Städtepartnerschaften sind noch keine sehr alte Sache, und erst nach dem zweiten Weltkrieg begannen befreundete Städte quer über die Staatengrenzen solche Partnerschaften vertraglich zu fassen. So kommt es, dass Reading erst 1988 hochoffiziell Partnerstadt Düsseldorfs wurde, obwohl die sehr spezielle Beziehung zwischen diesen beiden Orten ihre Wurzeln schon im Jahr 1947 hat – und untrennbar mit einem Namen verbunden ist: Phoebe Cusden.

Phoebe Cusden bei einem Besuch in Düsseldorf in den 60ern (Foto: getreading.co.uk)

Phoebe Cusden bei einem Besuch in Düsseldorf in den 60ern (Foto: getreading.co.uk)

Nach dem Sieg der Alliierten über die Wehrmacht des NS-Regimes wurde Düsseldorf Hauptstützpunkt der britischen Truppen in Westdeutschland. Das hier stationierte Regiment stammte aus der Grafschaft Berkshire, deren mit Abstand größte Stadt Reading ist. Dort war 1946 die Sozialistin, Gewerkschafterin, Pazifistin und Frauenrechtlerin Phoebe Cusden zur Bürgermeisterin gewählt worden und erfuhr durch Vertreter des Royal Berkshire Regiments und befreundeter Regierungsmitglieder und -beamte von den schlimmen Zuständen in Düsseldorf. Zu diesem Zeitpunkt war die schöne Stadt am Rhein noch nicht im mindesten wiederaufgebaut, und die Menschen lebten in Kellerlöchern, in Trümmern und Behelfsunterkünften. Am meisten litten die Kinder unter der herrschenden Mangelversorgung, die nicht nur bloß bedeutete Hunger zu haben, sondern verschiedene Krankheiten hervorrief. Der Schulbetrieb lief noch nicht wieder, und viele Jugendliche verdienten den Lebensunterhalt für die Familien im kriminellen Milieu des Schwarzmarktes. Darüber machten sich die Vertreter der britischen Besatzer große Sorgen, und davon erfuhr Phoebe Cusden. Also reiste sie persönlich nach Düsseldorf, um sich ein eigenes Bild zu machen und nahm unter anderem an der Stadtverordnetenversammlung am 18. August 1947 teil.

Phoebe Cusden, die Frau, die uns so sehr half

Davon, dass die Briten Düsseldorf im August 1946 zur Hauptstadt des neuen Bundeslands Nordrhein-Westfalen gemacht hatten, profitierte die Stadt nicht. Im Gegenteil: Im März 1947 demonstrierten Tausende Bürger gegen die Beschlagnahme von Wohnungen für die Angehörigen der britischen Soldaten in Stockum. Den Sommer über kam es immer wieder zu Hungermärschen der Düsseldorfer als Protest gegen die mangelhafte Versorgung der arbeitenden Bevölkerung. Mit einem Brief an die Tageszeitung Berkshire Chronicle startete Mrs. Cusden die „Reading-Düsseldorf Initiative“ als Hilfsprogramm für die hungernden Menschen. Aufgefordert waren die Bürger Readings, Versorgungspakete zusammenzustellen und über die Organisation nach Düsseldorf zu schicken. Bis zum folgenden Januar kamen so gut 100 Pfund Sterling (damals rund 2.000 Reichsmark entsprechend), eine halbe Tonne Lebensmittel, 150 gemischte Pakete und ein Dutzend Säcke mit Kleidung und Schuhen zusammen. Diese Mengen mögen aus heutiger Sicht von nur symbolischen Wert gewesen sein, lösten aber im Vereinigten Königreich viel Beachtung aus und halfen, die nach dem Krieg verständliche Abneigung der Briten gegen die Deutschen nach und nach aufzulösen.

