Neulich wurde ich von einer treuen Leserin meiner Rezepte gefragt, wie und wo ich denn eigentlich das Kochen gelernt hätte. „Gar nicht“ lautete die Antwort, denn ich habe weder in der Schule, noch in der VHS oder dem ASG Bildungsform oder gar bei einer dieser neumodischen Kochschulen je formell die Zubereitung von Speisen erlernt. Wenn überhaupt jemand den Verdienst, mich in dieser Sache angeleitet zu haben, für sich reklamieren möchte, dann meine erste Gattin. Die war von ihrer gestrengen Mutter nämlich gezwungen worden, nach dem Abschluss der Mädchenrealschule an der Franklinstraße noch ein Jahr Hauswirtschaftslehre an der Elly-Heuss-Knapp-Schule zu absolvieren. Wo sie natürlich Kochen mit allem Drum und Dran studierte und daraus ganz erhebliche und sehr leckere Kochkünste ableitete. Als Kind habe ich weder gekocht, noch irgendein Interesse an den begleitenden Tätigkeit an den Tag gelegt. Vermutlich habe ich mir erstmals im Sommer 1969 selbst eine Mahlzeit zubereitet, weil meine Mutter auf Kur war und uns Jungs daheim selbstversorgend allein gelassen hat. Es dürfte sich um das Erwärmen einer Dose Ravioli gehandelt haben. Miracoli kam viel später. Insgesamt war ich in Sachen Essen ein sehr mäkeliges Kind, das dies und das nicht mochte.

Eigentlich mochte ich das meiste nicht und fügte allem, was ich mochte, das Etikett „Lieblings“ bei. So wissen meine Geschwister noch heute, was mit Lieblingswurst gemeint ist. Ich hatte eine klare Tendenz zum Fleischverzehr, aber bitte nur, wenn keine Knochen drin, keine Haut dran und auch sonst nicht zu erkennen war, dass auf dem Teller die Reste eines toten Tieres Lagen. Folgerichtig bevorzugte ich Dinge aus Hack und Paniertes. Beim Gemüse hatte ich auch ein paar Favoriten: Blumenkohl, Rosenkohl und Kohlrabi. Fisch hasste ich – heute weiß ich, dass eine Allergie die Ursache ist und war. Nun aßen wir oft auswärts, weil mein Vater als Architekt vorwiegend Restaurants und Kneipen baute und von den Wirten gern zum Essen eingeladen wurde. Dabei lernte ich dann das Leckere von dem zu unterscheiden, was uns die Mutter auf den Tisch brachte. Ja, meine Mutter war eine lausige Köchin. Kein Wunder, hatte sie diese wichtige hausfrauliche Tätigkeit nie gelernt. Wie auch? Wenn man direktemang beim BDM (Bund deutscher Mädel) landet, dann per Reichsarbeitsdienst als Telefonistin hinter die Ostfront kommt, um dann als Flüchtling in Schleswig-Holstein zu landen.

Woher sie ihre schlechten Kochangewohnheiten hatte, weiß ich nicht. Viel hatte mit ihrer übertriebenen Sparerei, ja, Knausrigkeit zu tun, die aber ebenfalls eine Folge der „schlechten Zeit“ war, die sie ihre Jugend nennen musste. So wurde von Butter nur als „guter Butter“ gesprochen, die was Besonderes war, die man nur zu hohen Feiertagen verwendete. Genau so haben’s die Nazis dem willigen Volk ja in die Hirne gewaschen: Esst Margarine für den Endsieg! Also wurde bei ihr alles in Margarine gebraten, wobei die Margarine in den Fünfzigern und Sechzigern ein andere Stoff war als heute, mehr so Schmiermittel, aber zum Braten jedenfalls wenig geeignet. Das führte zum Beispiel immer zu verbrannten Zwiebelwürfeln – den bitteren Grundgeschmack vieler Gerichte habe ich heute noch am Gaumen. Ich will nicht weiter über Mutti am Herd lästern, die es wirklich nicht besser wusste. Mein Vater war da großzügiger, und wenn wir zum Einkauf nach Venlo fuhren, packte er ordentlich Butter mit ein – die dann aber doch wieder nur auf der Stulle endete. Apropos: Sonntagsbraten konnte Vati prima – vom Rind übers Schwein bis zum Geflügel. Alles gleichmäßig verkohlt und mit viel Soßenpulver zu Aroma bomben aufgepumpt.

