Die Corneliusstraße in Friedrichstadt ist das vielleicht deprimierendste Zeugnis der autowahnwitzigen Stadtplanung des nazi-erprobten Friedrich Tamms. Der hatte aus seiner Arbeit mit Hitlers Lieblingsarchitekten Albert Speer die Ideen von Germania mitgebracht, der Stadt, die nach dem Endsieg aus Berlin entstehen sollte. Die war nämlich vor allem durch lange gerade Achsen gekennzeichnet, die auch auf den angestrebten massiven Autoverkehr ausgerichtet waren. Dass weite Teile Düsseldorfs nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Trümmern lagen, kamen den kranken Fantasien des Professor Tamms gerade recht. Denn so konnte er nach Lust und Laune Schneisen durch alte Viertel schlagen. Am Ende sollte eine möglichst kreuzungsfreie Autoachse Von Nord nach Süd mit Anbindung an die Autobahnen entstehen. Und Tamms konnte sich durchsetzen.

Auf der Corneliusstraße habe ich meine ersten elf Lebensjahre verbracht. Alte Fotos, aber auch persönliche Erinnerungen rekonstruieren die Geschichte der Straße. Vor dem Krieg war die Corneliusstraße weniger als halb so breit wie heute. Hauptstraße des Stadtteils und gleichzeitig Namensvetter des Quartiers war zuvor die Friedrichstraße, die aus Bilk kommend auf den großen Verkehrsknotenpunkt Graf-Adolf-Platz zu lief. Dort hatten ja die ersten beiden Bahnhöfe der Stadt gestanden. Die Corneliusstraße war dagegen eher unscheinbar, vergleichbar vielleicht mit der Schlossstraße in Pempelfort. Ganz kleinteilig zeigte sich vor dem Krieg das Viertel zwischen der Kö und der Oststraße. Tamms‘ Idee war nun, eine Schneise vom Kreisel am Nordfriedhof bis zum Autobahnanschluss in Wersten zu schlagen. So wurden aus der Witzel-, der Mecum-, der Erasmus- und eben aus der Corneliusstraße innerstädtische Schnellstraßen.

Vollendet wurde der Plan Anfang der Sechzigerjahre – der Tausendfüßler an der Tuchtinsel war quasi das Denkmal zum Autowahn. Während der Corneliusstraße nur verbreitert wurde, entstand die Berliner Allee komplett neu. Die Kaiserstraße wurde auf Kosten des Hofgartens verbreitet, und die Fischerstraße verlängert und begradigt – sie nahm so einen Teil der Funktion der Kaiserswerther Straße ein. Eine Schnellstraße durch das Kleingartengebiet „In der Lohe“ (Heute: Kennedydamm) schlug dann den Bogen zum Nordfriedhof als nördlichem Knotenpunkt.

Google-Map: Corneliusstraße

Google-Map: Corneliusstraße

Die Pläne entstanden zu Beginn der Fünfzigerjahre. Weil die Umsetzung aber gigantische Bauarbeiten verlangte, blieben die Trümmer auf der Westseite der Corneliusstraße zunächst stehen. Für die Pänz der Corneliusstraße blieben diese Trümmer jahrelang der Abenteuerspielplatz. Auf dem Stück zwischen Bahndamm und Oberbilker Allee gab es keine intakten Wohnungen mehr, in drei Häusern, deren Erdgeschosse heil geblieben waren, gab es Läden – nach meiner Erinnerung einen Lebensmittelladen und einen Frisör.

Ab 1957 ging dann alles sehr schnell. Innerhalb von nur drei Jahren wurden die Trümmer beseitigt und sämtliche Neubauten zwischen Zimmer- und Herzogstraße errichtet. Gleichzeitig wurde die Fahrbahn auf sechs Spuren verbreitert und ein separater Gleiskörper für die Rheinbahn eingerichtet. Damit war das Schicksal der Straße besiegelt. Auf der Ostseite gab es noch ein paar Traditionsläden (Seifen Hauter, Metzgerei Fenger), aber die schlossen bald. Der Autoverkehr war zu Beginn noch dünn, und es war kein Problem, einen Parkplatz zu finden. Als aber die Verbindung zum heutigen Werstener Kreuz fertig war (1962 oder 1963), wuchs die Frequenz der Pkw im selben Maße, in dem die Motorisierung der Bevölkerung fortschritt.

