Genau vor zwei Jahren erschien – damals noch in der Rainer’schen Post – der folgende Artikel. Am Abend zuvor war der Sturm namens Ela von Südwesten her kommend über Düsseldorf hergezogen und hatte wie eine Faust die Bäume in einer Schneise von Neuss bis zum Baldeneysee in Essen umgehauen – ein Ereignis, das in die Geschichte der Stadt eingegangen ist:

Als ich heute am Vormittag die Runde durchs Viertel drehte, sah ich neben Massen an Ästen auf den Straßen und Oberleitungen Massen an Nachbarn mit knipsenden Smartphones, Taschenkameras oder fetten DSLR-Apparaten. Sie dokumentierten die Schäden, die das wahnwitzige Unwetter gestern abend zwischen 21:00 und 21:30 in der Stadt, genauer: hier rund um den Fürstenplatz angerichtet hat. Diese Szene war bezeichnend, denn schon während des Sturms und des Gewitters gab es eine vielstimmige Live-Berichterstattung auf Facebook und auf Twitter. So konnte jeder Teilnehmer in Echtzeit verfolgen, was geschah. Das mag den Social-Media-Abstinenzlern sensationslüstern oder sogar zynisch vorkommen, es führt aber auch zu einer nachbarschaftlichen Solidarität jenseits von Gafferei. Nehmen wir ein Beispiel, an dem ich aktiv beteiligt war.

Gegen 21:30 postete der User „Pyro Naut“ auf Facebook folgendes:

Auf der bülowstr. tritt Gas aus!!! Unser Festnetz ist down. Bitte jemand Feuerwehr oder die Stadtwerke informieren. Kein Witz!!! Die müssen dringend das Gas abstellen. Es stinkt schon wie sau. Und weil hier einige Bäume umgefallen sind kommenden rauchende Schaulustige.!!!

Zuerst dachte ich daran, diese Meldung auf der Facebook-Seite der Düsseldorfer Feuerwehr zu posten, entschied mich dann über Twitter, weil ich die Wahrscheinlichkeit für höher hielt, dass jemand aus dem Kommunikationsteam Twitter liest und nicht auf der Facebook-Seite nachschaut. Also setzte ich folgenden Tweet an die Feuerwehr ab:

@BFDuesseldorf Freunde melden per FB dass auf der Bülowstr Gas austritt. Telefon geht nicht. Notruf nicht erreichbar

Das war gegen 21:35. Etwa zwölf Minuten später meldete Pyro Naut, dass die Feuerwehr eingetroffen sei und mit der Evakuierung begonnen habe. Es zeigte sich, dass mehrere Mitleser dieselbe Idee gehabt hatten und die Feuerwehr deshalb den Fall in der Dringlichkeitsliste nach oben verschoben hatte.

Apropos: Was die Leute von der Berufsfeuerwehr und dem THW seit nun fast 16 Stunden leisten, ist unglaublich. Weil Köln nicht ganz so schlimm betroffen war und die Düsseldorfer Feuerwehr dank der politischen Fehlentscheidungen der noch amtierenden Ratsmehrheit unterbesetzt ist, kamen die Kölner Kollegen übrigens in den südlichen Stadtteilen Düsseldorfs zur Hilfe. Genauso zu loben ist die – ebenfalls vorwiegend per Facebook- und Twitter initiierte – Nachbarschaftshilfe, die überall in der Stadt schon kurze Zeit nach dem Unwetter in Gang kam. Gegen Mitternacht sah man überall Anwohner, die gemeinsam Gehwege und Straßen nutzbar machten – so weit dies ohne schweres Gerät möglich war.

