Am Ende des Freitags fragte sich der geneigte Besucher der Jazz-Rally, ob man die Veranstaltung nicht einfach in Funk-Soul-Groove-Rally umbenennen sollte, denn außer den unentwegten Dixie-Band-Burschen versuchten alle Musikanten irgendwie das Publikum zum Grooven zu bewegen. Auf der Bühne am Marktplatz wurden alle Acts mit der Prognose versehen, sie würden zum Tanzen animieren und zum Schwitzen bringen. Und das Abend-Highlight, der New-Soul-Sänger Seven fragte zu Beginn seines Konzerts „Oder ist das zu viel Funk für ein Jazz-Festival?“. Das erlebnishungrige und nicht besonders jazz-affine Publikum jubelte mit einem lauthalsen „Nein!“ und schwang die Hände im vorgegebenen Groove über den Köpfen. Selbst die eigentlich klassisch aufgestellte Bigband der Clara-Schumann-Musikschule bemühte durchweg tanzbare Rhythmen. Da waren dann die Jazzinvaders im Stone (Ratinger Hof) schon beinahe die jazzigsten der Jazzer. Wobei das Adjektiv „jazzig“ manches Gespräch zitierte. Es scheint inzwischen zu reichen, die eigene Mucke „jazzig“ anfühlen zu lassen, um sich selbst als Jazz-Musiker zu betrachten. Wohlgemerkt: Das alles ist weder eine Generalkritik an den auftretenden Künstlern, noch der Versuche, eine Debatte über die Frage zu starten „Was genau ist denn eigentlich Jazz?“

Zumal sich der Soulfunk-Eindruck vor allem an dem festmacht, was am Freitagabend geboten wurde. Da war das Wetter noch nett, und die Altstadt brodelte ungefähr doppelt so doll wie sonst an Freitagen. Am stärksten brodelte es vor dem altehrwürdigen Uerige, wo die Rheinstraße zwischen Akademie- und Bergestraße ab etwa 18 Uhr gesteckt voll war – gut 2.000 oder mehr fröhliche Feierer standen da, ließen sich von Köbessen, die sich wie Schlangenmenschen durch die Masse mogelten, lecker Alt liefern, während oben unter Schirmen ein Boogie-Woogie-Duo so was wie verjazzte Elvis-Nummern brachte. Alle hatten Spaß, alle waren gut drauf, aber mit Jazz hatte das nicht viel zu tun.

Wenn aber der Funk zum Jazz gehört, dann brachte eine Truppe namens „Rhythmussportgruppe“ eine gehörige Portion Bewegungs-Jazz auf die Bühne am Marktplatz. Die Herren und die Damen waren sportlich gekleidet und funkten los wie die wilde Jagd. Weil das Publikum rund um das Pferd vom Jan Wellem aber eher auf die Fressstände gepolt war, hielt sich das Zappeln der Zuhörer in engen Grenzen. Da gab es vor dem Konzertzelt am Burgplatz dann schon lange Schlangen. Angesagt war ein Herr „Seven“, der neuerdings total bekannt ist, weil er beim Xavier Naidoo seine Musikerkollegen-Show an der Zeit von u.a. dem kölschen BAP-Niedecken singen durfte. Da stürmte das Volk an die Gitter der ersten Reihe, und alle waren super fröhlich. Das nahm der Schweizer Musiker mit seiner sehr funkigen Band gern auf und begann gleich mit solchen Spielen, dass die Leute „Oh-ho“ oder so grölen sollten. Deswegen waren viele auch mit Kind und Kegel da, und irgendwer war gerade immer unterwegs zum Bierholen.

Dann begannen die Junggesellenabschiede, Kegelclubausflügler und sonstige Testosterongeschwader die Altstadt zu fluten, deren Mitglieder schon von diesem eichgespülten tanzbaren Jazz heillos überfordert waren und nicht wussten, ob sie das lustig finden oder sich lustigmachen sollten. Da schienen zwei Gigs an der Ratinger Straße eine gute Alternative. Im Stone, dem Club an der Stelle des legendären Ratinger Hofs, traten die „Jazzinvaders“ auf, eine Band gesetzter Funk-Herren samt mittelalter Dame im kurzen Glitzerkleidchen. Die passten gerade mal so auf die Bühne, waren dann aber erstaunlich jazzig – um das bewusste Adjektiv mal wieder zu verwenden. Das Publikum auf den heißen 200 Quadratmeter bestand zur Hälfte aus Stammgästen, die das Gebotene nahmen, wie es kam, und Jazz-Rally-Passanten, die sich nur teilweise wohlfühlten in diesem Ambiente.

