Als ich meine Kindheit und Jugendzeit in den Sechzigerjahren in Pempelfort verbrachte, war der Carl-Mosterts-Platz Mittelpunkt aller Wege. Wir nannten ihn immer Mostert-Platz und dachten lange, dieser Carl sei der Erfinder des Düsseldorfer Mostert. Und weil wir nicht katholisch waren, wusste ich bis vor Kurzem nicht, dass die Kirche „Heilig Geist“ heißt. Unser Revier endete im Osten natürlich am Güterbahnhof und im Westen an der Prinz-Georg-Straße. Weiter als bis zum Vinzenz-Krankenhaus bewegten wir uns in Richtung Norden selten, und der Rochusmarkt war bereits Feindesland. Schon in den Fünfzigerjahren kannten wir uns da ganz gut aus, weil Tante Thea und Onkel Walter auf der Jordanstraße wohnten, gleich gegenüber vom Krankenhaus, das seinerzeit noch von Nonnen in Ordenstracht mit schwingenden Hauben beherrscht wurde.

Reisen mit der Linie 4

Die Straßenbahnlinie 4 war unser Friedrichstadt-Pempelfort-Express, denn wir durften schon als Kinder knapp über sechs Jahre allein zu Tante und Onkel reisen – die Haltestellen bis dorthin konnte ich immer auswendig: Fürstenplatz, Helmholtzstraße, Mintropplatz, Hauptbahnhof, Worringer Platz, Pempelfort Straße, Adlerstraße, Rochusmarkt, Stockkampfstraße, Lenné-Straße, St.-Vinzenz-Krankenhaus. Nachdem ich die ersten drei Jahre auf die Volksschule an der Kirchfeldstraße gegangen war, zogen wir auf die Lenné-Straße, und ich wurde auf der Volksschule dort eingeschult. Später kam ich aufs Leibniz-Gymnasium an der Scharnhorst- bzw. der Jülicher Straße. Der Schulweg verlief über die Schlossstraße, am Mostert-Platz bog ich in die Annastraße ein, immer entlang der düsteren Mauern des Annaklosters, vorbei an den Fenstern des Kinderheimes, aus denen es immer furchtbar nach Kantinenessen roch, dann um den Spielplatz an der Eulerstraße herum und über die Kreuzung.

Google Map 3D: Das ganze Viertel

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Mit großer Freude fand ich in diesen Tagen heraus, dass es in der Schloss-Apotheke immer noch den netten Herrn Rasche gibt, den wir auch dann besuchen gingen, wenn wir keine Medizin brauchten, sondern nur einen Hustenbonbon aus dem Glas auf der Theke. Ein paar Schritte weiter gab es das legendäre Schreibwarengeschäft von Frau Hilgers(?), in der wir alles bekamen, was man für die Schule brauchte, außerdem führte sie diverse Comic-Heftchen und all die merkwürdigen Spielzeuge, die man heute „Gadgets“ nennen würde. Gegenüber gab es das Schloss-Café, eine Konditorei alten Stils, wo wir den Sonntagskuchen besorgten, und direkt daneben das Fischgeschäft, dessen Namen ich vergesse habe. Eines Tages, es wird so um 1963 gewesen ein, eröffnete in dem winzigen Lädchen neben dem Fischgeschäft ein Imbiss – könnte sein, dass dies die erste Pommesbude außerhalb der Altstadt war, und so holten wir uns dort nach der Schule bald regelmäßig eine Tüte Pommes – und dann hatten dann zuhause keinen großen Hunger mehr aufs Mittagessen.

Die erste Currywurst

Unsere Mutter kochte nicht besonders gerne und auch nicht besonders gut. Als dann direkt gegenüber von der Ecke zur Lenné-Straße ein neuer, größerer Imbiss eröffnete, bot dieser auch Curry-Wurst an, etwas, das wir nicht kannten, aber bald lieben lernten. Mutti schickte uns nun relativ regelmäßig, um dort für alle Curry-Wurst mit Pommes zu holen. An den beiden Ecken zur Lenné-Straße gab es jeweils eine Eckkneipe. Die eine war klein und dunkel, dorthin gingen die armen Rentner schon morgens, und abends saßen sie noch oder wieder am Tresen oder fütterten die Spielautomaten. Die Wirtschaft auf der anderen Seite war sehr viel größer und hatte mehr von einem Restaurant. Aber irgendwie scheint der Laden kein Glück zu bringen, denn seit den frühen Achtzigerjahren wechseln sich die Pächter mit unschöner Regelmäßigkeit ab. Leider gibt es „unser“ Büdchen nicht mehr, das sich im Nachbarhaus befand. Hier kannte man uns, und der ausgesprochen wortkarge Inhaber hatte kein Problem, uns Zigaretten zu verkaufen, auch als wir noch nicht sechzehn waren.

