Kürzlich las ich in einem Forum für Neu-Düsseldorfer folgende Frage: Was ist denn das Gurkenland und wo ist es? Wer den Begriff in die Suche von Google-Maps eingibt, bekommt keinen schön eingerahmten Stadtteil, sondern nur den Hinweis auf die Werbung einer Tagesmutter. Eine nicht wirklich repräsentative Straßenbefragung ergab sogar, dass nur knapp ein Drittel der Menschen, die angaben Düsseldorfer zu sein, wussten, wo dieses ominöse Gurkenland liegt. Klären wir auf: Es handelt sich um ein ab 1959 erschlossenes, zuvor landwirtschaftlich genutztes Gebiet in einem Gleisdreieck zwischen Eller und Oberbilk.
Genauer gesagt: Das Gurkenland wird im Norden von der Karl-Geusen-Straße begrenzt, im Süden (ungefähr) von der Harffstraße, im Osten durch die Bahngleise Richtung Eller – Benrath – Köln und im Westen durch das ehemalige Rangiergelände mit dem Lokschuppen am Ende. Im Norden gibt es nur einen Zugang: Aus Im Liefeld wird hinter der Unterführung beim Platz des SV Oberbilk der Seeheimer Weg. Aus östlicher Richtung führt der Dillenburger Weg ins Gurkenland, im Süden gibt es gleich drei Zugänge. Von der Siegburger Straße aus kommt man aber überhaupt nicht auf diesen fast unbekannten Kontinent mitten in Düsseldorf.Ein Viertel mit Charakter
Nun ist das Gurkenland weder hip, noch cool, noch wirklich hübsch. Aber wie so oft bei solchen Mauerblümchen: Es hat Charakter, und die Menschen, die im Gurkenland aufgewachsen sind und/oder da leben, sind stolz auf ihr Viertel … das über Jahre weder einen Supermarkt, eine Kneipe, ein Büdchen oder einen Imbiss hatte. Die Lebensader besteht aus der Buslinie 732, die von der Vennhauser Allee kommt, vier Haltestellen im Gurkenland hat und über den Oberbilker Markt bis zur Langenberger Straße im Lierenfelder Niemandsland führt.
So kommt man raus und rein mit dem ÖPNV ins Gurkenland, das dann seine drei völlig verschiedenen Gesichter zeigt. Links und rechts der Hauptverkehrsachse liegen, säuberlich voneinander getrennt, klotzförmige Sozialwohnungsbauten und niedliche Einfamilienhäuser – nicht wenige davon mit Swimmingpool im Karten (wie Google Maps zeigt). Im Süden dann ein wüstes Gewerbe- und Industriegebiet zwischen Waagen-, Sturmstraße und Dillenburger Weg. Das ergibt ungewöhnliche Bilder, hat aber auch Nachteile für die Gurkenländer. Um beispielsweise auf den Werkshof der Gießerei Dillenberg zu kommen, müssen sich Lkw durch schmale Straßen quälen, durch die kaum ein Bus passt. Und ein riesiges Logistikzentrum am Dillenburger Weg bringt den einen oder anderen Stau mit sich.
Das passt überhaupt nicht zu der Idylle, die sich vor allem östlich des Offenbacher Wegs bietet – stille Sträßchen ohne Bürgersteig, kuschelige Vorgärten, hinter denen sich typische Sechzigerjahreeigenheime ducken. Es ist still, man hört die Vögel zwitschern und die Insekten brummen. Aber laut und hektisch ist es so weit ab vom Industriegebiet nirgends im Gurkenland; kann gut sein, dass hier die gelassensten Düsseldorfer überhaupt wohnen. Und das im friedlichen Beieinander der Kulturen. Die katholische Kirche St. Pius X tut sich nichts mit der evangelischen Jakobuskirche, und einen islamischen Kindergarten hält das Gurkenland locker aus. Denn so multikulturell ist es schließlich auch entstanden. Ab der Mitte der Fünfzigerjahre wuchs Düsseldorf rasant – viel schneller als heutzutage -, und der Wohnraum wurde knapp. Tausende Familien, die am Ende des zweiten Weltkriegs geflohen waren, hatten ihren Weg hierher gefunden, sich angesiedelt und Kinder in die Welt gesetzt.