Die Friar Street in Reading auf einer Postkarte von 1945

Die Friar Street in Reading auf einer Postkarte von 1945

Phoebe Cusden kam nach dem Ende ihrer Zeit als Bürgermeisterin regelmäßig nach Düsseldorf und holte – auch das eine Aktion mit starker Außenwirkung – sechs Kinder für drei Monate nach Reading. Und begründete damit das, was später als Schüleraustausch zwischen Deutschland und Großbritannien zur Institution wurde. Hunderte Schüler aus Düsseldorf lernten so über die Jahrzehnte Reading, die Grafschaft Berkshire oder die benachbarte Grafschaft Surrey kennen – der Verfasser dieses Beitrags verbrachte beispielsweise knapp fünf Monate in Woking, einer kaum 30 Kilometer entfernten Stadt. Später im Jahr 1947 gründete Cusden die noch heute existierende Reading-Düsseldorf Association, die sich auf die friedliche und freundschaftliche Kooperation der Städte, besonders auf den Gebieten der Bildung und der Kultur, konzentriert. Dadurch unterscheidet ich die Partnerschaft mit Reading stark von den „modernen“ Städtepartnerschaften, bei denen oft die wirtschaftliche Zusammenarbeit im Fokus steht.

Die Grünen in der Bezirksvertretung 3 setzen sich seit 2013 dafür ein, dass eine Straße im Bezirk nach Phoebe Cusden benannt wird – bisher ohne greifbares Ergebnis.

Die Kekshauptstadt Großbritanniens

Die Keksfabrik Huntley & Palmers auf einer Postkarte von ca. 1900

Die Keksfabrik Huntley & Palmers auf einer Postkarte von ca. 1900

Mit über 220.000 Einwohnern ist Reading die größte Stadt („town“) des gesamten Vereinigten Königreichs, die nicht den Titel City tragen darf, und auf Platz 25 der bevölkerungsreichsten Gemeinden. Die Geschichte der Stadt reicht bis Anfang des 9. Jahrhunderts zurück; die Lage am Kennet, einem Zufluss zur Themse, begünstigte die Entwicklung Readings, sodass der Ort über die Jahrhunderte wirtschaftlich immer von besonderer Bedeutung im gesamten Südengland war. Heute haben viele internationale Konzerne, unter anderen Microsoft, Oracle und Verizon, ihre britischen Firmenzentralen hier. Das berühmteste aller Unternehmen in Reading war aber die 1822 gegründete legendäre Keksfabrik Huntley & Palmers, die allerdings in den Siebzigerjahren aus der Stadt wegzog. In ihrer Blütezeit war sie die weltweit größte Produktionsstätte von Gebäck, die von Huntley & Palmers speziell gestalteten Keksdosen sind bis heute wahre Sammlerstücke.

Google-Map: Reading, UK

Google-Map: Reading, UK

Weltweit bekannt in den Bereichen Wissenschaft und Kultur ist Reading aber auch wegen seiner Universität und vor allem wegen des jährlichen Reading Festivals, das 1961 als Jazzfestival begann und seitdem immer an einem Wochenende im August stattfindet. Seitdem es die Städtepartnerschaft mit Düsseldorf gibt, werden immer auch deutsche Musiker eingeladen, in Reading aufzutreten.

Wegen der berühmten Keksfabrik trug der örtliche Fußballverein FC Reading seit der Gründung 1872 den Spitznamen „The Biscuitmen“. Nachdem Huntley & Palmers nach Suffolk übergesiedelt war, gab sich der Club den Beinamen „The Royals“ in Anlehnung an den offiziellen Titel Royal Berkshire für die Grafschaft, zumal man der einzige nennenswerte Fußballclub in Berkshire ist. Man kann den FC Reading auch als den unglücklichsten Fußballverein Englands sehen; mehrfach wurden Aufstiege nur durch Niederlagen in Playoff-Spielen verpasst, und 1994/95 stieg man als Zweitplatzierter der zweiten Liga nur deswegen nicht in die erste Liga auf, weil diese verkleinert worden war. Erst 2006 gelang dem FC Reading erstmals der Aufstieg in die Premier League – ermöglicht durch massive Investitionen eines thailändischen Milliardärs, der den Verein aber 2017 wieder verkaufte. Heute gehört der Club einem chinesischen Investor, der sein Geld mit Einkaufszenten macht. Aktuell dümpelt der Verein in der unteren Hälfte der zweitklassigen Champion League herum. Verrückt genug, aber die jeweils ersten Mannschaften des FC Reading und von Fortuna Düsseldorf haben noch nie gegeneinander gespielt.

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