Wer hätte im Jahr 1965 gedacht, dass „dat Lisbeth“ auch noch 2015 englische Königin wäre und noch einmal in Good Old Germany vorbeischauen würde? Dazwischen liegen immerhin 50 Jahre, und selbst ihren ewigen Thronfolger mit den großen Ohren dürfte die Queen mit dem Krönchen auf der Birne überleben. Selbst der Prinzgemahl hat sich durch Fuchsjagd und andere Grausamkeiten so fit gehalten, dass er mit 94 Jahren auf dem Buckel nochmal mitkommt. Als die Royals im Mai 1965 zehn Tage lang durch die Bundesrepublik tourten, war das ein Ereignis, dass – ja, hier taugt die Floskel – die Massen bewegte. Gar nicht mal so sehr, weil ein gekröntes Damenhaupt über den Kanal geschippert kam, sondern weil diese Reise die junge Bundesrepublik und das Vereinigte Königreich näher zusammenrückte. Besonders bei der Jugend, bei den – wie man damals sagte – Unbelasteten. Nun war unsere Familie durch den Vater nicht nur sehr amerika-freundlich gepolt, sondern erheblich anglophil. Hatte der doch die letzten drei oder vier Jahre seiner Kriegsgefangenschaft auf einem Bauernhof in der Nähe von Cockley Cley in Norfolk fast wie ein Familienmitglied verbracht und diese Zeit als die glücklichsten Jahre vor der Heimkehr bezeichnet.

Also war klar, dass wir uns kollektiv freuten. Zumal parallel zur Queen’schen Stippvisite in der schönsten Stadt am Rhein eine spannende Wirtschaftsschau britischer Unternehmen in der Düsseldorfer Messe stattfand. Die befand sich bis zum Umzug an den heutigen Standort im Jahr 1971 an der Fischerstraße. Dann hat sich „die Victoria“ aka Ergo-Gruppe dieses Filetstück zwischen Rhein und Pempelfort gekrallt und mit Protzbauten zugemüllt. Jedenfalls füllte die Ausstellung der UK-Firmen und -Institutionen die große Halle und war eine Publikumsmesse. Wir drängelten uns mit Hunderten interessierter Düsseldorfer durch die Gänge, und wir Kinder sammelten ein, was einzusammeln war: Plakate („Poster“ sagte man noch nicht), Broschüren, kleine Geschenke und natürlich Kugelschreiber. Es gab einen Filmvorführraum, wo wir fasziniert zuschauten, wie die Hovercrafts – damals die Aushängeschilder der britischen Industrie – vom Meer direkt auf den Strand brausten. Und mein Vater ließ sich am Stand von BMC den neuen Austin 1800 vorstellen. Der war beim anstehenden Neuwagenkauf mit in der Verlosung – allein schon weil mein Vater seine Fahrerlaubnis in Cockley Cley 1947 auf einem Austin erworben hatte. Übrigens: Am Ende wurde es dann ein Ford Taunus 20m TS mit 90(!!!) PS. Mein Vater pflegte zu sagen: „Den 20m brauch ich für die Familie, und das TS ist mein Hobby.“

Natürlich waren wir in Düsseldorf mit britischen Lebewesen bestens vertraut, stand doch rund um den Nordpark eine nicht unerhebliche königliche Besatzungsmacht; Familien und für die benötigte Facilities inklusive. Wer dort gleichaltrige Freunde hatte, war fein raus, denn der kam an diesen tollen englischen Fressalien. Und später natürlich an die begehrten Schallplatten und zugehörige Fanartikel. Der Besuch von Elizabeth II. veränderte auch unser Verhältnis zum Ausland sehr. In den Tagen ihrer Anwesenheit brachte der BFBS täglich eine Stunde Programm in deutscher Sprache, dass mit der angesagtesten Musik gespickt war. Und so wurden wir BFBS-Jünger, fühlten uns per Rundfunk an der Quelle der modernen Zeit. Denn nur auf BFBS liefen die Hits der Beatmusik wirklich gleich nach dem Erscheinen – Radio Luxemburg und die Piratensender hinkten ein wenig her, und die deutschen Radiosender brauchten oft zehn Tage, um sich die neusten heißen Scheiben zu beschaffen. Die Riesenhits wie „Do Wah Diddy Diddy“ und im Frühjahr 1956 „Pretty Flamingo“ von Manfred Mann, die Dave Clark Five mit „Glad All Over“ oder die Kinks mit „You really got me“ und „All day and all of the night“ kannten wir damals aus der Wochenschau im Kino.