In fünf Jahren fertig
Es musste als Wohnraum, Wohnraum, Wohnraum geschaffen werden. Nicht „Nachverdichtung“ hieß das Motto, sondern „Umwidmung“. Weil es ja keine brachliegenden Industriegebiete gab (ganz im Gegenteil – Düsseldorf war damals eine waschechte Industriestadt!), ging es der Landwirtschaft an den Kragen. Da fand man stadtnah ein Gelände zwischen Bahnlinien, in dem ein gutes Dutzend Gartenbaubetriebe mit dem Anbau von Gemüse, natürlich auch Gurken, ihr Geld verdiente – quasi ein Kappes-Hamm zwischen Eller und Oberbilk. Der Rat der Stadt beschloss: Da werden Wohnungen und Einfamilienhäuser gebaut! Ab 1959 ging’s los, und kaum vier Jahre später sah es schon beinahe so aus wie heute. Besonders die öffentlich geförderten Wohnungen in den Blöcken im Osten des Gurkenlands waren begehrt. Es gab viele Wohnungen für kinderreiche Familien zu extrem geringen Mieten. Hunderte Arbeiterfamilien konnten so aus den nach dem Krieg nur notdürftig wiederaufgebauten Mietshäusern in Oberbilk und Flingern aus- und in moderne Wohnungen einziehen. Schnell entwickeltes sich ein intensives Sozialleben, das die Gurkenländer zusammenschweißte.
Man war fortschrittlich und wählte mit überwiegender Mehrheit sozialdemokratisch. Am Offenbacher Weg entstand 1965 die erste Wohnstätte für Menschen mit geistiger Behinderung der Lebenshilfe in Deutschland, deren Bewohner von Beginn an vollkommen integriert dort lebten – legendär die aus Bewohnern der Wohnstätte gebildeten „Gurkenland Boys„, die nicht nur im Karneval vielen Düsseldorf mit ihrer Musik Freude machten. Die meisten Straßen sind nach Orten in Rheinland-Pfalz und Hessen benannt – weshalb, das kann heute niemand mehr beantworten. Aber es haben sich auch die Namen alter Pfade durchs Gelände erhalten: Am Schabernack heißt ein Weg von Ost nach West, dessen Name aber nichts mit Jux und Dollerei zu tun hat, sondern sich (vermutlich) von der Formulierung „schaper nacken“ herleitet, was so viel bedeutet wie „scharfe Ecke“.
Der Netto ist das Zentrum
Der Netto-Supermarkt samt Bäckerei Schneider am Wormser Weg ist heute eindeutig das Zentrum des Gurkenlandes und tatsächlich tagsüber die einzige Ecke, an der man viele Menschen auf einmal sieht. Der andere Sammelpunkt ist die Gaststätte Im Nest im Nordosten mit dem winzigen Biergarten vorm Haus. Die Gemeindehäuser beider Kirchen bieten dies und das an, und der SV Oberbilk gilt vielen als Fußballverein des Gurkenlands. Im Internet findet man nicht viel zum Gurkenland: eine Gurkenland-Website wird seit 2015 nicht gepflegt, und auf Facebook gibt es eine Gurkenland-Gruppe, die noch lange nicht jeden aufnimmt. Vielleicht ist es das Geheimnis dieses unbekannten Kontinents, dass man sich gern ein bisschen abgrenzt vom Rest der Stadt.
2 Kommentare
Vielen Dank für die Erläuterung! Ich musste eben echt lachen, als ich zum ersten Mal den Namen Düsseldorf-Gurkenland gelesen hatte. Jetzt weiss ich Bescheid.
Toller Bericht! Herzlichen Dank!