Und weil sich das ganze Programm dann schon übereinander geschoben hatte, war der Henkelsaal um die Ecke zum eigentlichen Anpfiff des nächsten Konzerts noch fast leer. Als dann die bayerische Combo namens „Beat ’n Blow“ vollzählige die Bühne geentert hatte, war auch das Publikum da. Eigentlich ist das ein netter Konzertort, würde man an den Bars nicht sage-und-schreibe 3,50 Euro für eine 0,33-Liter-Flasche Frankenheim Alt verlangen. Die Truppe brachte einen Hauch La Brass Banda mit und eine Wuchtbrumme als Sängerin – das groovte wieder ganz gut, aber irgendwann bogen die sieben Leute in Richtung Peter Fox und Seeed ab und brachte deutschsprachige Songs mit einem Schuss Balkanbeats. Was ja nicht schlecht sein muss…

So wünschte sich Ihr ergebener Jazzfreund für den Samstag dann nur noch drei Dinge: Jazz, Jazz und Jazz. Die Durchsicht des Programmhefts mit seinen rund 90 Einträgen zeigte dann auch Spuren dieser Musik, die bekanntlich die Wurzel aller populären Mucke ist. Wie erholsam – bei leider nur noch knapp 12° Außentemperatur – die sehr relaxte „Red Beans Ragtime Band“, ein Club älterer Herren, die im Carschhaus-Pavillon sehr traditionell schrammelte und niemanden zum Tanzen aufforderte. Rund um den Bierwagen hatten sich ein paar Hundert Menschen versammelte und ließen es sich bei Getränk und Geräusch gutgehen.

Bis dahin hatten die Programmmacher, die ja ohnehin eher aus dem Dunstkreis des Pop kommen, weite Bereiche der Jazz-Landschaft und -Historie großräumig umfahren und ein Bouquet zusammengestellt, in dem so ungefähr jede Jazz-Richtung zwischen den mittleren 30ern- und den 50er-Jahren komplett fehlte. Kein Swing, kein Cool, kein Bebop… Immerhin konnte das Publikum dann im prallgefühlten Juta ein blutjunges Trio namens „Turn“ begutachten, das tatsächlich Ernst machte mit dem Jazz und gar nicht erst versuchte, die Zuhörer zu irgendwas zu animieren. Die drei Burschen spielten ihre selbstgeschriebenen Stücke, die so ziemlich das repräsentierten, was gute zeitgenössische Jazz-Trios (wie Medeski, Martin & Wood oder auch The Bad Plus) aufbieten. Dabei übertraten sie mehrfach die rote Linie zu den freien Formen, was aber in Relation zum dauernden „Do you feel good“ draußen eine Wohltat war.

Selbst bei weihnachtlichen Temperaturen brodelte es auch am Samstagabend vor dem Uerige, wo nun eine Blues-Band Dienst tat. Und wie! Die vier Herren von „TBQ“ mit dem gefeatureten Herrn Crivellaro an der Klampfe spielten sich, kaum einen halben Meter von ihren Zuhörern entfernt, den Arsch ab, das es eine Freude war. Also mehr so eine Rock-Freude, weniger eine Jazz-Freude. Die kam dann wieder am Marktplatz auf, wo – wie so oft in den vergangenen Jahren – die Schüler der Warschauer Chopin-Musikschule unter der Leitung von Prof. Bednarski zeigten, was eine richtige Jazz-Ausbildung für Folgen haben kann. Hoch konzentriert präsentierte man neue Kompositionen, und man hätte der Band mehr Zuschauer und einen anderen Rahmen gewünscht.

Den Sonntag ließ Ihr Ergebener aus Gründen aus. Leider konnte er auch die beiden Doldinger-Konzerte nicht miterleben. Aber es scheint, als müsse sich der Schirmherr doch mal in die Programmgestaltung einmischen, damit die Jubiläums-Rally im kommenden Jahr sich mal wieder auf das konzentriert, was der Name verspricht: Jazz. Denn keiner hat es je geschafft, so viel Jazz so populär zu verpacken, ohne ständig bei Funk, Soul und Rock zu wildern wie Klaus Doldinger, der am Vortag des Festivals seinen 80. Geburtstag im Kreise seiner Bandmitglieder und Musikgäste in der Tonhalle feierte.

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