Die mit Abstand wichtigste Institution für Düsseldorfer Cineasten heißt „Biograph„. Im Jahr 1980 – ohnehin inmitten einer Ära kultureller Innovationen und Gründungen in der Stadt – starteten mit Heinz Holzapfel und Peter Liese zwei der Kinoverrücktesten Düsseldorfer überhaupt dieses Magazin für Liebhaber der Filmkunst. Vorbild war der Programmteil der New Yorker Village Voice namens „Choices„. So nannten sie den zuerst vom Stapel gelassenen Kölner Bruder des Biograph. Fortan hatten Menschen, denen Film etwas bedeutete, ein Organ, das ihnen mit klugen Besprechungen Empfehlungen für den nächsten Kinogang gab. Überhaupt: In den Zeiten vor dem Internet gab es nur zwei Möglichkeiten, sich über das Angebot in den Lichtspielhäusern zu informieren: die Litfaßsäule und den Anzeigenteil der Tageszeitungen.

Mit knapp zwölf Jahren, also um 1965 herum, begann ich, große Teile meines Taschengeldes fürs Kino auszugeben. Vor allem die Sonntagsmatinees besuchte ich regelmäßig, denn da kostete der Eintritt weniger. Da wir keine Tageszeitung abonniert hatten, galt der erste Gang der Litfaßsäule um die Ecke auf der Tussmannstraße. Dort wurde jeden Donnerstag ein Plakat mit dem Programm aller Düsseldorfer Kinos angeklebt. Während in der Zeitung täglich unter einer Überschrift wie „Filmtheater zeigen heute“ für jedes Haus der Hauptfilm beworben wurde, hatte jedes Kino auf dem Plakat seinen eigenen Bereich, in dem es das Wochenprogramm präsentierte. Aber sowohl hier, als auch in den Anzeigen konnte man die Theater gut unterscheiden: Jedes hatte eine etwas andere Schrifttype, die Weiß auf schwarzem Hintergrund gedruckt war.

Wie gesagt handelte es sich um Anzeigen, für die Kinobetreiber zu zahlen hatten. Wer weder an der Säule, noch in den großen Tageszeitungen vertreten war, existierte praktisch nicht. Das galt bis Mitte der Siebzigerjahre nur für die Filmtheater außerhalb der Innenstadt nicht, die ihr Angebot fast ausschließlich über Plakate am Eingang bewarben. Über diese „Vorstadtkinos“ wird übrigens in der dritten Folge dieser Reihe die Rede sein.

Filmkunst statt Billigkino

Die Entstehung des „Biograph“ ist eng verknüpft mit der Historie des kleinsten aller Programmkinos. In den frühen Siebzigerjahren war Oberkassel gastronomisch ziemlich unterbelichtet. Weil damals die erste große Verdrängung von Bewohnern durch Büros stattfand, hatten allein schon die Eckkneipen ums Überleben zu kämpfen. 1972 eröffnete aber der Kaufmann Helmut Kettler gegen den Trend ein Café auf der Dominikanerstraße gleich beim Barbarossaplatz. Innerhalb kurzer Zeit avancierte das „Muggel“ aber zu einem Treffpunkt für Altstadtverächter und Kulturfreunde. Und ebenfalls völlig antizyklisch baute er 1977 den Keller, der zum Glück einen Ausgang in den Innenhof hat, zum Kinozimmer aus. Das „Souterrain“ war geboren, und Peter Liese war dort Vorführer. In seiner ersten Inkarnation fanden 32 Zuschauer Platz auf einfachen Klappstühlen; je vier teilten sich einen runden Café-Tisch, auf dem Aschenbecher standen. Ja, denn das Souterrain war Raucherkino – und blieb es bis zum Jahr 2002.

Um in den Filmkeller zu kommen, muss man auch heute noch das Lokal durchqueren. Einlass ist oben. Man steigt ein paar Stufen, vorbei an der Projektionskabine, hinab und landet nicht weit weg von der Leinwand. Anfangs konnte man sich Bier und Wein von oben mitbringen. Später wurde im „Saal“ eine kleine Bar eingerichtet, die vor dem Beginn und in der Pause Getränke und Knabberzeug anbietet. Apropos: Da in den ersten Jahren nur ein Projektor vorhanden war, gab es bei fast jedem Film ein Päuschen zum Rollenwechsel. Da konnte man dann aus dem verqualmten Raum flüchten und draußen im Hof frische Luft schnappen.

