Seit wann sich die Düsseldorfer Geschichten darüber erzählen wo und bei welchem Anlass das erste Rad von einem oder mehreren Menschen geschlagen worden sein soll – dazu besteht noch Klärungsbedarf. Eins ist sicher: Der Radschläger hat als Traditions- bzw. Symbolfigur der Stadt seine Existenz in erster Linie dem Volksmund zu verdanken. Die Grundlage war immer ein besonderes Ereignis, das jedem Bürger der Stadt bekannt war, über das man vermutlich noch lange sprechen würde und in das man eine originelle Geschichte einflechten konnte. Deshalb ist es auch nicht abwegig, dass alle kursierenden Varianten, die zum Radschläger existieren, eng mit der Stadtgeschichte von Düsseldorf verbunden sind. Nur auf ein bestimmtes Ereignis konnte oder wollte man sich nicht einigen: Im Kern der einen Geschichte geht es um den Sieg nach der berühmten Schlacht bei Worringen 1288, und in den anderen um eine Hochzeit. Aber um welche? Eine undatierte, anonyme, die von Johann Wilhelm I. mit Jacobe von Baden, oder gar um die von Jan Wellem mit Anna Maria Luisa von Medici?

Wie wir sehen werden, ist es kein Wunder, dass Uneinigkeit darüber herrscht, welche Version die wirklich wahre ist, denn mit der Beweisführung über den Ursprung des Radschlägers sieht es in jeder der Geschichten so düster aus wie das Mittelalter selbst. Sagen und Legenden fragen nicht nach Gründen, sie entstehen einfach. Sie ranken sich meist, wie in diesem Fall, um historische Fakten, die so noch einmal in Erinnerung gerufen werden sollen. Erst Jahrhunderte später, etwa Mitte des 19. Jahrhunderts, tritt der echte, leibhaftige Radschläger im Stadtbild wirklich in Erscheinung und ist heutzutage – wie gesagt – wieder verschwunden und doch überall präsent, aber eben vorwiegend symbolisch, von den Radschläger-Wettbewerben einmal abgesehen.

1. Die Schlacht von Worringen

Heino freut sich über einen Düsseldorfer Radschläger

Heino freut sich über einen Düsseldorfer Radschläger

Durch den Sieg der vereinten Truppen, zu denen auch ein paar Händevoll Düsseldorfer Bauern und Fischer zählten, gegen den Erzbischof Siegfried von Westerburg waren die Kölner endlich von dessen Zwangsherrschaft befreit und der Weg für den Grafen Adolf von Berg war frei, eine Stadt unter seiner Regierung am Rhein zu gründen. Zusammen mit seiner Frau Elisabeth von Geldern verlieh er also Düsseldorf am 14. August 1288 die Stadtrechte. Na, wenn das kein Grund zum Feiern war!

Und genau an diesem historischen Punkt setzt die Fantasie der Düsseldorfer ein: Wie es heißt, soll die Bevölkerung, oder besser gesagt, das, was von ihr noch übrig war, vor Freude über den Sieg gegen den Erzbischof und dessen Verbündete gemeinsam mit den Kölner(!) Bürgern ganz begeistert Rad geschlagen haben. Das ist aber nur eine der Erzählungen zur Geburtsstunde des Radschlägers. Eine andere zu diesem Ereignis besagt, dass Siegfried von Westerburg als Gefangener auf dem Weg zum Schloss Burg sehr finster dreingeschaut haben soll (was ja nach einer verlorenen Schlacht kein Wunder ist), sodass Graf Adolf seinen prominenten Gefangenen aufheitern wollte – und zwar mit Rad schlagenden „Rabau(k)en“, die er zu dieser Aktion aufgefordert haben soll. In einer weiteren Version sollen es Kinder gewesen sein, die nach der Schlacht von Worringen und der wenige Wochen später erfolgten Verleihung der Stadtrechte ihrer Freude Ausdruck verleihen wollten.

2. Die Hochzeit von Johann Wilhelm I. mit Jacobe von Baden

Feuerwerk zur verrückten Hochzeit von Johann Wilhelm I. mit Jacobe von Baden

Feuerwerk zur verrückten Hochzeit von Johann Wilhelm I. mit Jacobe von Baden

„Bei einem Hochzeitszug sah ein geistesgegenwärtiger Knabe, wie das Rad der Karosse des Brautpaares sich von der Achse lösen wollte, damit kein Unglück geschieht, sprang er herbei und steckte seinen Daumen bzw. eine Hand in die Radnabe und musste so notgedrungen ‚radschlagen‘.“ So heißt es in einem Erklärungsversuch der Düsseldorfer Geschichtswerkstatt. Daraus geht aber weder hervor, wann diese Hochzeit stattgefunden haben soll, noch wer die Brautleute waren. Also musste man sich etwas einfallen lassen, um das Ganze ein wenig auszuschmücken. Lange überlegt werden musste bestimmt nicht, denn im Juni 1585 fand in Düsseldorf die spektakuläre Hochzeit von Johann Wilhelm I. mit Jacobe von Baden statt, die mit den rund 1.500 geladenen Gästen jeden bis dahin bekannten Rahmen sprengte und über eine Woche dauern sollte. Auch in diesem Fall handelt es sich um eine Begebenheit, die wie die Schlacht von Worringen eng mit der Geschichte Düsseldorfs verbunden ist, und bei der der Volksmund – rund um die historischen Fakten – seinem Erfindungsreichtum freien Lauf lassen konnte.