Nachbarschaftlich

Wer sich ein Bild über die Zerstörungen in Düsseldorf machen will, braucht nicht vor die Tür zu gehen – die Feuerwehr rät davon ab, weil immer noch viele Äste auf Halbmast hängen und Dutzende Bäume umzustürzen drohen. Auf Facebook und in Twitter finden sich Tausende Fotos aus allen Ecken der Stadt. Besonders erfreulich: Die überwiegende Mehrzahl zeigt nicht irgendwelche spektakulären Dinge, sondern dokumentiert einfach, was die Folgen sind. Auch der Austausch über Verkehrsbehinderungen bzw. das Ende von Staus und ausfallendem ÖPNV macht so die Runde. Das alles unerwartet unaufgeregt, erfreulich sachlich. Wäre da nicht eine Facebook-Seite, die sich „Unwetteralarm“ nennt und von einem winzigen Verein aus Mönchengladbach betrieben wird. Die Macher sind zwei reichlich notorische Internet-Freaks, die es geschafft haben, die Popularität ihrer Seite durch möglichst knalliges Material zu verbessern. Und die hatten gegen 6:00 vor weiteren schweren Gewittern gewarnt. Nun (gegen 14:00) teilen zig Facebook-Freunde diese Warnung, ohne auch nur einen Blick auf die Uhrzeit zu werfen. So kann man auch Panik erzeugen.

Sensationell genug sind die nackten Fakten. Man muss davon ausgehen, dass in dieser halben Stunde am Abend des 09.06.2014 das schwerste Unwetter über Düsseldorf zog, das je gemessen wurde. Ein Journalistenkollege, der den Sturm in seinem Gartenhäuschen aussitzen musste, meinte, dagegen sei Sturm „Kyrill“ damals eher ein Kindergeburtstag gewesen. Irgendwo war zu lesen, es habe die höchste je gemessene Blitzdichte gegeben; sie habe zehnmal höher gelegen als bei „normalen“ Gewittern. Wir konnten durch die Terrassenfenster sehen, dass sich die gut zwanzig Meter hohen Bäume auf dem Bahndamm an der Oberbilker Allee sturmgepeitscht beinahe bis auf die Gleise bogen. Angeblich sind mehr als 3.000 Bäume auf dem Stadtgebiet entwurzelt, umgestürzt oder abgeknickt.

Priviligiert

Und dann denke ich an die Naturkatastrophen, von denen arme Menschen in den USA und arme Länder in der ganzen Welt betroffen sind. was wir hier gestern erlebt haben, hätte in den USA in den armen Gegenden einer Stadt von der Größe Düsseldorfs wohl für massenhafte Obdachlosigkeit gesorgt. Dass diese Quartiere von den Notdiensten eher nicht angefahren werden, hat ja nicht zuletzt der Hurrikan „Katrina“ 2005 gezeigt. Bei uns sind die Häuser durchweg stabil, und die Hilfsdienste behandeln alle Viertel gleich. Im Gegensatz zu den Metropolen in den armen Ländern verfügen wir zudem über eine ganze Palette an bestens ausgebildeten und ausgerüsteten Einsatzkräften: von den Berufsfeuerwehren über das Technische Hilfswerk und die diversen ärztlichen Notdienste. Dass nun der noch amtierende OB Elbers genau den Feuerwehrleuten die Bezahlung der Überstunden verweigert und kritische Feuerwehrmänner mit Entlassung bedroht hat, ist angesichts dessen ein Skandal, der nie wieder gutzumachen ist.

Während des Sturms habe ich wenig bis gar nicht nachgedacht. Um den Hund nicht zu beunruhigen, haben wir uns dazu gezwungen, ruhig und gelassen mit der Situation umzugehen. Aber ein bisschen Angst kommt doch auf, wenn das Regenwasser sich durch die Dichtungen der großen Fensterscheiben drückt und diese samt Rahmen beginnen zu wackeln. Da bei uns im Haus zwei gnadenlose Frischluftfanatiker wohnen, die ständig (auch bei zweistelligen Minusgraden!) die Fenster im Treppenhaus aufreißen, bin ich mitten im Getöse die Etagen abgelaufen und habe die Fenster, die natürlich alle mehr oder weniger sperrangelweit offen standen, geschlossen. Das war ein ebenfalls merkwürdiges Erlebnis, denn der Sturm pfiff von unten nach oben wie durch einen Kamin.

Als dann alles vorbei war und wir feststellten, dass der einzige Schaden, ein runtergefallener Blumentopf auf der Westterrasse war, wurde mir erst bewusst, was für eine potenzielle Naturkatastrophe wir erlebt hatten. Und so weit ich mich zurückerinnere, hat es ein Unwetter mit derart starken Sturm, so unglaublich viel Regen und so massiven Blitzen in Düsseldorf noch nicht gegeben. Und wir können sagen, wir seien dabei gewesen…

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