Erinnerungen

Corneliusstraße ca. 1960

Corneliusstraße ca. 1960

In der hier veröffentlichten Geschichte „Mit nem Ei im Mund“ habe ich eine Reihe Erinnerungen an die Corneliusstraße der späten Fünfziger- und Sechzigerjahre verarbeitet. Inzwischen sind mir weitere Details eingefallen. An der Ecke zur Oberbilker Allee (Richtung Innenstadt links) residiert heute ein Café-Bar der Firma Espresso Perfetto. Witzigerweise war der erste Ladenmieter die längst vergessene Kaffee-Kette „Überseekaffee“, wo unsere Mutter den Kaffee einkaufte. Auf dem Weg in die Volksschule an der Kirchfeldstraße wechselten wir hier die Straßenseite. Und kamen am Schreibwarenladen vorbei, dessen Namen ich leider vergessen habe. Dort versorgten wir uns nicht nur mit allem, was man so für die Schule brauchte, sondern auch allerlei Spielkram. Zum Beispiel fanden wir hier die mit Abstand größte Auswahl an Murmeln, die Düsseldorf „Dötze“ nennt. Gedötzt wurde nachmittags extensiv unter den Bäumen am Fürstenplatz.

Als Mitte der Siebzigerjahre die Stadtsparkasse an der Ecke zur Kirchfeldstraße einen schneeweißen Hochbau errichtete, dachte viele, die Corneliusstraße könnte doch noch schick werden. Heute ist das Haus schmuddelig, und in den ehemaligen Räumen der Bank haust jetzt ein Tätowierstudio. Als ich zwischen 1988 und 1994 mein Büro am Fürstenplatz hatte, konnte ich den Niedergang der Straße aus der Nähe beobachten. Erste Vorboten waren die Spielhallen, von denen es teilweise fast zwanzig auf der Corneliusstraße gab. Dann verschwanden alle „normalen“ Supermärkte, und die Billig-Discounter kamen. Mit der Eröffnung von „Fine Line“ begann dann die Epoche der Tattoo-Läden, die langsam zu Ende geht. Gastronomie gab es auf der Corneliusstraße nur in Form einer klassischen Kneipe um die Ecke des Fürstenwall und in Gestalt von obskuren Bars mit häufig wechselnden Pächtern. Dann zogen die Wettbüros her, aber auch die werden immer weniger. Eine Konstante auf dem geschäftigen Teil der Straße zwischen Oberbilker Allee und Fürstenwall ist die Rheingold-Apotheke und gleich nebenan der Schlüssel- und Schuhdienst.

Kreatives Herz

Ein paar Jahrzehnte lang war der nördliche Teil der Corneliusstraße das kreative Herz der Werbestadt Düsseldorf. Im Häuserblock zur Hütten- und Herzogstraße hatten sich mehrere Werbeagenturen und Dienstleister der Branche angesiedelt. Zuletzt war es die Agentur Grey, die nicht nur in diesem Dreieck, sondern in der Nähe und auch gegenüber Büroräume betrieb. Auch der legendäre Werbefotograf Charles Wilp hatte ein Atelier in den Höfen, die von der Hüttenstraße aus zu erreichen waren. Dort entstanden die Fotos einiger legendären Kampagnen. Auch der geniale Werber Michael Schirner hauste hier – für wechselnde Agenturen wirkend – hier.

