Ganz ehrlich: Die Ratinger Jugend kennt die Reichswaldallee seit alten Zeiten nur als Rennstrecke – mit der 12 (heute U72) ab in die Altstadt. Und die Autofahrer betrachten diese uralte Straße auch nur als Weg von A nach B. Sie beginnt in Oberrath und endet an der Stadtgrenze zwischen Düsseldorf und Ratingen, hat aber eine interessante Vergangenheit.

Auf die lässt schon der Name schließen: Allee im oder zum Reichswald. Zwischen dem Spätmittelalter und 1806 waren Reichswälder quasi exterritoriale Gebiete, die einem Reichsgut zugeordnet waren und nur vom jeweiligen Fürsten und seinen Verwaltern genutzt werden durften. Der Reichswald, zu dem unsere Allee gehört, ist das, was sich heute aus dem Kalkumer Forst, der Überanger Mark und Teilen des Aaper Waldes rekonstruieren lässt; er war der Kaiserpfalz in Kaiserswerth zugeordnet. Man kann also annehmen, dass die uralte Straße, von der die Reichswaldallee nur einen winzigen Teil darstellt, früher die Verbindung zwischen Kaiserswerth, Ratingen und den großen Überlandstraße westlich von Düsseldorf darstellte.

Google Map: Die Reichswaldallee

Google Map: Die Reichswaldallee

Wie gesagt: Nur der Name lässt darauf schließen, und man muss schon viel Phantasie aufbringen den gesamten Verkauf zur rekonstruieren. Das dürfte vor knapp hundert Jahren noch viel einfacher gewesen sein, als es Ratingen-West noch nicht gab, und die heutige A52 nur eine Landstraße war. Dass die Reichswaldallee aber eine Stadtstraße mit durchgehender Bebauung geworden ist, liegt aber auch „erst“ rund 60 Jahre zurück. Denn vor dem zweiten Weltkrieg standen Liliencronstraße und Ten Eicken kaum zehn Wohnhäuser – das älteste dürfte die weiße Villa am Hubertushain von 1907 sein.

Die Straßenbahnlinie 12 von und nach Ratingen wurde aber schon kurz nach dem ersten Weltkrieg eingerichtet und zählte gemeinsam mit der K- (nach Krefeld) und D-Bahn (nach Duisburg) zu den Fernlinien. Man hat die Gleise schön parallel zur alten Straße am Fuß der Hügel des Aaper Waldes angelegt und für die Fahrt ohne Halt zwischen der Gerhardstraße in Ratingen und Oberrath vorgesehen; die Haltestellen Felderhof, Hirschweg und Hubertushain entstanden später. Wegen der Lage von Fahrbahn und Gleisen gibt es auf der Ostseite nur ein einziges, auffälliges Bauwerk – das dreistöckige Wohnhaus mit den zwei spitzen Türmchen. Ansonsten führen von der Reichswaldallee genau zwei Fahrstraßen bergauf: Am Bauenhaus und Dachsbergweg.

Die massivste Veränderung erlebte die Reichswaldallee in den Achtzigerjahren mit dem Bau eines Teilstücks der A44 in deren Zuge ein rund 700 Meter langer Tunnel gegraben wurde, durch den die Autobahn eine Verbindung zwischen dem Ratinger Kreuz und dem Kreuz Düsseldorf-Nord bekommen hat; vorher endete ein Teilstück stumpf an der Reichswaldallee. Heute gibt es einen Park auf dem Deckel, zuvor war diese Gegend eine Art Hippie-Biotop – in drei, vier älteren und heruntergekommenen Häuser hatten sich Wohngemeinschaft angesiedelt, die sich an der idyllischen Umgebung (okay, nur bis zur Bahnlinie) und den günstigen Mieten erfreuten; eines der Häuser wurde nicht abgerissen, aber grundsaniert.

Ansonsten ist die Bebauung der Westseite der Reichswaldallee ein Sammelsurium aus Baustilen: von der 1907-Villa über typische Fünfzigerjahrehäuser bis hin zu Flachdachbauten und Einfamilienbungalows. Man wohnt hier gut, sagen die Leute, nur der wilde Autoverkehr stört ein bisschen. Dafür ist man mit wenigen Schritten im Wald und mit der U72 in kaum zwanzig Minuten in der Innenstadt.

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