„Unsere Tradition ist den Karneval zu feiern und obrigkeitskritisch zu sein. Dem sind wir treu geblieben. Auch in schweren Zeiten.“ Jaques Tilly spielt auf den Anschlag auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo im Januar 2015 an. Unter dem Schock der grausigen Morde in Paris verließen die Karnevalwagen, die zu Themen wie religiös motivierten Terror und IS bzw. Islamkritik durch die deutschen Innenstädte rollen sollten, ihre Fertigungshallen nicht. In Braunschweig wurde sogar der gesamte Rosenmontagszug auf Grund von „konkreten Wahnhinweisen“ abgesagt. „Mit vier Wagen zu dem Thema gingen wir an den Start. Stellvertretend für die anderen Züge. Was hätten wir anderes tun sollen? Die Freiheit, zu lachen über was oder wen man will, ist den islamische Fundamentalisten ein Dorn im Auge. Wenn wir damit anfangen, auch noch so kleine Zugeständnisse zu machen, z.B. unsere Narrenfreiheit einzuschränken, wo soll dann die Anpassung enden? Etwa, wenn sich auch hier alle Frauen verhüllen müssen?“

Jacques Tilly schüttelt den Kopf und bekundet nachdrücklich, dass er die Diskussion über einen, wie auch immer gearteten Satiremaulkorb als beendet betrachtet. „Einer unsere Wagen trug die Aufschrift: ‚Satire kann man nicht töten.‘ Sie lebt weiter, auch wenn der Preis dafür (wie im Fall von Charlie Hebdo) sehr hoch war.“

Karneval ist für Satire die perfekte Bühne

Dank Tilly und anderer namhafter Künstlern (u.a. Gerhard Richter und Günther Uecker in den Sechzigerjahren) hat sich der Rosenmontagszug in Düsseldorf unter der Leitung des CC (Comitee Düsseldorfer Carneval e.V.) schon lange von dem Image des konservativ-biederen, alkoholselig-schunkelnden Karneval entfernt.

So kennt man unseren Jaques Tilly (Foto: Steve Antonin)

So kennt man unseren Jaques Tilly (Foto: Steve Antonin)

„Unser Publikum steht an der Straße, es feiert. Der Blickwinkel auf die Wagen ist eingeschränkt. Sie rollen sehr schnell vorbei. Dementsprechend müssen unsere Botschaften einfach sein. Wir setzen Themen in Szene, die in den Köpfen unseres Publikums bereits vorhanden sind. Die dargestellten Personen und Charaktere müssen für jeden sofort verstehbar sein. Wenig Text, maximal drei Figuren; eigentlich sogar nur zwei. Die Berichterstattung im Fernsehen, die internationale Presse und heute natürlich die sozialen Netzwerke bringen die Botschaften dann rund um die Welt.“

Trump als schreiendes Terrorbaby auf dem G-20 Gipfel

Tillys Wagen für Greenpeace für den G20-Gipfel in Hamburg

Tillys Wagen für Greenpeace für den G20-Gipfel in Hamburg

Anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg produzierte Tilly im Auftrag von Greenpeace Trump als Baby. Breitbeinig sitzt es auf der Weltkugel, während aus seiner Windel eine braune Masse quillt und den Globus hinab rinnt. Ein schreiendes, hässliches Kleinkind, in seinen emporgereckten Händen die zerrissene Pariser Klimavereinbarung. Während in Hamburg Autos in Flammen aufgehen, Polizei und Demonstranten sich tagelange Schlachten liefern, schippert die Tillys Plastik eskortiert von Greenpeace-Schlauchbooten durch den Hamburger Hafen. Fotos des schreienden Terrorbabys dahinter die imposante Fassade der Elbphilharmonie gehen um die Welt.

Trump als Schmutzengel für den Kashoggi-Killer

Trump als Schmutzengel für den Kashoggi-Killer

Tilly hat die internationalen Presse gesammelt und katalogisiert. Stolze Bilanz: 1.500 Artikel weltweit, allein für die Wagen von 2019. Die Plastik zum Thema Brexit „Theresa May spießt mit langer Nase die britische Ökonomie auf“ ist pressetechnisch besonders erfolgreich. Im Gegensatz zu anderen Plastiken, die direkt nach ihrem Auftritt eingestampft werden, tourt diese auf Anti-Brexit Demos noch immer durch Groß-Britannien. Ebenfalls einen traurigen Rekord erlangte die Plastik zum Khashoggi Mord. (Prinz Salman mit blutiger Kettensäge, über ihm schwebend: Trump als nackter Schutzengel.) Tillys Kommentar hierzu: Allein im Iran wurden hierzu dreißig Artikel in regionalen Zeitungen veröffentlicht. Natürlich mit Foto.

