Lesestück · Tanaka-san (Name auf Wunsch geändert) ist ein ungewöhnlicher Mensch und ein ziemlich untypischer Japaner dazu. In den frühen Neunzigerjahren kam er als für das Marketing Verantwortlicher eines großen japanischen Unternehmens nach Düsseldorf, und zwar als alleinstehender Mann. Schon das wich von der Norm ab, denn die Nippon-Konzerne schickten gewöhnlich nur Familienväter in unsere schöne Stadt. In der Regel für maximal sechs Jahre. Der Herr Tanaka aber, den seit über 20 Jahren zu kennen ich die große Ehre habe, blieb hier. Er hatte sich in Düsseldorf verliebt. [Lesezeit ca. 8 min]

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Inzwischen ist er pensioniert und weiß immer noch zu erzählen, wie schwierig es für ihn war, diesen Schritt zu gehen. Zum Ende des Jahres 2001 sollte er nach Osaka zurückkehren, um dort in den Vorstand des Unternehmens befördert zu werden, bei dem er seit seinem vierundzwanzigsten Lebensjahr beschäftigt war. Tanaka-san wollte nicht, er kündigte, eine Entscheidung, die aus japanischer Sicht ungeheuerlich war. Er beschloss, sich als Marketingberater selbstständig zu machen; und zwar sowohl für japanische als auch deutsche Firmen. Sein fast perfektes Deutsch kam ihm zur Hilfe. Und weil er es gar nicht erst bei den global agierenden Konzernen versuchte, wurde er für kleinere japanische und deutsche Firmen und auch Start-ups zu einer zentralen Figur, weil er ihnen helfen konnte, in Deutschland beziehungsweise Japan Fuß zu fassen.

Junge Mädchen im Geisha-Look (Foto/Ausschnitt Richard Gleim)

Junge Mädchen im Geisha-Look (Foto/Ausschnitt Richard Gleim)

Seit nunmehr fünfzehn Jahren ist er mit einer echten Düsseldorferin verheiratet, und wenn man ihn fragt, als was er sich fühle, sagt er mit Überzeugung: Ein in Japan geborener und aufgewachsener Düsseldorfer. Kann gut sein, dass Tanaka-san ein absoluter Einzelfall ist, denn die japanischen Familien, die als Expats herkommen, neigen nicht dazu sich zu assimilieren. Und dass obwohl Dutzende Menschen dieser Bevölkerungsgruppe inzwischen aktiv am Sommer- und Winterbrauchtum teilnehmen. Trotzdem bilden die Japaner in Düsseldorf über alles betrachtet eine Parallelgesellschaft. Und gäbe es den Japanisch-Deutschen Club nicht, könnte es sein, dass die Ehefrauen der Nippon-Manager wie vor fünfzig Jahren die Jahre in der Landeshauptstadt beinahe ohne jeden Kontakt zu deutschen Nachbarn verbringen könnten.

So war das nämlich in den Siebzigerjahren noch weitgehend so: Die Frau blieb zuhause, führte den Haushalt, kümmerte sich um die Kinder, traf sich mit Landsfrauen zu typisch japanischen Aktivitäten und … bekochten ihre Gatten auf Japanisch. Es soll in jenen Jahren vorgekommen sein, dass sich deutsche Mieter bei ihren Vermietern beschwerten, weil sie sich von den Gerüchen der Nippon-Kocherei gestört fühlten. Das war bevor das „Little Tokio“ rund um die Immermannstraße entstand und es noch (so gut wie) keine japanischen Restaurants, Suppenküchen und Imbissläden gab. Noch 1970 gab es in ganz Düsseldorf einen einzigen Laden, in dem man japanische Lebensmittel kaufen konnte.

Japanische Kultur ist bisweilen schwer verständlich (Foto: TD)

Japanische Kultur ist bisweilen schwer verständlich (Foto: TD)

Tanaka-san weiß zu berichten, dass die ersten Japan-Restaurants entstanden, damit die japanischen Geschäftsleute ihre deutschen Partner zum Essen einladen und ihnen etwas Besonderes bieten konnten. Dass dann nicht nur japanische Lebensmittelläden, sondern auch Geschäfte eröffneten, in denen man japanische Waren – von Büchern über Kleidung bis hin zu Möbeln – kaufen konnte, lag daran, dass immer mehr Familien nach Düsseldorf zogen. In den Sechzigerjahren war das die Ausnahme. Damals wurden ausschließlich männliche Mitarbeiter für kurze Zeit, selten mehr als zwei Jahre, nach Europa abgeordnet. Die hielten es dann oft auch ohne japanisches Leben aus.

Dass es in Düsseldorf – neben Paris und London – die größte japanische Gemeinde Europas gibt, liegt an den Aktivitäten eines Mannes namens Louis Kniffler. Der in Wetzlar geborene und mit anderthalb Jahren nach Düsseldorf gekommene Kaufmann ging mitsamt einem Mitarbeiter seiner zuvor pleitegegangenen Firma schon 1859 nach Japan, also unmittelbar nach der von den USA militärisch erzwungenen Öffnung des Landes. Er wurde deutscher Generalkonsul in Nagasaki und machte aus seinem Laden in wenigen Jahren das wichtigste deutsch-japanische Handelshaus und eines der wichtigsten Unternehmen Europas rund um Geschäftsbeziehungen mit Japan. Nach einer Boom-Phase von rund sieben Jahren kehrte er nach Düsseldorf zurück und leitete seine Geschäfte von der Goltsteinstraße aus bis zu seinem Ausscheiden aus dem Geschäftsleben im Jahr 1880.

