Meinung · …zugegeben, ich habe immer ein bisschen mit dir gefremdelt. Das muss daran liegen, dass man mich anno 1967 mit Hilfe einer Freikarte gezwungen hat, in deinen heiligen Hallen den „Fliegende Holländer“ von Franz Josef Richard Wagner zu ertragen. Wer dieses Musical nicht kennt: Es dauert rund drei Stunden, und Senta singt eigentlich ununterbrochen. Nachdem ich die Oper als musikalisches Genre für mich entdeckt hatte, warst du einfach verbrannt, und ich genoss Verdi, Puccini und Konsorten dann doch lieber zuhause als Konserve. [Lesezeit ca. 3 min]

Soll heißen: Ich kenne dich vorwiegend von außen. Und ich kenne deine bewegte Geschichte, in der du nicht immer ein Opernhaus warst. In den Jahren 2006 und 2007 haben die Stadtmütter und -väter 31 Millionen Euro in dich investiert; da regnete es am Dach schon durch, und der Keller war auch feucht. Spätestens seit ein Baugutachten deinen insgesamt beklagenswerten Zustand beschrieb, war klar: So kann es nicht weitergehen. Nun weiß man inzwischen, dass eine gründliche Sanierung samt Umbau sicher an die 200 Millionen Euro kosten würden. Damit ist das Todesurteil über dich gesprochen, wenn auch noch nicht rechtskräftig.

„Post vom Rainer“ ist die Glosse des TD-Chefredakteurs Rainer Bartel, der sich mit dem Titel und vor allem dem Titelbild dieser Kolumne ausdrücklich an den realsatirischen Kurzausfällen des von Rauch und Alkohol faltig gewordenen BILD-Finken Franz Josef Wagner orientiert, dem im Gegensatz zum Rainer schon alles egal ist. Damit das auch mal geklärt ist.

Wie es weitergeht? Das ist kompliziert und hat mit vielen Faktoren zu tun, rund um die diverse Lobbys, Szenen, Gruppen und Branchen tiefgreifende Interessen gewahrt sehen wollen. Allen voran natürlich die Immobilienwirtschaft, die ja immer laut „njam, njam“ ruft, wenn irgendwo ein Filetgrundstück per Abriss zur Profitgenerierung frei wird. Da möchte man dann was anderes bauen. Höher, weiter und vor allem mit mehr teuren Flächen für den Luxushandel und Büros, am liebsten natürlich Luxushotels und neuerdings gern auch Mikroappartements, weil man mit denen den Mietern mit Abstand am meisten Kohle aus den Rippen schneiden kann.

Kein Wunder, dass erste – wie sagt man heute in Architekturkreisen – Visualisierungen auftauchten, die auf dem Geviert an der Heinrich-Heine-Allee ein leuchtendes Hochhaus mit mehreren Dutzend Etagen darstellten, aber versicherten, es handle sich um das neue Opernhaus. Aus deinem ansehnlichen Leib, der so wie er heute aussieht, in den Fünfzigerjahren entstanden ist, wären ein paar Händevoll Räume geworden, in denen man – ja, wenn’s denn sein muss – Oper machen kann. Andere bauende Geldgeier schlugen einen Neubau am Medienhafen vor – noch strahlender, irgendwie eine Elbphilharmonie für Arme. Komischerweise war da auch immer von einer multifunktionalen Nutzung die Rede. Das ist der Euphemismus: Bisschen Kultur, viel, viel Business.

Nun ist die Idee, ein Bauwerk zu errichten, das sich optimal für das Aufführen feiner Opern eignet, aber gleichzeitig Raum für dies und das bietet, nicht so schlecht. Im Idealfall könnten die Einnahmen aus den Luxusläden, -büros und -hotels den Kulturbetrieb quersubventionieren. Sowas geht ja, wie die Küssdenfrosch-Entwickler mit den sündhaft teuren Penthäusern auf dem Bunker an der Aachener Straße gerade eindrucksvoll beweisen. Es würde auch die staatlich nicht oder minimal subventionierte, sogenannte „freie“ Kulturszene der Stadt besänftigen, die aus Erfahrung fürchten, dass der Neubau eines Opernhauses mittelfristig die Etats für ihr kulturelles Wirken schmälern würde.

Der Standort „Hafen“ ist so gut wie vom Tisch, ein Neubau an selber Stelle mehr als unwahrscheinlich, weil der zwangsläufig ein Stück vom heiligen Hofgarten kosten würde. Ausgerechnet FDP-Leute haben nun vorgeschlagen, ein multifunktionales (siehe oben) Opernhaus auf dem Adolph-von-Vagedes-Platz an der Grenze von Pempelfort zur Stadtmitte, unweit vom Schloss Jägerhof, dem Malkasten und dem östlichen Hofgarten zu bauen. Eine blendende Idee, die natürlich den Charakter (und die Höhe der Mieten) im ganzen Viertel dramatisch verändern würde. Platz ist genug da, eine Tiefgarage zum Vergrößern gibt es auch, und die Straßenbahnhaltestelle könnte prima integriert werden. Blöd nur, dass dieser Platz, der keiner ist, als wichtige Frischluftschneise gilt.

Aber, man kann ja nicht alles haben. Die Struktur des AvV-Platzes inklusive der Straßenführung ist ja ohnehin ohne historischen Belang, weil erst nach dem Krieg entstanden, und kann problemlos geändert werden. Standort prima, Inhalt des Baus ungeklärt. Immerhin ahnen die Verantwortlichen, dass dein neues Ich hier wie woanders wohl mindestens 400 Millionen Euro verschlingen wird. Das ist eine Menge Holz, die an anderer Stelle fehlen würde. Es kann also nur um intelligente Planung gehen, also darum, was neben dem, was du für den Opernbetrieb brauchst, sonst noch einzubauen ist. Lässt man sich auf das Gedankenexperiment ein, dass sündhaft teure Luxusläden, -büros, -hotels und meinetwegen auch Penthäuser und Mikroappartements den notwendigen Kulturkram quersubventionieren, wird die Sache interessant und du könntest wenigen Jahrzehnten Bauzeiten auferstehen wie der U-Dax aus der Baugrube.

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