Die weiße Frau im Düsseldorfer Schlossturm - Jacobe von Baden spukt immer noch

Die weiße Frau im Düsseldorfer Schlossturm – Jacobe von Baden spukt immer noch

In einem Aufsatz zum Thema des Düsseldorfers Karl Emerich Krämer (1918-1987) aus dem Jahr 1974 heißt es über andere Spekulationen über den Zusammenhang zwischen der unglücklichen Jacobe von Baden und den Radschlägern: „Auch Herbert Eulenbergs Geschichte, Düsseldorf hätte zu Ehren der Jacobe von Baden zum ersten Mal das Radschlagen nicht lassen können, ist dichterische Erfindung. Kein Bild, keine Urkunde, keine Hofannalen und erst recht kein Geschichtsbuch bestätigen, was dem Dichter so überzeugend aus der Feder floss, obwohl die Schönheit der jungen Fürstenbraut wahrscheinlich genügend Anlass geboten hätte, wenigstens den ihr frisch angetrauten Herzig ein Rad schlagen zu lassen. […] Walter Kordt konnte nachweisen, dass in keinem Bericht über Düsseldorf vor der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Radschlägern die Rede ist.“

3. Die Hochzeit von Jan Wellem mit Anna Maria Luisa d’Medici

Dä Jan Wellem un sin Anna Maria

Dä Jan Wellem un sin Anna Maria

Den Erzählungen nach könnte es auch der Hochzeitszug von Johann Wilhelm II., Herzog von Jülich und Berg, Pfalzgraf von Neuburg an der Donau und Kurfürst von der Pfalz (1858-1716), den Düsseldorfer besser bekannt als Jan Wellem, und seiner Gemahlin Anna Maria Luisa d’Medici (1667-1743) gewesen sein, bei dem man die ersten Radschläger in Düsseldorf gesehen haben wollte. Aber, um es gleich vorweg zu sagen, diese Variante hat ein kleines Manko, denn die Hochzeit der beiden fand gar nicht in Düsseldorf statt; ergo: Es gab dort auch keinen Hochzeitszug. Eine Verwechslung mit Jan Wellems erster Ehe scheidet aus demselben Grund aus.

Der Radschlägerbrunnen am Rand des Burgplatzes

Der Radschlägerbrunnen am Rand des Burgplatzes

Trotzdem ist ein gewisser Zusammenhang zwischen Anna Maria Luisa und dem Ursprung der Radschläger nicht ganz auszuschließen, denn sie kam natürlich nicht alleine aus Italien nach Düsseldorf; mit ihr kamen ein beachtlicher Hofstaat, Künstler, Handwerker, die sich mit ihren Familien in der Residenzstadt Düsseldorf niederließen, und auch ihre Traditionen und Gepflogenheiten mitbrachten. War demzufolge die Kunst des Radschlagens vielleicht sogar ein „Import“ aus Italien? Hierzu sagt Walter Kordt in seinen „Paraphrasen über ein Stadt-Düsseldorfer Nationalphänomen“: „Es war wohl zuerst das Genie der Düsseldorfer Altstadtjungens, die irgendwelchen fahrenden Akrobaten oder einem zugewanderten neapolitanischen Italiener, wie sie häufig in der Altstadt zuzogen, die Kunst des Radschlagens abguckten und sie zu einer einträglichen technischen Virtuosität brachten.“

Im zweiten Teil dieser Überlegungen zu dieser Düsseldorfer Spezialität wird es um die ersten im 19. Jahrhundert nachweisbaren Radschläger gehen, um die Blütezeit im 20. Jahrhundert und den Zustand dieser typisch Düsseldorferischen Kunst im 21. Jahrhundert gehen.

[Wir sind stolz und glücklich, mit Marlies Döring eine ausgewiesene Kennerin der Düsseldorfer Stadthistorie als TD-Autorin gewonnen zu haben. Sie ist in Baden-Baden geboren, hat ihre Kindheit und Jugend im Nordschwarzwald verbracht und kam vor mehr als 40 Jahren nach Düsseldorf, die Stadt, die sie heute ihre Wahlheimat nennt. Die studierte Germanistin hat nicht nur eine ganze Reihe von Publikationen zu stadtgeschichtlichen Themen veröffentlicht, sondern jahrelang Stadtführungen organisiert und begleitet. Diesem Beitrag liegt ihr Büchlein „Der Düsseldorfer Radschläger“ zugrunde, das 2009 bei Droste in der Radschläger-Reihe erschienen ist und u.a. bei der Mayer’schen bestellt werden kann.]
[Hier geht’s zum zweiten Teil…]

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