Es gibt ja diese anrührenden Momente, wenn einem etwas begegnet, was so ist, wie es früher immer war. Zum Beispiel dieser Quittungszettel eines Schusters in Eller. Eine Erinnerung an die Kindheit, an die Fünfziger- und Sechzigerjahre, als man ja seine Schuhe noch regelmäßig bei besohlen oder reparieren ließ. Damals ging man zum Schuster und nicht zu einem Serviceladen, wo es man sich auch Schlüssel nachmachen und allerlei Kram kaufen konnte. Und das war schon ein Fortschritt. Mein ausgesprochen geiziger Onkel hielt sich eine kleine Schusterwerkstatt in der Besenkammer. Die bestand aus einem Dreifuß aus Gußeisen, einer Auswahl an Gummiabsätzen und Sohlen, einer ebenfalls metallenen Schneideunterlage und einem sehr scharfen Messer sowie einem speziellen Hammer, einer Nietzange, verschiedenen Nägeln und Nieten. Dazu eine Dose mit Klebstoff, dessen Duft einen high werden ließ. Onkel Walter reparierte die Schuhe also selbst.

Ansonsten machte man neues Schuhwerk einfach zum Weiten oder um die Hacke weichklopfen zu lassen. Wer auf sich hielt, ließ billige Gummi- durch Ledersohlen ersetzen. Metallplättchen wurden zum Schonen der Sohle an die Spitze genagelt. Und, ja, man konnte braune Schuhe schwarz färben lassen, wenn sie angestoßen waren. Natürlich hatte kein normaler Mensch mehr als zwei oder drei Paar Schuhe. Die wurden so lange getragen wie es ging. Das älteste Paar „trug man auf“ – so hieß das, wenn man die Botten (Wer kennt dieses Wort für Schuhe?) bei Gelegenheiten anhatte, wo es nicht so draufan kam. Dann besaß man ein Paar „für gut“ und eines für jeden Tag. Kinder vererbten ihre Schuhe, so sie denn noch zu gebrauchen waren, an jüngere Geschwister. Wohlgemerkt: Wir reden nicht von der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, sondern den Jahren zwischen 1945 und etwa 1970.

Natürlich gab es deshalb auch sehr viel mehr Schumachereien in der Stadt; in Friedrichstadt waren es nach meiner Erinnerung allein sechs oder sieben. Der Laden war die Werkstatt, der Schuster arbeitete hinter einem Tresen, alles war irgendwie braun und es roch sehr nach Leder, nach Schuhpolitur und eben nach dem Schusterleim. So ein Schumacher hatte eine dunkelblaue, lange Schürze an und nicht selten eine Schiebermütze. Den Bleistift hinterm Ohr brauchte er, um Maße anzuzeichnen, aber auch, um die Abhol- und Quittungszettel abzuholen. Meist gab es zwei Regale im Laden. In dem einen standen die Schuhe, an denen noch zu arbeiten war, im anderen die fertigen Paare. Dann nahm der Meister – fast immer bewirtschaftete so ein Schuster den Laden alleine – das Paar und führte dem Kunden vor, was er daran repariert hatte. War man zufrieden, steckte er die Schuhe in eine Papiertüte, man zahlte und ging.

Wenn ich mir das Foto anschaue, kommt mir der Gedanke, es könne sich um eine laufende Nummer handeln, die da aufgedruckt ist. Dann wäre dieses Paar, das am 13. August 2015 abgeholt wurde, das 40.917te, das in dieser Schumacherei je bearbeitet wurde. Angenommen, dort werden im Schnitt zwei Paare pro Tag versorgt, dann müsste die Nummer 00001 ungefähr vor 56 Jahren dort repariert worden sein, also im Jahr 1959. Könnte hinkommen…

Ergänzung: Habe gerade erfahren, dass es sich um den Schlüsseldienst Kuyper auf der Gumbertstraße in Eller handelt, also einen eher neumodischen Serviceladen mit Schuster-Nostalgie-Elementen.

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