[Kurzessay] Ja, es gibt sogar einen Wikipedia-Artikel mit dem Titel „Düsseldorfer Schule (Elektronische Musik)„. Der führt das Entstehen der angeblich in unserer kleinen Stadt erfundenen Populärmusik auf Joseph Beuys zurück – merkwürdig genug. Die Argumentation geht so: Die Kunstakademie war Ende der Sechzigerjahre die Brutstätte der elektronischen Klänge, Joseph Beuys war damals Professor an der Akademie, und Joseph Beuys hatte es mit der Avantgardemusik. Da muss man erstmal drauf kommen. Der richtige Gedanke hinter dieser scheinbar logischen Kette lautet schlicht: Besonders die Kraftwerker wollten mit der Beat-, Pop- und Rockmusik jener Zeit nichts, aber auch gar nichts zu tun haben. Wenn überhaupt dann orientierten sich Ralf Hütter und Florian Schneider an Stockhausen, Cage und Kagel.

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Nur weil Beuys diese Komponisten auch schätzte, kann man ihn guten Gewissens nicht zum Paten der neuen Musik erklären, die übrigens schon vor Kraftwerk in den Düsseldorfer Proberäumen erste zarte Sprossen trieb. Wie hier schon mehrfach zu lesen war, gab es in Düsseldorf schon von den ersten Nachkriegsjahren an eine lebendige Musikerszene. Als die Altstadt – wie wir sie kennen – ab Mitte der Fünfzigerjahre als „längste Theke der Welt“ entstand, fanden vor allem Jazzer aller Couleur in den Kneipen jede Menge Auftrittsmöglichkeiten; man denke nur an Flötchen Geldmacher und Günter Grass oder später Klaus Doldinger mit den Feetwarmers. Und natürlich wirkte auch die Beatmusik sofort auf die Jungs, die erkannten, dass man mit Stromgitarren die Mädchen rumkriegen konnten. Dutzende Beatbands schossen ab etwa 1962 aus dem Boden, die Jungengymnasien dienten als Biotope für die Gruppen, die sich aus den Schülern der jeweiligen Penne rekrutierten.

Dezember 2016: Michael Rother spielt "Flammende Herzen"

Dezember 2016: Michael Rother spielt „Flammende Herzen“

Von Proberäumen wie man sie heute versteht, war zunächst nicht die Rede; geprobt wurde in irgendwelchen Schulräumen oder in den Partykellern der Eigenheime am Rande der Stadt. Zwei Hände voll Bands bestimmten das Beatleben der Stadt; sie wurden für Schulfeste engagiert oder traten in den gerade entstehenden Jugendzentren auf. Okay, es gab Truppen, bei denen die Gitarristen drei Akkorde beherrschten, die Bassspieler nur eine Saite nutzten und die Drummer den 4/4-Takt laut mitzählen mussten, während ein Sängerdarsteller die händisch beim Hören mitgeschriebenen Texte der Hits plärrte. Und dann waren da die wirklich begabten Musikanten. Ein knappes Dutzend dieser Künstler wurden zu den Begründer dessen, was man heute „Düsseldorfer Schule“ nennt.

Da waren sie noch keine Roboter…

Übrigens: Diese Herren hatten mit der Kunstakademie und Joseph Beuys wenig bis nichts am Hut. Nennen wir Namen: Bodo Staiger, Houschäng Nejadepur, Klaus Dinger, Christoph Kukulies, Wolfgang Flür, Wolfgang Riechmann, Eberhard Kranemann, Michael Rother, Hans Lampe, Karl Bartos. Sie spielten in damals heftig angesagten Bands wie Harakiri Whoom! (mit dem Frontmann Marius Müller-Westernhagen), den Beathovens und den Spirits of Sound. Viele der Akteure dieser Gruppen und der vielen anderen Bands, deren Ruf nie wirklich über die Stadtgrenzen drang, waren und blieben Amateure, hielten der Beatmusik die Stange und – wenn sie nicht gestorben sind – spielen ihre Cover-Versionen auch heute noch. Nur wenige wurden zu Berufsmusikern. Während aber die Herren Hütter und Schneider dank ihrer wohlhabenden Elternhäuser vom Existenzdruck befreit musikalisch experimentieren konnten, mussten sich Männer wie Dinger oder Riechmann ihren Lebensunterhalt mit ehrlicher Arbeit verdienen.

Wolfgang Riechmann 1977 (Foto: Heinz Riechmann via buero-b.com)

Wolfgang Riechmann 1977 (Foto: Heinz Riechmann via buero-b.com)

Den Genannten, das zeigte sich beim Übergang zu den Siebzigern, reichte es nicht, die Entwicklungen der Beat- zur Rock- und Popmusik, die aus UK und den USA herüberschwappte, mit angemessener Verzögerung aufzunehmen. Sie wollte das Neue, das noch Unerhörte. Galt es noch um 1967 als avantgardistisch, wenn der Leadgitarrist eine Sitar mit auf die Bühne schleppte, ging es nun um neue Klänge, oft inspiriert von den psychedelischen Sounds der amerikanischen Westküste und insbesondere von Pink Floyd. Mit diesem Flow hatten Ralf und Florian nichts zu tun. Dass sie 1973 den ehemaligen Beathovens- und Spirits-Drummer Wolfgang Flür zu Kraftwerk holten, lag nicht daran, dass sie sich mit der damals existierenden Düsseldorfer Szene so gut auskannten. Im Grunde verhielten sich die Kraftwerker ein bisschen wie Bayern München: Stießen sie auf einen begabten Musiker in der Stadt, versuchten sie ihn zu engagieren. Das gilt u.a. auch für Houschäng Nejadepur, Michael Rother, Klaus Dinger, Eberhard Kranemann und Karl Bartos.