Unter dem Namen Carl Illies & Co., das nach dem Prokuristen benannt war, der Knifflers Firma übernommen hatte, blieb das Unternehmen das mit Abstand wichtigste deutsch-japanische Handelshaus. 1888 zog man nach Hamburg um, wodurch die Stadt mit dem großen Seehafen zum wichtigsten Brückenkopf Japans in Deutschland wurde. Die Verbindungen zwischen Düsseldorf und Nippon kamen dadurch aber nicht zum Erliegen. Nicht durch belastbare Quellen belegt ist der Kurzaufenthalt einer japanischen Delegation im Juli 1862 – die Durchreisenden sollen sich am Bahnhof mit leckerem Altbier erfrischt haben. Gesichert ist, dass 1904 Japan sich auf der Internationalen Kunstausstellung (auch: Kunsthistorische Ausstellung und Große Gartenbau-Ausstellung) mit einem japanischen Garten und Teehaus präsentierte und das erste japanische Feuerwerk in Europa zündete.

Das war es dann aber auch schon fast. Selbst in den Zeiten des Nazi-Regimes, das sich bekanntlich mit dem Kaiserreich Nippon verbündet hatte, kam es in Düsseldorf zu keinem weiteren japanisch geprägten Ereignis. Nach dem zweiten Weltkrieg wandelte sich das japanische Kaiserreich in wirtschaftlicher Hinsicht mit großer Geschwindigkeit. Die Erfahrungen mit der ab 1936 enorm aufgeblähten Rüstungsindustrie wurden nun auf den zivilen Sektor übertragen, Schwerindustrie verhieß eine goldene Zukunft. So zog es ehemalige Rüstungsfirmen wie Mitsubishi beinahe automatisch an den „Schreibtisch des Ruhrgebiets“.

Und je mehr die japanische Wirtschaft boomte und auf manchen Sektoren den globalen Handel beherrschte, desto mehr japanische Unternehmen gründeten Niederlassungen in Düsseldorf. Das bot nicht nur den Vorteil der Nähe zum Ruhrpott, sondern lag aus fernöstlicher Sicht einfach verkehrsgünstig. Wenn nun ein Konzern mit seiner Europazentrale in Düsseldorf gute Erfahrungen gemacht hatte, sprach sich das rum, und das nächste Unternehmen kam ebenfalls hierher. Das ging immer weiter, auch als es nicht mehr die Werften, Autobauer und Industriegiganten waren, die sich ansiedelten, sondern auch die enorm wachsenden Unternehmen der Büro- und Unterhaltungselektronik. Schon 1963 erkannten die für die hiesige Wirtschaftsförderung zuständigen Leute den Trend und begannen, in Japan aktiv potenzielle Neuankömmlinge zu akquieren.

Japanischer Sonnenuntergang über dem Rhein bei Düsseldorf (Foto: TD)

Japanischer Sonnenuntergang über dem Rhein bei Düsseldorf (Foto: TD)

Mitte der Siebzigerjahre lebten dann bereits mehr als 4.000 Menschen japanischer Staatsangehörigkeit in Düsseldorf, heute sind es nach offiziellen Zahlen beinahe 9.000. Bis zu rund 300 japanische Firmen mit Standorten in Düsseldorf (und natürlich auch Neuss und Ratingen, die zum Zwecke der Erhöhung ihrer Gewerbesteuereinnahmen in den Neunzigerjahre etliche japanische Firmen abgeworben hatten) gab es, die bis zu 25.000 Arbeitsplätze schufen. Die Zahlen schwanken parallel zum globalen Wirtschaftsgeschehen und zur japanischen Konjunktur.

Waren es in den Sechzigerjahren vor allem Wirtschaftsvereinigungen und ein Generalkonsulat, die für eine Vertiefung der düsseldorferisch-japanischen Beziehungen sorgten, war die Gründung der japanischen Schule im Jahr 1971 ein ganz entscheidender Schritt. Damit wurde – siehe oben – Düsseldorf eben auch für die Abordnung von Familienvätern attraktiv. Einen weiteren Riesenschritt bedeutete der Bau des Nippon-Centers an der Immermannstraße, der 1972 in Angriff genommen und 1978 mit der Eröffnung des Hotels Nikko abgeschlossen wurde. In diesem japanischen Zentrum eröffneten über die Jahre gut anderthalb Dutzend japanischer Läden, und rundherum siedelten sich in der Folge zahlreiche japanische Gastronomiebetriebe, Ladegeschäfte und Dienstleister an. Bis zur schweren japanischen Wirtschaftskrise zu Beginn der Neunzigerjahre machte dem rasanten Wachstum ein Ende.

