[Diese Reportage von Konrad Buck erschien zuerst in unserer Schwesterpublikation The Düsseldorfer.] Am Rheinkilometer 734 verbergen sich neben meinem Paddelverein Freie Wasserfahrer gleich mehrere Spaßprojekte, aber darauf kommen wir später zurück. Denn in diesem Beitrag geht es ums Paddeln, also die älteste Fortbewegungsmethode auf Wasser, begonnen in dem Moment, als vor vielen tausend Jahren ein Mensch gleichwelchen Geschlechts einen Baumstamm wissentlich dazu nutzte, um ans andere Ufer hin oder von der leergejagten Insel wegzukommen. Heute ist der Einbaum zum Kunststoffboot und überhaupt die Wasserüberqueerung zur Schiff- und Seefahrt geworden. Und ich möchte von dem erzählen, was nach wie vor das Faszinosum an der nicht-motorbetriebenen Art der Fortbewegung auf Liquidem ausmacht.

Beginnen wir nicht etwa beim Duft der Bootshalle, der Vorfreude auf den Paddelschlag oder der erhabenen Ansicht tausender Wasserfontänchen bei Regen, sondern beim Knirschen. Es knirscht, wenn die Paddelklamotten angelegt, das Boot auf den Trailer gepackt und zum Ufer gezogen wurde, und der Paddler barfuß oder mit seinen Neoprenschuhen durch den Rheinkies die letzten Meter zum Wasser geht. Das Knirschen ist das eindeutige Signal dafür, dass es gleich losgeht. Jetzt nur noch den Bug schon mal ins Wasser schieben, den Trailer in der Heckklappe verstauen, einsteigen und die Spritzdecke über den Süllrand ziehen, das Paddel ergreifen und mit ein paar elegant-lasziven Hüftstößen und einem letzten knirschig-schabenden Geräusch das Boot aus dem Kies ins Wasser wippen.

Die ersten Paddelschläge

Aaah! Wasser unter dem Kiel. Anfang, Schauder, Erwartung. Die ersten Paddelschläge, ein leichtes seitliches Schaukeln aus dem Oberkörper, um das Gefühl fürs Boot zu kriegen. Ein fingierter Kipper mit Paddelstütze, um sich der Kontrolle über das bei den ersten Malen noch verdammt kippelige Boot zu vergewissern. Und schon sind die ersten Meter in der kleinen Bucht zwischen den Kribben gemacht und du siehst direkt vor dir die Linie, ab der der stille und nur vom Kehrwasser verströmte Rhein zum kräftig fliessenden Strom wird, ab der die Balance stimmen muss, weil Schnellen und Wirbel, Wind und Wellen, aber auch Unachtsamkeit oder Übermut zum Kentern führen können.

Raus aus dem Kies, rein in den Rhein (Foto: Konrad Buck)

Raus aus dem Kies, rein in den Rhein (Foto: Konrad Buck)

A propos Kentern: Paddelboote, auch Kajaks genannt, werden im Gegensatz zu Ruderbooten oder Kanus mit Spritzdecken gefahren, damit im Wildwasser oder bei kabbeliger See kein Wasser reinkommt. Du sitzt wie der Inuk in einem geschlossenen Bootskörper, sodass weder beim gewollten Kopf-oben-Tauchen noch beim meist ungewollten Kopf-unten-Fallen des Bootes Wasser eindringt. Das Kopf-unten-Fallen oder Kentern meistert der geübte Paddler mit der so genannten „Eskimorolle“ (ja, leider struktureller Rassismus), indem er unter Wasser einen lässigen Paddelschlag ausübt, der ihn, flupp, wieder in Normalposition bringt. Dann bist du zwar oben rum nass, bleibst aber nicht unten rum hängen.

Rollen oder Aussteigen, das ist die Frage

Wer das nicht kann, muss raus aus dem Boot. Dafür gibt es an der Spritzdecke eine kleine, aber feine Grifflasche, und die ist nicht von ungefähr direkt vor Brust und Nase. Denn der Griff zur Lasche und damit das schnelle Wegziehen der Spritzdecke ermöglicht das einfache Aussteigen unter Wasser, das Aufsteigen übers Wasser und das nach anfänglich leichter Panik erleichterte Luftschnappen. Anschließend muss zwar das Boot entweder zu zweit im Wasser oder allein am Ufer ausgekippt werden, man muss wieder einsteigen, die Spritzdecke rüberziehen und sich dem nett gemeinten Spott der Mitpaddler aussetzen, aber das gehört wie die Neptuntaufe oder die jugendliche Mutprobe zum Paddeln dazu.

Jeder Verein fragt ab, ob man bereits Paddelerfahrung hat. Und wenn nicht, wird sie im seichten, übersichtlichen Wasser vermittelt. Ich selbst war vor meiner ersten Vereinsfahrt jahrelang ein langes, dreisitziges, offenes Schlauchboot gepaddelt, wusste also, wie ich kippfrei einsteige, mich fortbewege und auch an einen strömungswidrigen Steg sicher anlege. Was mir fehlte, war die Erfahrung, kopfüber unter Wasser im Boot zu hängen und rauskommen zu müssen. Die machte ich im kalten März bei der Brata-Mühle auf der Erft. Zwei Leute standen brusttief im Mühlenteich, sprachen mir beruhigend zu, kippten dann das Boot um, sahen zu, dass ich aus der Luke rauskam – und beglückwünschten mich zum erfolgreichen Reißleine-Ziehen und Wiederauftauchen: „War doch gar nicht so schwer!“

Sorry, aber dieser Ausflug in die Anfangsgründe des Paddelns ist nötig, um dem geneigten Leser gleich zu Beginn möglichst eindrücklich zu beschreiben, was zum Paddeln dazugehört – und wie man es beherrscht. Damit zurück zur Stromlinie, also dem Übergang vom seichteren, verwirbelten Uferbereich des Rheins in das Fahrwasser, welches bei Düsseldorf mit einer Geschwindigkeit von durchschnittlich sieben Knoten fließt. Das klingt nach wenig, zieht aber mächtig am Boot und drückt den Bug schnell in eine nicht beabsichtigte Richtung, wenn man nicht dagegen hält.