Bodo Staiger in "Der Fan"

Bodo Staiger in „Der Fan“

Positiv ausgedrückt: Die Lokalhelden der populären Musik der Stadt trugen mit ihren Aufenthalten bei Kraftwerk zur Entwicklung bei, deren Ergebnisse heute „Düsseldorfer Schule“ genannt werden. Dann gingen sie und gründeten eigene Projekte. Neu! entstand, La Düsseldorf entstand, Michael Rother ging solo, und wer in den Siebzigerjahren erfolgreich war, inspirierte die Akteure der zweiten und der dritten Generation dieser Schule. Die waren allesamt unweigerlich mit dem Punk konfrontiert, der über die vielfältigen Verbindungen Düsseldorfs zum Vereinigten Königreich ab etwa 1977 in die Altstadt hineindiffundierte und im Ratinger Hof seinen Kristallisationspunkt fand. Rudi Esch, ehemaliger Bassmann der Krupps, hat diesen Vorgang in seinem wunderbaren Buch zum Thema namens „Electri_City“ überaus treffend dargestellt. Dass Projekte wie die Deutsch-Amerikanische Freundschaft (DAF) und Musikanten, die später in Truppen wie den Krupps, Propaganda und Der Plan bekannt wurden, in vieler Hinsicht die Geisteshaltung der Punks teilten.

Electri_City - das alles entscheidende Buch zum Thema von Rudi Esch

Electri_City – das alles entscheidende Buch zum Thema von Rudi Esch

Der wesentliche Unterschied lag vermutlich in der mangelhaften kulturellen Bildung derjenigen, die dann die Düsseldorfer Punkbands gründeten; die anderen waren teils Kunststudenten, arbeiteten teils in der sogenannten „Kreativbranche“ und verfügten über ausgeprägt bürgerliche Hintergründe. Ein musikalisches Element, dass die Musik von Kraftwerk, Neu! und La Düsseldorf bestimmte, wurde über den Umweg DAF zu einem Erkennungsmerkmal der Neuen Deutschen Welle: der gleichförmige Stakkato-Beat, den Klaus Dinger und Wolfgang Flür aus unterschiedlichen Gründen erfunden hatten. Nun hockten die Düsseldorfer Bands zum Glück nicht im Zentrum der zum überwiegenden Teil schwer erträglichen NDW-Mucke, profitierten aber vom kurzen Ruhm dieser Kommerzerscheinung. Auch die Art und Weise wie in der NDW Keyboards, speziell Synthis eingesetzt wurden, orientierte sich indirekt an der Düsseldorfer Schule. Hier dürfte Brian Eno die wichtigste Schnittstelle gewesen sein, denn den hatten Kraftwerk, Neu! und La Düsseldorf massiv inspiriert, was man nicht nur in seinen Projekten, sondern bei den Künstler wiederfindet, die er wiederum stark beeinflusst hat.

Im besagten Wikipedia-Artikel wird kurzerhand der geniale Produzent Conny Plank in die Düsseldorfer Schule eingemeindet. Richtig ist, dass er einige der wesentlichen Alben dieser Richtung produziert hat und mit einigen Akteuren eng befreundet war. Weniger richtig ist, dass sein Studio in Wolperath sozusagen eine Dependance der Düsseldorfer Schule darstellte. Denn die Kraftwerke, aber auch Klaus Dinger hatten ja schon in den frühen Siebzigern begonnen, eigene Studios einzurichten, und sowohl bei Klingklang an der Mintropstraße, als auch bei 3Klang an der Corneliusstraße entstanden die trendsetzenden Alben der wichtigsten Bands und Projekte. Bleibt die Frage, wer oder was die Düsseldorfer Schule nun wirklich ist? Ist sie wirklich eine Untergattung des „Krautrock“ (nur weil die Brits und Amis zu blöd waren, deutsche Musik auseinanderzuhalten)? Ist die Verwendung analoger Elektronik wirklich das wesentliche Merkmal? Oder doch eher der spezielle Beat? Kann es sein, dass das einzige Bindungsmittel die oben genannten Musiker sind? Es wird sich nicht klären lassen, denn nicht einmal die (noch lebenden) Protagonisten sind in dieser Hinsicht einer Meinung. Wie es überhaupt unter den Insassen der sogenannten „Düsseldorfer Schule“ wenige Freundschaften, dafür aber allerlei Animositäten und Abneigungen gab.

Ein Kommentar

  1. Danke Rainer Du kennst Dich aus. Und das Du meinen Freund Houschäng gleich mehrfach erwähnt hast ehrt dich besonders. Er war wahrhaftig eine kurze Zeit Deutschlands bester Gitarrist.