigenen Fehler!

    Bis dann!

    • Rainer Bartel am

      Gefällt mir sehr, dieser Kommentar. Und „hinter die eigenen Konzepte gehen“, ist exakt, was ich wichtig und richtig finde.

      • Von Chögyam Trungpa wurden mehrere Vorträge über das Phänomen des „Spirituellen Materialismus“ verschriftlicht und veröffentlich.
        Empfehlenswert ist „Cutting Through Spiritual Materialism“ (im Deutschen:“Spirituellen Materialismus durchschneiden“) und (eins meiner liebsten Schriften) „Crazy Wisdom“ („Verrückte Weisheit – Leben ohne Hoffnung und Furcht“); sehr empfehlenswert, auch für „Außenstehende“.
        In Crazy Wisdom wird beschrieben wie Guru Rinpoche (oder Padmasambhava), von dem ein bestimmtes Konzept oder Bild in den Köpfen vieler Buddhisten schwebt, hinter die eigenen Konzepte gegangen ist. Die deutschen Übersetzungen sind meistens nicht so gut, deshalb bevorzuge ich die englischsprachigen Ausgaben.
        Also falls es dich oder irgendjemanden interessiert ..so zum Horizont erweitern.
        Gruß,
        Christian

    • jupp flassbeck am

      Buddhismus würde ich eher als Weltanschauung denn als Religion bezeichnen.

      So als Anarchist finde ich mich dann in der Gedankenwelt des Zen-Buddhismus gut wieder.

      Buddhismus als Staatsreligion ist genauso wenig, wie andere Staatsreligionen vor dem Gift des Hasses gefeit, dies sieht man in Ceylon oder Myanmar.

      Die mit Religionen verknüpften Ernährungsgewohnheiten und -gebote haben zumeist ursprünglich ökonomische oder hygienische Gründe.

      • Ich finde irgendwie keinen richtigen Begriff ..ich nenne es Dharma oder „Dharma praktizieren“ oder so ^^

        Alle Wesen schaffen es selbst aus den besten und guten Dingen, schlimme und schreckliche Sachen zu machen.
        Auf Sanskrit nennt man dieses Konzept „Sa?s?ra“.

    • Hallo
      kennst Du das Buch „Der Buddha des Alltags “ von Richard Causton ?
      Ich hab das mal angefangen ,zu lesen. Am Anfang war ich überrascht und fasziniert. Irgendwann war ich/hab ich mich abgelenkt und den Faden verloren. Ich hab das Gefühl ,es wird höchste Zeit ,damit nochmal von vorne anzufangen

  10. Ich finde im Zusammenhang mit Veganer Ernährung wird ein entscheidender Punkt oft außenvorgelassen, nämlich die konsequente Zerstörung der Natur in Südamerika. Damit wir Hippen westlichen deppen die ganzen Sojaprodukte auch zu Genüge in uns rein stopfen können, wird speziell in Argentinien eine extrem aggressive Agrarwirtschaft betrieben, mit dem Einsatz schärfster Pestizide, welche die Menschen vor Ort auf perfideste Art und Weise tötet.

    • das hab ich auch gefunden (Treffer 1)
      „Soja als Futtermittel

      War die Sojabohne ursprünglich wegen ihres Öls und als alternative Proteinquelle für Fleisch als Lebensmittel geschätzt, ist die Ausweitung der heutigen Anbaufläche vor allem auf einen Faktor zurückzuführen: die zunehmende Nachfrage von Soja als Futtermittel für die Viehhaltung. Ungefähr 80% des importierten Sojas werden mittlerweile weltweit als Viehfutter verwendet. „