Natürlich besorgten wir uns dort auch Süßigkeiten, zum Beispiel den gerade erst nach Deutschland gekommenen Mars-Riegel, aber auch Nappo und Nippon. War reichlich Taschengeld da, leistete man sich bisweilen auch eine mittlere Cola, die brüderlich geteilt wurde, denn wer schaffte schon eine ganze Flasche der Brause allein. Weiter Richtung Vinzenz-Krankenhaus wurde es dann gefährlich. Rechterhand liegt bis heute das Gelände der Mercedes-Vertretung, und schon damals rasten die Leute mit ihren fetten Schlitten wie blöde und ohne zu Gucken aus der Einfahrt. Außerdem hatten uns die Pförtner auf dem Kieker und fanden immer irgendwas, um hinter uns her zu schimpfen. Gegenüber gab es eine Mauer, mit der die schmalen Grundstücke zwischen der Anna- und der Schlossstraße endeten. Kurz vor der Ecke zur Jordanstraße gab es das Tiergeschäft meiner Träume, in dem ich meinen ersten Hamster und meine erste Schildkröte kaufen. Erst in den Siebzigerjahren eröffnete auf der anderen Straße das Ristorante Sansone, das später zu einem der berühmtesten Italiener der Stadt werden sollte.

Der Carl-Mosterts-Platz

Wie gesagt: Der Carl-Mosterts-Platz war die Zentrale unseres Kiezes. 1965 und 1966 musste ich dienstags immer zum Katechumenen- bzw. Konfirmanden-Unterricht in der Reformationskirche bei Pastor Weber. Dorthin ging es durch die Ludwig-Wolker-Straße und dann links in die Prinz-Georg-Straße. Die Annastraße wurde viel später noch einmal Teil meines täglichen Weges. Mein Sohn war nämlich im KID Annastraße, einem elterinitiativen Kindergarten untergebracht, der Räume am Kinderhilfezentrum nutzte. Der ehemalige Klostergarten zwischen Anna- und Moltkestraße war inzwischen zu einem riesigen Kinderspielplatz geworden, der im Sommer beinahe ein zweites Zuhause wurde. Auf dem Rückweg holten wir uns dann oft ein Eis beim Tiziano. Der hatte einen Schalter für den Eisverkauf um die Ecke auf der Annastraße. Als Kinder war uns das „Tiz“ nie so richtig geheuer, weil es hieß, dort würden nur Verbrecher und Zuhälter verkehren.

Ebenfalls vom Platz aus zweigte die Augustastraße ab, die den Südrand unseres Häuserblocks bildete. Direkt an der Ecke zur Schlossstraße befand sich der Eingang zur Brotfabrik Müllejans, deren Produktionshalle bis weit in den Innenhof ragte. Mutti schickte uns regelmäßig hin, um preisreduziertes Brot vom Vortag zu kaufen; an den malzigen Geruch in der Toreinfahrt, wo der Verkaufsschalter war, erinnere ich mich bis heute. Im griechischen Restaurant Santorini um die Ecke, in dem wir später so lange Stammgäste waren, wie es existierte, sitzt heute eine Yoga-Schule. Die Moltkestraße in Richtung Zoobrücke war zu der Zeit ziemlich öde und uninteressant – dazu in einer weiteren „Ortsangabe“ demnächst mehr. Aber, am Carl-Mosterts-Platz beginnt eben auch die Derendorfer Straße, die sich am Rochusmarkt vorbeizieht und dann in einer merkwürdigen Kurve in die Düsselthaler Straße mündet.

Die Rocker vom Rochusmarkt

In den Sechzigerjahren sprach man von „Rockern“, wenn man von Jungendbanden sprach, die ihr jeweiliges Viertel terrorisierten. Auf dem Spielplatz am Rochusmarkt residierte eine solche Truppe, die sich FCR nannte, also F***-Club Rochus. Es handelte sich um eine Gruppe wilder Kerle, Lehrlinge oder Gesellen, jedenfalls keine Oberschüler, die von einem großen dunkelhäutigen Typ namens Arthur angeführt wurde – wenn er denn da war. Es hieß, er sei Binnenschiffer… Natürlich umgingen wir im Dunklen den ganzen Platz weiträumig, denn es konnte wirklich passieren, dass man grundlos ein paar aufs Maul bekam. Dabei mussten wir auf dem Weg in die Altstadt dort vorbei, es sei denn, man nahm den Umweg über die Sternstraße und den Hofgarten in Kauf. Dass die Derendorfer Straße auch eine Einkaufsstraße war, nahm ich tatsächlich erst in den späten Neunzigerjahren wahr, als ich auf der Bagelstraße wohnte.

Heute fällt diese Straße vor allem dadurch auf, dass sie sich gegen die galoppierende Gentrifizierung, die fast ganz Pempelfort ergreift, erfolgreich gewehrt hat. Hier ist alles ein bisschen angeranzt, aber vor allem ohne Attitüde und sehr bodenständig. Immer wieder versuchen sich, neumodische Läden zu etablieren, aber das gelingt eigentlich nur in unmittelbarer Nähe zur Moltkestraße, dem ehemals hässlichen Entlein, aus dem ein waschechter Hipster-Schwan geworden ist.

Ein Kommentar

  1. Till Welzer am

    Schön zu lesen, wie Opa vom Krieg erzählt. Ich finde die Aufwertung, die Pempelfort erfahren hat, sehr gut.
    Endlich ist es nicht mehr so schmutzig und das Viertel hat einen lebenswerten internationalen Geist geatmet!