Provozieren, frech sein, kein Blatt vor den Mund nehmen

„Mein Medium ist, und war schon immer, das Bild“, erzählt Tilly. Schon als Schüler habe er seine Lehrer gezeichnet und die Bilder in der Schülerzeitung veröffentlich. Als 20-jähriger habe ihn dann ein Freund das erste Mal zum Wagenbau mitgenommen. „Seitdem war ich dabei. Jedes Jahr, anfangs nur für zwei Monate. Lukrativ war das Ganze auch noch. Ich brauchte weder Bafög, noch Taschengeld von meinen Eltern. Unter meinen Freunden war ich der einzige, der immer Geld in der Tasche hatte.“

Bitterböse auf den Punkt gebracht – die Missbrauchsskandale der katholischen Kirche

Am liebsten habe er im Bereich der politischen Satire gearbeitet, erzählt Tilly weiter. Er habe die Gratwanderung geliebt. Provozieren, frech sein, kein Blatt vor den Mund nehmen, egal um wen oder was es geht. Tilly erinnert sich: „1996 hatten wir einen Wagen zum Kruzifixstreit in Bayerischen Schulstuben vorbereitet. Schon damals. Stoiber war noch Ministerpräsident. Drei Kreuze, an jedem hing ein trauriger Clown, dazu ein Schild: ‚Karneval in Bayern‘. Ein Sturm der Entrüstung brach los! Plötzlich herrschte Einigkeit zwischen Katholiken und Evangelen. Wir wurden mit Unterschriftslisten überflutet. Als dann die Sponsoren auf Druck der Kirchen damit drohten, Gelder zurückzuziehen, ruderte das Comitee Düsseldorfer Carneval zurück.“ Tilly lächelt verschmitzt. „Der Wagen rollte trotzdem; die Skulptur darauf war mit Tüchern weiß verhüllt, à la Christo. Natürlich für die Presse ein gefundenes Fressen.“ – „Ich verhülle, um zu enthüllen.“ (Zitat: Christo Christo & Jeanne-Claude) „Diese Vehemenz, diese Unerbittlichkeit mit der Kirche und Staat gemeinsam auf einen, meiner Meinung nach doch recht harmlosen Witz eindroschen, das brachte mich zum Nachdenken.“

Schon immer ein freches Teufelchen - Jaques Tilly beim Rosenmontagszug 1968

Schon immer ein freches Teufelchen – Jaques Tilly beim Rosenmontagszug 1968

„Meine Frau, Ricarda Hinz, drehte einen Film über die Ereignisse rund um die verhüllten Kreuze und fing die Kommentare am Straßenrand ein. Die Laudatio zu der Uraufführung in einem Düsseldorfer Kino hielt Karlheinz Deschner, wohl Deutschlands berühmtester Kirchenkritiker. Über ihn kamen wir mit der Giordano-Bruno-Stiftung in Berührung und sind ihr bis heute treu geblieben.“ Die Macht der Kirche sei auch heute noch ungebrochen, führt Tilly weiter aus. Und das, obwohl es ein Grundgesetz gibt, das die Trennung von Religion und Staat zwingend vorschreibt. Noch immer werden Gehälter kirchlicher Würdenträger aus dem Steuersäckel bezahlt. Obwohl Arbeitgeber wie Diakonie und Caritas (mittlerweile die größten Arbeitgeber in Europa) nicht einen Cent aus dem Kirchenvermögen zu steuern, genießen sie in punkto Arbeitsrecht eine Sonderstellung. Ganz zu schweigen von der fehlenden Aufarbeitung der Sexualstraftaten.

Der Mensch ist Gast auf dieser Erde – Giordano Bruno zum Klimawandel

„Die Giordano Bruno Stiftung möchte den religionsfreien Bürgern in Deutschland eine Stimme geben. Sie aber deswegen auf ‚Kirchenkritik‘ zu reduzieren, wäre falsch. Die GBS vertritt einen evolutionären Humanismus und bezieht ihren Wertekanon aus den Idealen der Aufklärung. Sie vertritt den Geist des Grundgesetzes, setzt sich für die Meinungsfreiheit ein und plädiert für eine Erziehung, in der die Unterrichtsinhalte dem aktuellen Stand wissenschaftlicher Forschung entsprechen. Das heißt konkret: Evolution statt Adam und Eva!“

Tillys Greta-Thunberg-Wagen gehört jetzt der FfF-Bewegung - hier am 20.9.2019 in Düsseldorf

Tillys Greta-Thunberg-Wagen gehört jetzt der FfF-Bewegung – hier am 20.9.2019 in Düsseldorf

Tilly erzählt, dass er und das Comitee Düsseldorfer Carneval den Greta-Thunberg-Wagen von 2019 den Schülern der Fridays-for-Future-Bewegung zur Verfügung gestellt habe. Auf diesem Wagen zieht eine überdimensionale Greta-Thunberg-Figur der Elterngeneration an den Ohren. Greta habe die Darstellung ganz offensichtlich gefallen. Sie hat das Foto der Plastik auf ihrer Internetseite gepostet. Giordano Bruno erhebt seine Stimme auch zum Klimawandel, erklärt Tilly weiter. Allerdings wirbt die Stiftung für Maßhalten. Der Mensch als Wurzel allen Übels, als Pest für die Umwelt, als Krankheitsbefall dieses Planeten; das erinnere stark an den im christlichen Sündenwahn fundierten Selbsthass.

Und wohin soll das führen? Ein totalitäres Umweltbewusstsein, eine Öko Diktatur? Wollen wir denn einen Überwachungsstaat wie in China mit Punktekredit, der über Arbeit, Wohnung und Wohl der Familie entscheidet, Sippenhaft? Und natürlich den Maulkorb für Satire? Tilly dazu: „Nein, Humanismus heißt Streitkultur, Meinungsvielfalt, freiheitliches Denken; immer auf Basis der Grundrechte. Aber wir Humanisten sehen die jetzt lebenden Menschen auch ’nur‘ als Gast auf dieser Erde. Und damit tragen wir auch eine große Verantwortung für spätere Generationen.“

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