Und heute? Grey ist nach Derendorf umgezogen, und im ehemaligen Hauptquartier haben sich jede Menge Kleinunternehmen und Freiberufler angesiedelt, die aber die Ausstrahlung von Grey nicht erreichen. Unter dem Wegzug der Agentur litten und leiden vor allem die Restaurants und Imbissläden in der Nähe, von denen einige schließen mussten. Leben kam in die Bude dadurch, dass vor knapp zwölf Jahren das A&O Hostel eröffnete. Auch die Ansiedlung der Düsseldorfer Yamaha-Motorrad-Filiale dort verbesserte die Situation.

Sorgenkinder bleiben die Abschnitte zwischen dem Bahndamm und der Oberbilker Allee und im weiteren Verlauf bis zur Herzogstraße. Niemand mag auf knapp anderthalb Metern Gehweg neben rauschendem Autoverkehr flanieren. Es ist laut und es stinkt, und die Messstation gegenüber vom Netto zeigt immer noch extrem schlechte Werte an – die Corneliusstraße bleibt die Giftmeile von Düsseldorf. Als der Gleiskörper vor wenigen Jahren renoviert wurde, hatten Anwohner – zu der Zeit wohnte ich im Hinterhof der Hausnummer 72 – die milde Hoffnung auf einen begrünten Streifen, Stattdessen aber wurde der so angelegt, dass nun Noteinsatzfahrzeuge ungestört von rücksichtslosen Autofahrern dort entlang rasen können. Auch von den vor einiger Zeit diskutierten Rückbauplänen ist nichts mehr zu hören.

Angeblich gab es Überlegungen, je eine Fahrspur in beiden Richtungen wegzunehmen, den Bürgersteig zu verbreiten bzw. Parkbuchten einzurichten. Allein das Gerücht ließ das Interesse an Ladenmieter, an die Corneliusstraße zu kommen bzw. zu bleiben, rasch wachsen. Ob diese Pläne vom Tisch sind oder nur ein Schubladen verstauben, ist mir nicht bekannt.

7 Kommentare

  1. apropos 72, dort ist/war doch firma 3dDesign vom jürgen mühle – gibts die noch?
    ich hoff ihm selbst geht’s gut, war mir immer sehr sympatisch

  2. Zum Thema Giftmeile eine Frage an die Ortskundigen: Wenn ich die Corneliusstraße/Erasmusstrtaße stadtauswärts fahre Richtung Autobahn, stinkt es zwischen Färberstraße und Fruchtstraße oft ganz erbärmlich. Ist da eine Kläranlage in der Gegend oder sowas?

    • Rainer Bartel am

      Der Duft, den wir Eingeborenen nicht ungern in der Nase haben, stammt von der Papierfabrik Julius Schulte & Söhne (http://www.jssd.de/), die seit 1886 an der Fruchtstraße Papier, Pappen und Karton produziert. Früher gab es in der näheren Umgebung zwei weitere Papierfabriken – eine davon an der Karolinger Straße auf dem Gelände von Auto Becker, wo demnächst ein Wohnviertel entsteht.

      • Ah, interessant, darauf wäre ich nicht gekommen. Dabei habe ich in meinen Semesterferien paar mal bei Zewa in MA-Waldhof malocht, von daher dachte ich, ich wäre mit dem Geruch von Papierfabrik vertraut. Aber okay, Bei Smurfit Kappa in Heerdt, die ja auch Pappe fabrizieren, riecht’s wiederum ganz anders.

        • Rainer Bartel am

          Wenn ich’s richtig verstanden habe, entsteht der typisch faulige Geruch nur bei der Verarbeitung von Altpapier.

    • Im Hafen riecht es je nach Wetterlage schon mal etwas gewöhnungsbedürftig ( das Werk mit der blauen Leuchtreklame ?) Den unangenehmsten Geruch hab ich bis jetzt in Ludwigshafen angetroffen , da war (als ich einmal da war ) die ganze Innenstadt penetrant eingenebelt .Und auf meine Frage hin hiess es , das käme von einer Schokoladenfabrik….