Alles, was Mutti kochte, nur besser
An dieser Stelle muss ich ein Geständnis ablegen: Ich habe mich an meiner Mutter gerächt. Ihr letztes Lebensjahr über – sie ist am Rosenmontag 1981 im Alter von 59 Jahren an Krebs gestorben – habe ich sie quasi gepflegt. Und vor allem: bekocht. Dabei trieb mich mit Ehrgeiz dazu, all die leckeren Rezepte, die sie in meiner Kindheit verhunzt hatte, „richtig“ nachzukochen und ihr zu servieren. Natürlich ohne das je zu thematisieren. Ich erinnere mich noch an ihre leuchtenden Augen als ich das erste Mal Königsberger Klopse auf den Tisch brachte. Bei ihr waren das tennisballgroße, mit rohen Zwiebeln gespickte und rammfeste Fleischknödel in einer schweren Mehlpampe mit drei, vier Kapern. Ich bereitete ihr das Gericht ihrer Heimat aus Kalbfleisch mit einer samtigen Rahmsoße, in der viele, vorher sorgfältig abgetropfte Kapern schwammen. Dazu Petersilienkartoffeln und Kopfsalat in Joghurttunke.

Das Kochen hatte ich früher für mich entdeckt. Mehr so aus der Not heraus, denn meine befähigte Hausköchin besuchte das Abendgymnasium und griff nur noch sonntags zum Kochlöffel. So begann ich nach und nach mir selbst Mahlzeiten zuzubereiten. Oft noch Konserven, die mit frischgekochten Kartoffeln oder Reis aufgepeppt wurden. Oder mal was aus Ei: Rührei, Spiegeleier, Eier in Senfsoße. Dann die ersten Frikadellen. Rosenkohl nach Art meiner Mutter: Dabei werden Rosenkohl, Kartoffeln und Fleischbällchen getrennt gegart und dann mit einer Mehlschwitze zu einer Art Eintopf vereinigt. Manches schaute ich bei der Gattin ab, und ich fand mit zunehmendem Erfolg immer mehr Gefallen an der Kocherei.

Die Küche vom Hotel zur Post in Brüggen
Einen nicht unerheblichen Anteil an meiner Kochwerdung hat aber auch meine Schwägerin Anne – eine wirklich brillante Köchin. Ihre Künste kannte ich zunächst von gelegentlichen Einladungen zum Sonntagessen bei ihr, ihrem Mann Hans und Sohn Ralf. Hans war selbstständiger Maschinenhändler mit Sitz in Remscheid, die Familie wohnte in einer wunderbaren Villa in Radevormwald, die in Wohnungen aufgeteilt worden war. Dort gab es eine riesige Küche, an deren Tisch ein Dutzend Esser Platz hatte. Man konnte also sitzen und Anne beim Kochen zugucken, um das Ergebnis anschließend zu verspeisen. Allein ihre sanft in Butter gesottenen Spiegeleier zum Frühstück – ein Gedicht. Ihr wunderbarer Geflügelsalat. Wiener Schnitzel, perfekt. Und so weiter,

Dann hatte Hans keinen Bock mehr auf das Reparieren verkommener Werkzeugmaschinen und beschloss, Hotelier zu werden. Man erwarb das Hotel zur Post in Brüggen am Niederrhein; eigentlich ein Gasthof mit acht oder zehn Fremdenzimmern, in denen vor allem Nato-Soldaten wohnten, wenn sie auf Einsatz auf den geheimen Flugplätzen im Grenzgebiet zwischen den Niederlanden und Deutschland waren. Wir verbrachten viele Wochenenden dort, weil es immer nett und lustig war und es immer Essen und Trinken umsonst gab. In der riesigen Profiküche werkelte natürlich Anne. Und ich half. Guckte mir Handgriffe ab, kleine Kniffe, lernte, die Arbeit zu organisieren. So auch in der Vorbereitung auf ein Silvesteressen für die ganze Familie und Freunde. Seitdem weiß ich, was heißt, für zwanzig Leute zu kochen und trotzdem später mit am Tisch zu sitzen.