Japantag 2018: Göttin (Foto: M. Neugebauer für TD)

Japantag 2018: Göttin (Foto: M. Neugebauer für TD)

Daran änderte auch der Besuch des japanischen Kaiserpaars 1993 nichts. Unabhängig davon, dass einige japanische Konzerne ihre in Düsseldorf wirkenden Belegschaften deutlich reduzierten, blieben die Beziehungen zwischen den Einheimischen und den Japaner freundschaftlich. Zumal die Stadt und ihre Bürger inzwischen sehr stolz darauf waren, als „Little Nippon“ weltweit als Japaner-Stadt anerkannt zu sein, ja, neben New York als zweitwichtigster (nicht zweitgrößter…) Platz für japanische Kultur außerhalb des Mutterlandes zu gelten. Und die Förderung war gegenseitig. Man denke nur an das erste große Japan-Feuerwerk im Sommer 1982 auf den Niederkasseler Rheinwiesen, das nach offizieller Zählung fast eine Million Zuschauer anzog.

Oder an den Japan-Tag, der seit 2002 jedes Jahr Hunderttausende Besucher an den Rhein zieht, wo sie alle Formen japanischer Kultur – von der Teezeremonie über die Kampfkünste bis zur Cosplay-Szene – hautnah erleben können. Man denke an den japanischen Garten im Nordpark, den die hiesige japanische Wirtschaftsvereinigung den Düsseldorfern in den Siebzigerjahren schenkte. Tanaka-san erzählt, dass er bei seinen wenigen Besuchen der alten Heimat gerade bei jungen Japanern immer wieder erfährt, dass sie Düsseldorf nicht nur kennen, sondern ein realistisches Bild der Stadt haben. Das gilt in besonderem Maße für junge Künstler – die Düsseldorfer Kunstakademie ist seit vielen Jahren ein Traumziel für Japaner*innen, die Künstler werden wollen, und die elektronische Musik aus Düsseldorf – nicht nur die von Kraftwerk – wird bis heute in Japan verehrt.

Der japanische Garten im Nordpark (Foto: Düsseldorf Tourismus)

Der japanische Garten im Nordpark (Foto: Düsseldorf Tourismus)

Immer wieder versucht auch die glorreiche Fortuna in der japanischen Gemeinde Fans zu gewinnen – leider nie mit wirklich großem Erfolg. Zwar finden sich unter den Sponsoren immer auch namhafte, in Düsseldorf ansässige Firmen, zwar schicken viele japanische Familien ihre Kindern zum Fußballspielen auch zur Fortuna, aber viel mehr als eine japanische Version der Vereinswebsite ist bisher nicht entstanden. Nicht einmal die Tatsache, dass mit Takashi Usami und Genki Haraguchi zwei japanische Fußballstars für kurze Zeit Fortunen waren, hat daran viel geändert. Könnte sein, dass das Riesentalent Shinta Appelkamp, in Tokio als Sohn eines deutsch-japanischen Ehepaars geboren und seit seinem 14. Lebensjahr bei der Fortuna, daran noch einmal etwas ändern könnte.

Der Einfluss der japanischen Küche auf die Düsseldorfer Gastronomieszene ist enorm. Der Ruf der ersten original-japanischen Restaurants reichte schon in den Achtzigerjahren weit über Düsseldorf hinaus; in der Schlange bei Na-Ni-Wa an der Oststraße findet man nicht selten Besucher aus den Niederlanden oder Belgien, die speziell wegen des japanischen Essens in die schönste Stadt am Rhein gekommen sind. Während es anfangs vor allem um heimische Mahlzeiten für japanische Angestellte ging, änderte das legendäre Edo ab Mitte der Achtzigerjahre am Seestern die Situation. Erstens weil es alle Varianten der verfeinerten japanischen Küche bot, zweitens weil es das einzige Restaurant war, in der Fleisch vom Wagyu-Rind direkt am Platz gegrillt wurde, drittens weil es auch eine Whisky-Bar war und viertens, weil es ein Vermögen kostete, dort Geschäftsfreunde zu bewirten. Heute gilt Düsseldorf international als ein Hotspot japanischer Küche außerhalb Japans.

Tanaka-san wird man in den japanischen Restaurants eher selten treffen; die japanische Gemeinde war nach seiner Entscheidung in Düsseldorf zu bleiben nicht erfreut, und die meisten Kollegen wandten sich von ihm ab. Außerdem bevorzugt er schon seit vielen, vielen Jahren die deftige Brauhausküche. Wenn ich ihn (außerhalb der Corona-Zeiten) „zufällig“ treffen will, klappere ich drei Stationen ab: die Hausbrauerei Schumacher an der Oststraße sowie das Uerige und das Füchschen in der Altstadt; in einer dieser ächten Gastwirtschaften wird er vermutlich bei Haxe und Altbier sitzen und sich freuen, dass er ein Düsseldorfer geworden ist.

2 Kommentare

  1. Sehr schöner und informativer Artikel! Das war mir dann jetzt doch endlich mal ein kleines Abo wert, auch wenn es in Pandemiezeiten und dadurch bedingter Kurzarbeit nur zum TD Freund reicht…