Unter den Geschwistern war ich der fleißigste Kinogänger, also auch am meisten mit der Welt vertraut dank dieser wöchentlich wechselnden Filmberichte, die ich u.a im Akki („AK-tualitäten-KI-no“) sah, dem Lichtspieltheater, das im Hauptbahnhof selbst untergebracht war und Filme nonstop zeigte. Man zahlte, ging rein und guckte. Konnte sein, dass man mitten im Hauptfilm erschien, dann blieb man eben bis man alles gesehen hatte. An das Filmchen mit Manfred Mann und seinem hübschen Flamingo erinnere ich mich noch ganz genau. Wegen dieser neuen Musik, wegen der britischen Präsenz in Düsseldorf und wegen der Messe waren wir in ganz erheblichem Maße Britannia-Fans. Und als die Queen nach Düsseldorf kam und wir Kinder schulfrei hatten, marschierte ich zum Rheinufer, zur Rampe zwischen Rheinterrasse und unterem Werft, die mit der Eisenschlange. Da gab es eine Absperrung, und ich eroberte einen Platz direkt daran. Plötzlich tauchten Polizisten zu Fuß auf, dahinter ein Pulk Fotografen und dann die König an der Seite des damaligen Oberbürgermeisters Willi Becker, der seine goldene Amtskette trug. Die Queen war, wenn ich mich recht erinnere, hellblau gewandet und hatte eine mächtige Handtasche am linken Arm, während sie mit rechts auf ihre unnachahmliche Weise ins Volk winkte. Dabei kam sie mir auf vielleicht einen Meter nahe – aber Hände hat sie nicht geschüttelt, meine auch nicht.

Royals-Besuch und Briten-Messe wirkten nach. Als im Herbst 1966 in der Schule gefragt wurde, wer an einem Schüleraustausch nach England interessiert sein, meldete ich mich ziemlich heftig. Die Eltern stimmten zu, und so fuhr ich Anfang Juli 1967 – mein Vater war wenige Woche zuvor gestorben – gen Engelland. Landete bei der Familie Clark in Bisley bei Woking, wo ich die Grammar School for Boys besuchte (die es leider nicht mehr gibt). Erst zu Weihnachten des Jahres kehrte ich zurück nach Düsseldorf, im Gepäck einen Haufen Singles und Alben von Interpreten, die hier noch niemand kannte. Damit wurde ich dann auf jede relevante Party eingeladen. Danke, Queen Elizabeth II., danke Großbritannien. Und das mit dem Wembley-Tor habe ich euch längst verziehen.

8 Kommentare

    • Rainer Bartel am

      Jahrgang 23, hat sich Anfang 41 freiwillig gemeldet; im Herbst 1941 nach Afrika gekommen, bei der allerersten Feindberührung in britische Gefangenschaft geraten. Per allierter POW-Verteilung zunächst in die USA gekommen (McLean Camp, Oklahoma). Dann, vermutlich Anfang 1945 nach UK gekommen, im Januar 1948 entlassen.

  1. Ich habe den Queen-Besuch auf der Kö mit meiner Schwester erlebt, die völlig aus dem Häuschen war. Dass sie noch steigerunsfähig war, habe ich dann beim Beatles-Konzert in der Grugahalle erlebt.