Physik, Chemie und Handwerk
Was mir schon sehr früh am Kochen so gefallen hat: Es ist das einzige Handwerk, das ich beherrsche. Über die Jahre habe ich oft versucht, Dinge zu reparieren oder etwas zu basteln oder so. Ich kann das nicht, habe eher drei, als zwei linke Hände. Habe immer gedacht, es läge am falschen oder schlechten Werkzeug, aber selbst mit den besten Schraubendrehern und Bohrmaschinen schaffe ich es nicht, einen Dübel ordentlich zu setzen, um dann einen Haken reinzudrehen. Verständnis für Mechanik fehlt mir weitgehend. Anders beim Kochen. Da bin ich manuell (inzwischen) sehr geschickt und weiß die passenden Werkzeuge für die richtigen Aufgaben zu verwenden. Mag damit zusammenhängen, dass mir vor gut 25 Jahren plötzlich klar wurde, dass Kochen auf Physik und Chemie beruht, also quasi wissenschaftlich zu begreifen ist.

Zuzüglich Biologie übrigens, denn Warenkunde hat beim Kochen sehr, sehr viel mit grundsätzlichen botanischen und zoologischen Tatsachen zu tun. Meine Einsicht ist die: Wenn man die physikalischen und chemischen Prozesse beim Kochen wirklich inhaliert hat, braucht man praktisch keine Rezepte mehr; vorausgesetzt man bewegt sich im Rahmen der Produkte, die man gut genug kennt. Und so teilen sich die wissenschaftlich-technischen Dinge beim Kochen auf:
1. Warenkunde: Wissen über die ernährungsphysiologischen, biologischen Eigenschaften der Produkte
2. Handwerk: Fertigkeit, die Produkte so zu verarbeiten, dass ihre besten Eigenschaften zum Vorschein kommen
3. Chemie: Wissen über die Art und Weise, wie die Bestandteile der Produkte miteinander reagieren (Wasserlösliches – Fettlösliches, Eiweißchemie, grundlegende Garprozesse)
4. Physik: Wissen über die Prozesse beim Garen durch Wärmezufuhr, über die Aggregatzustände und über molekulare Prozesse

Aus Erfahrung gut
Was heißt eigentlich „gut kochen“? Es bedeutet, dass man hochwertige Mahlzeiten anfertigt mit ausgewogenen Verhältnissen der Bestandteile, die den Mitessern gut schmecken. Das lernt man nicht von heut auf morgen, das ist – so man sich nicht als Hobbykoch fühlt und die Sache mit entsprechendem Enthusiasmus angeht – Ergebnis einer Entwicklung. Je öfter man kocht, desto sicherer wird man, desto ruhiger geht man das Zubereiten an, desto weniger Fehler macht man, desto besser werden die Ergebnisse.

Ich war ja dann ein paar Jahre quasi alleinerziehend und wurde in der Zeit zum Familienkoch. So würde ich die Person in der Familie nennen, die sich für die Ernährung des Clans verantwortlich fühlt, die am häufigsten kocht, die Einkaufs- und Essenspläne macht und so den Anverwandten (fast) täglich Freude macht. Früher waren es die guten Hausfrauen mit Spaß am Kochen, die als Familienköchinnen wirkten. Wir hatten für kurze Zeit eine Haushälterin, die von dieser Sorte war und von der ich auch einige Tricks gelernt habe. Allerdings war Frau H. ein Fondor-Junkie, die praktisch nie auf Geschmacksverstärker verzichten konnte.

Für die Kinder habe ich damals im Schnitt fünfmal die Woche abends warm gekocht. Das schult. Sodass ich meine jetzige beste Hälfte gern und gut fast jeden Abend bekoche. Seit etwa zwölf Jahren bereite ich wieder durchschnittlich fünfmal pro Woche das Abendessen zu. Inzwischen kostet mich das relativ wenig Arbeit, weil die Routine hoch ist. Viele Dinge bearbeite ich intuitiv und mache mir einen Spaß daraus, die Küche noch während des Kochens aufzuräumen und Werkzeug und Arbeitsflächen zu säubern. So gelingt es mir immer öfter, ein Gericht von Null bis zum Servieren, also quasi à la minute, innerhalb von dreißig Minuten auf den Tisch zu bringen.

Ein Kommentar

  1. ….die Küche noch während des Kochens aufzuräumen und Werkzeug und Arbeitsflächen zu säubern….

    Jepp halte ich genauso, sonst macht mir das Essen keinen Spass wenn das ganze Zeugs noch rumfliegt.