Die Sonne unter der Fleher Brücke (Foto: Konrad Buck)

Die Sonne unter der Fleher Brücke (Foto: Konrad Buck)

Wir fahren meist zu zweit oder zu viert, und es ist ungeschriebenes Gesetz, dass jeder auf jeden aufpasst und keiner eigenmächtig losfährt oder irgendwelche lustigen Manöver macht. Wenn einer umkippt, müssen die anderen sehen, dass er schnell genug auftaucht, dass Paddel und Boot nicht wegdriften, und dass der Kollege samt Material schnell das Ufer erreicht. Meist klappt das ohne irgendwelche Probleme, weil zur Standard-Ausrüstung neben Neopren-Klamotten und besagter Spritzdecke immer auch eine Schwimmweste gehört. Von Stromkilometer 734 aus fahren Hans-Willi, Hossein, Johannes, Eric, Uwe, der Buschmann, und ich meist fünf Kilometer „bergauf“, also gegen den Strom. Das kann schon mal anstrengend sein, vor allem dann, wenn Gegenwind herrscht, der allerdings bei den mächtigen Rheinschleifen nicht immer komplett ins Gesicht bläst.

Uwe führt den Konvoi an (Foto: Konrad Buck)

Uwe führt den Konvoi an (Foto: Konrad Buck)

Paddeln gegen den Strom ist aber auch mehrfach schön: Du erkennst die Magie der Langsamkeit, den Reiz der kontinuierlichen, abgestimmten Bewegung und das sichere Gefühl, auch bei wenig Fahrt über Grund letztlich immer anzukommen. Die Bewegung beim Paddeln gleicht einer ausgedehnten Tai-Chi-Übung – die Beine sind leicht gespreizt, die Füße stehen an der Prallplatte oder den Fußrasten und die Knie klemmen leicht am Süllrand. So hast du über Beine, Hüfte und Oberkörper eine perfekte Kontrolle über das Boot; Körper plus Material von Boot und Paddel bilden eine Einheit, und du hast über den koordinierten Bewegungsablauf bei Rumpf und oberen Extremitäten fast eine Art Perpetuum mobile an Schulter-, Arm- und Handmuskeln. So kannst du auch größere Strecken ohne Schmerzen paddelnd zurücklegen. Wir haben mal einen Vater mit seinem Sohn getroffen, der von der Mündung (Ijssel oder Waal) bis kurz vor Schaffhausen gefahren ist; Schweizer. Die scheinen das Prinzip der Langsamkeit durch die Nähe zu Bergen und Gletschern zu kennen und zu lieben.

Nach fünf Kilometern kehren wir dann bei Himmelgeist/Uedesheim meist um und lassen uns mit dem Strom treiben. Schön am rechten Ufer wäre immer der Abstecher in die Mündung des Brücker Baches etwa bei Kilometer 731. Bei Hochwasser käme man weit rein, bei starkem Hochwasser bis zur Fischtreppe. Man sähe Reiher, die sich wütend erheben, weil hier sonst nie jemand vorbeikommt, und manchmal den Eisvogel, dessen kobaltblaues Federkleid unwirklich vorkommt, als ob du nicht paddelst, sondern im Sessel sitzt und in einem Buch blätterst. Und ja, manchmal bei längeren Fahrten und wenn wir einfach nur schweigen, weil alles gesagt ist, kommst du in eine Art Trance, in der Wasser, Ufer und Himmel zu einem magischen Fluidum verschmelzen und dein Zutun weit weg scheint.

Das schönste aber ist Regen auf dem Wasser. Wenn um dich rum nur feine, unterbrochene Streifen von glasigem Weiß sind, die sich auf der Rhein-Oberfläche in kleine schalenförmige Trichterchen mit rundgezacktem Rand und darüber schwebenden, von unten nach oben kleiner werdenden Perlen auflösen. Wer das gesehen und verstanden hat, geht getrost nach Hause. Und kann, zurück an Kilometer 734 auf den Kies geknirscht, sein Boot zurückgefahren ins Bootshaus und umgezogen, zusammen mit den Freunden einen Anleger trinken gehen. Im neuen Fährhaus gleich vor 734, im Hammerblick in Kappeshamm mit der schönen Bedienung, im En de Ehd auf der Volmerswehrter Straße mit dem zauberhaft muffeligen Wirt, oder beim dem bei Kilometer 734 verborgenen Spaßprojekt siebendreivier.de, einer kleinen Volmerswehrter Schnapsbrennerei, die sich auf die Herstellung geistiger Getränke mit klingenden Namen wie „Biberpisse“ oder „734 Altbier-Likör“ spezialisiert hat.

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