    Meiner Erinnerng nach hieß das Akki davor Ali-Kino. Dort liefen keine Hauptfilme, sondern rund um die Uhr Dokumentationen, Nachrichten, Trickfilme und Werbung. Wir gingen hauptsächlich wegen der Cartoons und (ja!) der Werbefilme. Ich habe dort (mit meiner Schwester)für 20 Pfennige so manchen Sonntagnachmittag verbracht. Heute undenkbar dass Kinder in einem Bahnhofskino ihre Zeit verbringen können. Ich kann mich jedenfalls an keine unangnehme oder gefährliche Situation erinnern. Der Kinderanteil war auch relativ hoch damals.

    • Rainer Bartel am

      Ja, du wirst Recht haben: In den Fünfzigern hieß das Ding „Ali“; da liefen neben der Wochenschau aber auch Kurzfilme, zum Beispiel Fuzzy oder Dick & Doof. Nach meiner Erinnerung wurden Spielfilme so ab 1964 dort gezeigt – kann mich aber auch irren…

      Aber über die vielen Kinos in der Stadt vor der großen Krise wäre ohnehin mal zu berichten.

      • Stimmt, Fuzzy, Charlie Chaplin und Dick & Doof liefen auch dort. Damals gab es dann sonntags für 20 Pfennig auch noch die Kinder-Matinées in den Stadtteilkinos. Bei mir in Flingern waren das drei: Atrium, Wintergarten und Titania.

        • Günther A. Classen am

          Damals hießen die Kinos noch „Lichtspielhäuser“.

          Im Bahnhof das hieß in der Tat Ali:

          Wochenschau – Bildungsdokumentation / Kulturfilm – „Kurzfilm“, meistens Zeichentrick von Walt Disney & Co. aber eben auch „Dick & Doof oder Stummfilmkurzfasungen.

          Alles innerhalb 60 Minuten. Und dann wieder von vorn.

          https://de.wikipedia.org/wiki/Aktualit%C3%A4tenkino

          Eine „Kindermatinée“ gab es sonntags auch auf der Oberbilker-Allee, direkt beim aktuellen Domizil des Chefred um die Ecke. Leider habe ich den Namen veralzheimert.

  2. Günther A. Classen am

    Hättest Du damals den Hofknicks ordentlich beherrscht, wärst Du fleischt heute Ordensträger und Member of the British Empire, wie Sir Paul McCartney, George Harrison, Ringo Starr, Sir Elton John, Sir Mick Jagger etc. ;-)))))

    Und Du hättest die Ritterwürde sogar spektakulär zurückgeben oder ablehnen können, wie Mr. David Bowie oder Mr. John Lennon:

    „Your Majesty, I am returning this in protest against Britain’s involvement in the Nigeria-Biafra thing, against our support of America in Vietnam and against Cold Turkey slipping down the charts. With Love, John Lennon of Bag.“

    http://mentalfloss.com/article/29904/10-famous-people-who-turned-down-knighthood

  3. Günther A. Classen am

    Es hat mich nicht ruhen lassen:

    Ali (Aktualitäten – LS) – Im Hauptbahnhof – 1954-1977

    Olympia Oberbilk – Oberbilker Allee 57-63 – 1952-1964

    Globe (brit. Militärkino) – Kaiserswerther Str. 390 – 1956-Mitte 90er

    Quelle:

    „Vom Tanzsaal zum Filmtheater – Eine Kinogeschichte Düsseldorfs”, Sabine Lenk, herausgegeben vom Filmforum – Freundeskreis des Filmmuseums Düsseldorf e. V., Droste Verlag

    http://www.allekinos.com/DUESSELDORF.htm

    Direkt hinter dem Globe auf der Kaiserswerther Straße, das öffentlich zugänglich war und ausschließlich englischsprachige Filme zeigte, befand sich auf dem geschlossenen Britischen Militärgelände in den 60ern der „Youth Club“ für die Kinder der Besatzungstruppen, der am Wochenende aber öffentlich zugängig war.

    Auf der dortigen Bühne gab es dann Live-Musik, in der Zeit für Jugendliche unter 18 sonst so gut wie nirgendwo in der Stadt angeboten. Die Szene war recht hardcoremäßig, da sowohl die Engländer als auch die Unterrather Rowdies ständig für Schlägereien sorgten, was auch die meist rasch präsente Militär-Polizei kaum in den Griff bekam.