Der neue Vorstandsvorsitzende des TSV Fortuna Düsseldorf, Robert Schäfer, zeigt klare Kante: „Wir haben keinerlei Verständnis dafür, dass das Einsatzkonzept der Polizei nicht ausreichend in unsere Richtung kommuniziert wurde“ – und widerspricht damit der Darstellung der Duisburger Polizei, die in ihrer Meldung am Freitagabend den Fans die Schuld für die Beinahe-Katastrophe an der Wedau in die Schuhe schieben wollte. Zahlreiche Augenzeugenberichte trafen schon während der Vorfälle, kurz nach dem Spiel und übers Wochenende bei The Düsseldorfer ein, sodass das Versagen der Ordnungsmacht schon im Spielbericht angesprochen werden konnte. Übers Wochenende wertete man dann bei der Fortuna ebenfalls Hunderte Zeugenaussagen und Dutzende Videos aus und kam zum selben Schluss: Die Duisburger Polizei hat am Freitagabend auf ganzer Linie versagt. Inzwischen kommen weitere Fakten ans Tageslicht. Aus zuverlässiger Quelle erfuhr The Düsseldorfer nun, dass der zweite Sonderzug – der eigentlich um 16:37 ab Düsseldorf Hbf gehen sollte, aber erst kurz vor fünf abfuhr – auf Anweisung der Bundespolizei über einen längeren Zeitraum an der Einfahrt in den Bahnhof Im Schlenk gehindert wurde.

Mit dieser Aussage erweist sich die offizielle Darstellung der Polizei von 22:22 am Freitag als glatte Lüge. Dort wurde behauptet, die bereits angekommenen Fans seien absichtlich nicht zum Stadion aufgebrochen, obwohl sie von den Einsatzkräften mehrfach dazu aufgefordert worden seien. In der mehrfach geänderten Meldung fehlt dieser Passus inzwischen. Ursache für den gleichzeitigen Anmarsch von gut 2.000 F95-Anhängern waren die Verzögerungen bei den beiden Sonderzügen – wovon letztere ohne erkennbaren Grund entstand.

Eine sachliche Darstellung der Situation am Einlass liefert unter anderem Gero Wollgarten in seinem Blog, der als DRK-Helfer und Event-Mann mit den Regeln, Vorschriften und Maßnahmen rund um das Handling größerer Menschenmengen beim Einlass zu Veranstaltungen bestens vertraut ist. Und wer annahm, lediglich „Problemfans“ seien betroffen gewesen und würden im eigenen Interesse falsche Aussagen treffen, sieht sich ebenfalls getäuscht: Die Mehrzahl der Aussagen stammt von Fortuna-Fans, die nicht der Ultra-Szene zuzuordnen sind, darunter viele ältere Leute, Eltern mit Kindern und jede Menge „Normalos“ die irgendwelchen Auseinandersetzung immer tunlichst aus dem Weg gehen. Hierher gehört auch die Aussage von Andre Scheidt, dem Stadionsprecher der Fortuna, der mitten in der Fan-Masse steckte und die Dinge aus der Nähe erlebte:

Mit ein paar Tagen Abstand auch von mir ein paar Worte zu den Vorfällen in Duisburg. Den Hauptschuldigen suche ich nämlich am ehesten bei der Bahn bzw. der Organisation der An- und Abreise. Wir wollten uns um 16:15 Uhr auf den Weg nach Duisburg machen, die 16:17 Uhr Bahn war aber bereits überfüllt. Also haben wir den Zug um 16:37 Uhr nehmen wollen, der fuhr aber erst um kurz vor fünf los. An fast jedem Haltepunkt blieben wir Minimum zehn Minuten stehen. Auf Nachfrage bei der Polizei warum es so lange dauert, bekam ich die Antwort: „Der Lokführer weigert sich weiter zu fahren, weil er für die Sicherheit der Fahrgäste (die keine Fußballfans sind) nicht garantieren könne. Resultat, erst gegen ca. 17:45 Uhr (geschätzt) sind wir in Duisburg Schlenk angekommen. Die Grundidee der Polizei, immer nur rund 100 Personen in eine Art Schleuse vor dem eigentlichen Einlass zu lassen war nachvollziehbar, denn der Bereich vor dem Stadion ist viel zu eng konstruiert. Allerdings erreichten wir das Stadion erst zehn Minuten vor Anstoß. Die Durchsage der Polizei: „Jeder wird das Spiel pünktlich sehen“, klang da schon wie Hohn. Das mit Sicherheit auch Chaoten unter den Fans weilten, die ohne Eintrittskarte ins Stadion wollten genauso wie Personen die pyrotechnische Dinge vielleicht einschleusen wollten, möchte ich nicht ausschließen. ABER: von einem organisierten Durchbrechen (der Mehrheit) zu sprechen, dass entspricht nicht der Wirklichkeit. Ich stand mitten drin, muss mich laut Medienberichten an diesem Tag also auch zu den rund „2000 Problemfans“ zählen?! Als Fans fiebert man diesem Spiel entgegen, hat seine Karte bezahlt und will einfach nur ins Stadion. Deshalb wurde irgendwann massiv von hinten geschoben und gedrückt um ins Stadion zu gelangen. Auf den vorliegenden Videos ist das auch gut zu erkennen. Die Reaktion der Polizei war, wie überall bereits geschildert, massiver Einsatz von Pfefferspray und Schlagstock. Ich habe selbst Frauen, Mädchen, Kinder und ältere Leute gesehen, die zum Teil am Gitter fast bis zur Bewusstlosigkeit zerdrückt und dann noch mit Pfefferspray malträtiert wurden. Hier nur von zehn verletzten Personen zu sprechen, eine absolute Frechheit! Kinder wurden geistesgegenwärtig über die Absperrung gehoben, Fans kletterten über Zäune und Absperrungen. Irgendwann konnte man sich dem Fluß der Leute gar nicht entziehen, man wurde quasi Richtung Eingang getragen oder besser geschubst. Der letzte, eigentliche Einlass, ein Nadelöhr. Hier grenzt es wirklich eher an ein Wunder das nicht schlimmeres passiert ist. Schon in den letzten Jahren kam es hier immer wieder zu großen Problemen, selbst in Sandhausen oder Burghausen gibt es eine breitere Einlasssituation, warum wird hier nicht ausgebaut?
Das Stadion betrat ich übrigens erst 20 Minuten nach Spielbeginn!
[…]
Es bleibt die Frage der Verhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes, der dringend aufgearbeitet werden muss und natürlich auch von mir das Fazit: „Liebe Duisburger Polizei, habt ihr aus dem Loveparade Einsatz wirklich nichts gelernt?“ [Quelle: Facebook]

