Manchmal kann der Freund der Aufklärung meinen, die Menschen seien zur Vernunft gekommen. So angesichts der Tatsache, dass die aberwitzigen Illuminationen durchgeknallter Hausbesitzer und Wohnungsmieter zu Weihnachten in diesem Jahr erneut deutlich nachgelassen haben. Aber genaueres Nachforschen zeigt, dass die Lichterketten-Junkies sich den Spaß einfach nicht mehr leisten können. Ist also Essig mit der Vernunft. Dabei – so die kryptische Botschaft der Firma Honda – ist doch Vernunft der neue Punk. Wie überhaupt selbst bei normalerweise denkenden Menschen zu Weihnachten die Vernunft zugunsten unklaren Sentiments aussetzt. Gut, das knarzige Päärchen Günter Dreuw und Bruno Klapdor von der Kalkumer Straße in Unterrath(sic!) hätte wohl wieder alle Rentiere losgelassen, wäre der Jünter nicht ein bisschen zu hinfällig, um die Leitern zu erklimmen. Außerdem haben die beiden älteren Herren ihren Andy-Warhol-Ruhm dank diverser fantasiearmer TV-Redakteure ja schon gehabt. So macht sich jeder so gut zum Weihnachtsaffen wie er kann.

Nun ist ja die unbewusste Mehrheit der Ansicht, jeder solle tun und lassen, was er will, und denkt dabei knapp am wahren Sinn der französischen Expression „chacun á son goût“ vorbei, die wahlweise Voltaire oder irgendeinem anderen Franzacken-Poeten zugeschrieben wird, obwohl es bloß ein Sprichwort ist. Denn das meint, dass jeder gut finden soll, was er gut findet. Dem Tun und Lassen steht dann olle Kant mit seinem kategorischen Imperativ entgegen, nachdem jedes vernunftbegabte Wesen so handeln soll, dass die Folgen für jedes andere vernunftbegabte Wesen erträglich sind: „Was du nicht will, das man dir tu, das füge keinem andern zu.“ Leider schränkt der philosophische Kops aus Königsberg sein moralisches Gesetz auf vernunftbegabte Wesen ein, was dessen Wirkung in der Realität auf annähernd Null bringt.

Mal angenommen, nur mal angenommen die Bürger unseres priviligierten Landes wären mehrheitlich mit Vernunft ausgestattet, dann müsste doch jeder, der seine Hütte zu Weihnachten mit Leuchtkram und Plastikzeug behängt, zuvor nachdenken, in welchem Maße er seine Mitbürger damit über Gebühr belästigt. Abgesehen davon, dass wackelnde Schneemänner aus Kunststoff, deren Nasen diodisch leuchten, kein schöner Anblick sind, raubt ja die monströse Dauerillumination den Nachbarn den Nachtschlaf. Und eine dummdreiste Energieverschwendung sind solche Aktionen ohnehin.

Wie gesagt: Vernunft gilt nicht, schon gleich gar nicht zum Christfest. Wobei ja der Religionsgehalt der besinnlichen Dreitage-Party zugunsten von Disney-Sentimentalitäten deutlich zurückgegangen ist. Ja, man könnte sagen, die Amis haben die Feier der Geburt Jesu über die Jahre klammheimlich heidnisiert. Da steht Santa Claus im Mittelpunkt, der ewig besoffene Opa, der unter Übertretung aller Verkehrsregeln mit seinem Schlitten übers Firmament braust, wobei der durch eine rote Nase gehandicapte Leithirsch Rudolph die Richtung vorgibt. Dass dieses verblödete Renviech aus einer Werbekampagne für Schokolade von 1939 stammt und als Markenzeichen der Firma The Rudolph Company Ltd. gehört, ist bezeichnet für die Tatsache, dass der Kommerz sich der Traditionen bemächtigt hat. Diese feindliche Übernahme der mündlichen Überlieferungen geht so weit, dass sich nahezu jeder US-Bürger den Weihnachtsmann genauso vorstellt wie den Coca-Cola-Santa-Claus, der Ende des neunzehnten Jahrhunderts vom Karikaturisten Thomas Nast gemalt wurde.

Eine der wirklich schönsten Christmas-Legenden ist noch nicht sehr alt und gehört zur Fernsehserie „Simpsons“. Homer setzt das Geld, das er als Santa Claus verdient hat, beim Windhundrennen versehentlich aufs falsche Tier, das Letzter wird. Dessen Besitzer will den erfolglosen Köter, der immer Letzter wird, loswerden, und Homer und Bart adoptieren die Töle. Gewettet hat Homer auf den Hund, weil dessen Name – „Santa’s Little Helper“ – ihm als Omen für einen Gewinn erschien, mit dessen Hilfe er Geschenke kaufen wollte. SLH, der in der Übersetzung „Knecht Rupprecht“ heißt, was den ursprünglichen Witz verbaut, ist also ein Greyhound, der in einer späteren Folge einen Wurf Welpen zeugt – die Episode heißt im Original „Two Dozen and One Greyhound“ und ist eine Persiflage auf den unsäglichen Fim „101 Dalmatiner“.

So feiern wir auch dieses Jahr die Ankunft von Gottes Sohn auf Erden ganz im Geiste des US-amerikanischen Kulturimperialismusses. Die Autonomen von Athen haben das erkannt und den offiziellen Weihnachtsbaum schon früh im Dezember in Brand gesetzt. Vielleicht entsteht so eine neue Tradition, die spätere Generation als uralt bezeichnen werden, weil unbewusste Wesen immer meinen, die Geschichte habe am Tage der eigenen Geburt begonnen. In diesem Sinne: „Brennende Weihnacht allerseits!“

[Zuerst erschienen in der Rainer’schen Post im Dezember 2008]

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