Vielleicht ist dies das bedeutendste Kunstwerk des ausgehenden 20. Jahrhunderts: 7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung. Der große rheinische Künstler Joseph Beuys hat es zur Documenta 7 von 1982 in Kassel konzipiert und die Realisierung mit geradezu irrwitzigen persönlichen Einsatz und enormer Hartnäckigkeit durchgesetzt. Die Idee war, in Kassel 7.000 Eichen zu pflanzen, wobei neben jedem Baum eine rund einen Meter hohe Basaltstele gesetzt wurde. Die Steine ließ Beuys zu Beginn der Aktion vor dem Kasseler Fridericianum auf der Wiese aufhäufen, wobei eine keilförmige Fläche belegt wurde, an deren, dem Gebäude zugewandten Spitze, er persönlich die erste Eiche pflanzte. Noch vor der Documenta 8 im Jahre 1987 konnte das Projekt abgeschlossen werden: Alle Bäume waren gepflanzt, die zugehörigen Stelen gesetzt, wobei die letzte Eiche unmittelbar neben der ersten platziert wurde.

Joseph Beuys pflanzt die erste von 7.000 Eichen

Joseph Beuys pflanzt die erste von 7.000 Eichen

Tatsächlich konnte jeder, der 500 DM für die Aktion spendete, einen Stein abholen und an einer Stelle seiner Wahl ein Bäumchen pflanzen, dem eine Stele zugeordnet wurde. Die Organisation übernahm der ein Koordinationsbüro der Freien Internationalen Universität (FIU) in Kassel, das sich um die Finanzierung, die Kooperation mit der Stadtverwaltung und das eigentliche Pflanzen kümmerte. Für die ganze Aktion wurde über Jahre eine eindrucksvolle Werbekampagne mit Achtzehneintel-Plakaten überall in der Stadt geworben. Natürlich konnte jeder Spender auch mehrere Stelen „kaufen“, und eine ganze Reihe lokaler Unternehmen, Vereine und Organisationen tat das auch.

Die 7.000 Stelen vor dem Fridericianum in Kassel

Die 7.000 Stelen vor dem Fridericianum in Kassel

Im eindrucksvollen Dokumentarfilm „Beuys“ wird gezeigt, dass der Künstler selbst alles dafür tat, das Kunstwerk zu finanzieren. So schmolz er die Kopie einer goldenen Zarenkrone, die jahrelang Attraktion der Nobelbar „Datscha“ des Düsseldorfer Gastronomen und Tausendsassas Helmut Mattner war, ein und goss daraus einen Hasen samt Sonne. Das Werk namens „Friedenshase mit Zubehör“ verkaufte er dann für 777.000 DM an den Stuttgarter Kunstsammler Fröhlich. Jahrelang reiste Beuys in Sachen „7000 Eichen“ quer durch Europa, in die USA und nach Japan. Dort wirkte er sogar (Man denkt bei dieser Geschichte sofort an den Film „Lost in Translation“ mit Bill Murray.) in einem TV-Spot für eine Whisky-Marke mit, was rund 400.000 DM für das Projekt einbrachte. Letztlich aber sah sich Beuys gezwungen, einen großen Teil der Kosten aus eigener Tasche zu bezahlen; manche Quellen nehmen an, dass er insgesamt einen siebenstelligen DM-Betrag zuschoss. Joseph Beuys erlebte die Vollendung dieses Werkes nicht mehr. Am 23. Januar 1986 starb er. Deshalb war es sein Sohn Wenzel, der die letzte Eiche in Kassel pflanzte.

Den Baum im Vergleich zur Stele wachsen sehen

Den Baum im Vergleich zur Stele wachsen sehen

Ein Teil der Startfinanzierung der Aktion kam von der New Yorker Dia Art Foundation, die 1986 weiteres Geld beisteuerte. Die Stiftung pflanzte – als Erinnerung und Hommage an Joseph Beuys – 1988 fünf Bäume in Manhattan; später kamen an verschiedenen Stellen 18 weitere hinzu. Ob die verwendeten Basaltstelen aus dem Bestand kamen, der in Kassel gelagert war, ist unklar. Bei der Düsseldorfer Beuys-Eiche ist das anders. Deren Stein stammt aus Kassel, von wo ihn Beuys persönlich mitgebracht hatte. Außerdem hatte er zugestimmt, dass der Baum im Rahmen der „7000 Eichen“ am Rand des Horion-Platzes an der Haroldstraße gesetzt werden durfte, und war am 23. November 1983 bei der Pflanzung anwesend. Baum und Stein waren gedacht als Geschenk zum 50. Geburtstag des damaligen Wirtschaftsministers Reimut Jochimsen vom Vorstandsvorsitzenden der WestLB, Friedel Neuber.

Weitgehend unbeachtet - die Beuys-Eiche am Rand des Horionplatzes

Weitgehend unbeachtet – die Beuys-Eiche am Rand des Horionplatzes

Auf einer kaum 400 Quadratmeter großen Wiese, die nach drei Seiten mehr oder weniger stark von Gebüsch umgeben ist, während die vierte Seite von der Außenwand des Ministeriums gebildet wird, steht nun also eine noch nicht ganz 35 Jahre alte Eiche mitsamt ihrer Basaltstele – völlig unbeachtet von den Passanten und der Öffentlichkeit weitestgehend unbekannt. Die Beuys-Eiche an dieser Stelle ist so unbekannt, dass der Versuch des Verfassers dieses Berichts, den Baum zu fotografieren, das Sicherheitspersonal des Ministeriums auf den Plan rief, das sich aber rasch überzeugen davon überzeugen ließ, dass dies kein Ausspähversuch war.

Google-Map: Hier steht die Düsseldorfer Beuys-Eiche

Google-Map: Hier steht die Düsseldorfer Beuys-Eiche

Wer also nie in Kassel war und nicht sobald dorthin kommt, kann einen echten, von Beuys autorisierten Baum in Düsseldorf besuchen. Und sich über dieses in seiner Gesamtheit unsichtbare Raum-Zeit-Kunstwerk mit ihrer ökologischen Botschaft Gedanken machen. Zum Beispiel über den Beuys’schen Begriff der „sozialen Plastik“, der mit den „7000 Eichen“ voll und ganz verständlich wird, haben doch alles in allem über 4.000 Einzelpersonen, Gruppen, Organisationen, Unternehmen und Institutionen aktiv daran mitgewirkt, aus einer Idee Wirklichkeit werden zu lassen. Für den Erhalt – z.B. den Ersatz umgestürzter oder abgestorbener Bäume – ist ein 1993 gegründeter Verein zuständig, der von einer Stiftung unterstützt wird.

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