Kommunales Kino

Damit haben wir auch schon die Köpfe beisammen, die dafür gesorgt haben, dass bis heute die Filmkunst ihren Platz in Düsseldorf hat. Holzapfel, Liese und Kettler waren aber auch immer mit an Bord, wenn sich rund ums gute Kino etwas tat in der Stadt. Die zweite Wurzel für die heutige Programmkino-Szene war aber die Landesbildstelle an der Prinz-Georg-Straße, die heute „LVR-Zentrum für Medien und Bildung“ heißt und am Bertha-von-Suttner-Platz residiert. Die war zuständig für das Verleihen von Filmen (und auch Projektoren) an Schulen. Von den Schulen benannte Schüler lernten dort das Filmvorführen und waren berechtigt, für ihre Institute Bewegtbildmaterial auszuleihen. Meinen „Vorführschein“ – so nannten wir das – machte ich dort 1968. Da man aber schon seit den ersten Jahren nach dem Krieg gerade in NRW sehr auf den Film als Medium der kulturellen und politischen Bildung setzte, gab es regelmäßig Kinoausflüge der Schulen. Unter anderem in die Städtische Kultur- und Jugendfilmbühne an der Prinz-Georg-Straße, in deren Hinterhof eine große Baracke der Landesbildstelle untergebracht war.

So marschierten also bisweilen weite Teile der Schülerschaft des benachbarten Leibniz-Gymnasiums, meiner Alma Mater, Filmbühne, um sich unter Aufsicht etlicher Lehrer wertvolle Streifen anzuschauen. Fast 600 Kinder und Jugendliche saßen dann mehr oder weniger ruhig im Saal und ließen sich beflimmern. Durch die Nähe zur Landesbildstelle wird das Haus zum zentralen Treffpunkt aller Kinoliebhaber, die in mehreren Vereinen und Gruppen organisiert sind. Hier wird 1972 das Kommunale Kino der Volkshochschule, das den Kinosaal mit nutzt, und alsbald unter dem Namen „Filmforum“ Betreiber des Lichtspieltheaters wird. Die politische und kulturelle Zielrichtung war klar: Je mehr Schund in den kommerziellen Kinos lief und je mehr Hollywood-Produktionen die großen Kinos blockierten, desto wichtiger erschien es den Betreibern, einen Ort für Filmkunst zu schaffen.

Und so wird das Filmforum zum wichtigsten Ort für Cineasten, die an bis zu fünf Abenden die Woche dort wertvolle Filme genießen konnte. Für mich war das ehemalige Gymnasium an der Prinz-Georg-Straße in den Siebzigerjahren wie ein zweites Zuhause. Erstens, weil der Eintritt gering war, und zweitens, weil es oft sogar gar nichts kostete, weil Sponsoren das Angebot finanzierten. So gab es einmal eine Woche lang japanische Filmkunst umsonst – allerdings im Original ohne Untertitel. Es muss 1975 oder 1976 gewesen sein, als den Sommer über jede Woche zwei bis drei legendäre Konzertfilme – von Monterey bis Woodstock – dort gezeigt wurden. Den Vogel in meiner Karriere als Kino-Süchtiger schoss aber der Rivette-Film „Out 1“ ab, der in seiner fast dreizehn Stunden langen Fassung auf zwei Tage verteilt dort gezeigt wurde.

Der Stand der Dinge

Nicht nur das Souterrain ist aus der Anfangszeit der Programmkinos übriggeblieben. Nach vielen Veränderungen an den Besitzverhältnissen, nach Pleiten und Programmexperimenten entstand im Jahr 2000n die Metropol Düsseldorfer Filmkunstkinos GmbH als Betreibergesellschaft für die kleinen, feinen Filmtheater. Dazu zählen das namensgebende Metropol auf der Brunnenstraße in Bilk, das legendäre Bambi auf der Klosterstraße, das wiederauferstandene Atelier im Savoy, das bereits erwähnte Souterrain, das Open-Air-Kino im Biergarten Vier Linden und das Cinema in altstädtischen Schneider-Wibbel-Gasse (das früher unter dem Namen „Bali“ ein Rund-um-dir-Uhr-Kintopp mit zweifelhaftem Programm war).

Gerade Metropol, Bambi, Cinema und Atelier kommt inzwischen eine besondere Rolle zu. Nachdem die Multiplexe praktisch keine Independent-Filme mehr in Erstaufführung zeigen, haben immer mehr gute Filme ihre Düsseldorfer Premiere in einem der genannten Häuser. Weil auch Streifen, die in den Medien gut besprochen wurden, oft nur in den Filmkunstkinos zu sehen sind, bilden sich an manchem Donnerstag zum Programmwechseln und natürlich freitags und samstags lange Schlangen – besonders vor dem Metropol und dem Bambi. Cineasten sei deshalb dringen angeraten, bei Wunschfilmen rechtzeitig per Telefon zu reservieren.

Aber auch Menschen, die es gar nicht so sehr zum „besonderen“ Film zieht, kann man nur raten, einmal die Häuser der Filmkunstkinos zu besuchen – nur dort findet man noch das gute, alte Kino-Gefühl der Sechziger- und Siebzigerjahre, als Lichtspielhäuser noch eine echte Alternative zum Fernsehen darstellten.

Ein Kommentar

  1. Es gab in den 1960er Jahren noch eine dritte Möglichkeit, sich über das Kinoprogramm in Düsseldorf zu informieren: Über eine vierstellige Servicenummer (den Begriff gab’s aber noch nicht) per Telefonansage.