Inzwischen treffen stündlich Meldungen von unmittelbar Beteiligten ein, die während des Chaos am Einlass mehr oder weniger stark verletzt wurden – etwa die Hälfte davon durch unmittelbare Gewaltanwendung von Polizebeamten durch Pfefferspray und Schlagstockeinsatz; die andere Hälfte meldet Quetschungen, Prellungen und Schürfwunden, die sich sich im Gedränge an Gittern und Mauern zugezogen haben.

Der Aussage von F95-Vorstand Schäfer, es habe keine Absprache über das Konzept gegeben, widerspricht der Duisburger Polizesprecher öffentlich:

Kritik, die Polizeisprecher Ramon van der Maat nach dem Einsatz von 800 Beamten am Freitag zurückweist. Mit Fan-Briefen habe die Polizei im Vorfeld über An- und Abreise sowie die Einlasskontrollen informiert. Bei der Einlasskontrolle hätten Fangruppen immer wieder versucht durchzubrechen. Trotz Lautsprecherdurchsagen. Für Duisburgs Polizei eine gezielte Aktion von Fangruppen. Nur um weitere Verletzte zu verhindern, habe die Polizei die Gitter-Vorsperre an der Bertaallee öffnen müssen. „Das war unsere Sollbruchstelle. Der Druck war massiv“, so van der Maat. Dies habe sich aber vor dem Stadion abgespielt. Vorwürfen, das Einlass-Konzept und das Polizeiverhalten habe zu gefährlichen Paniksituationen am Eingangstunnel geführt, widerspricht van der Maat. [Quelle: http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/duisburger-polizei-weist-kritik-der-fortuna-zurueck-id11791829.html#plx1881516852
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Immerhin leugnet van der Maat nicht ab, dass Vertreter der Duisburger Polizei nicht am üblichen Sicherheitsgespräch teilgenommen hätten, bei dem üblicherweise – und nicht nur bei sogenannten „Risikospielen“ die Sicherheitsbeauftragten der beteiligten Vereine, Vertreter der beteiligten Verkehrsbetriebe und vor allem Vertreter der Polizeidienststellen beider Orte anwesend sind. Dass die Duisburger Polizei ausgerechnet beim brisanten Straßenbahnderby schwänzte, zeigt das ganze Maß an Verantwortungslosigkeit dieser Organisation. Das gesamte Verhalten passt jedoch ins Bild: Immer wieder berichten Teilnehmer an den rechtsextremen Demos in Duisburg, dass die Polizei grundsätzlich Gewalt nur gegen Gegendemonstranten anwendet und einzelne Cops sich dabei nicht selten als Sympathisanten der Rechtsradikalen outen. Was aber am Freitag geschah, ordnet sich in dieselbe Kategorie Versagen ein, die durch Fehlverhalten Duisburger Polizeikräfte schon 2010 zur Love-Parade-Katastrophe führten. Vergleiche der Vorgänge werden übrigens nicht nur mit dem Desaster auf dem Duisburger Güterbahnhof deutlich, sondern besonders mit dem Hillsborough-Desaster, bei dem die Polizei FC-Liverpool-Fans nach demselben Muster in die Falle lockte, was 96 von denen das Leben kostete. Das die Polizei die volle Schuld an diesem schrecklichen Ereignis traf, steht inzwischen gerichtsnotorisch fest – auch damals versuchten die Cops zunächst die ganze Verantwortung auf die Fans abzuwälzen.


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