Es ist eine traurige Premiere, dass The Düsseldorfer einen Nachruf auf einen Mitstreiter bringen muss. Nun war Richard Gleim, den man als ar/gee kannte und den man Richie nennen durfte, weder Redakteur, noch jemand, der regelmäßig zu diesem Online-Magazin beitrug. Aber er war einer, der uns schon bei der Gründung moralisch unterstützte. Und wenn der Verfasser dieser Zeilen ihn ansprach, ob man dieses oder jenes seiner Fotos nutzen dürfe, sagte er bloß: „Mach mal, Rainer.“ Denn eines ist an dieser vielfältigen, manchmal sperrigen Person sicher: Er fand immer gut, wenn jemand einfach mal was machte. Das war für ein Punk.

Und gemacht und getan hat der ehemalige Schüler des Max-Plank-Gymnasiums sein Leben lang. Kaum hatten die ersten Kneipen in der Altstadt wieder Normalbetrieb, trat Richard als Klarinettist einer Jazzband mit dem schönen Namen The Cottonpickers auf. Mit Mitte zwanzig hatte er seinen ersten 2CV, der ihn bis in tiefsten Süden Spaniens, aber auch an die Cote d’azur brachte, wo er sich den Urlaub als Straßenmusiker finanzierte. Da hatte er schon immer einen Fotoapparat in der Hand. Er machte eine Lehre als Gärtner und wechselte von der Scholle ins Büro. Und weil er so nicht den Rest seines Lebens verbringen wollte, trieb es ihn so ab 1978 wieder in die Altstadt.

Natürlich mit dem Fotoapparat in der Hand. Was diese jungen Leute da auf der Ratinger Straße so taten, interessierte ihn, den aus Sicht der frühen Punker „alten Sack“, denn ar/gee – wie er sich nun nannte – war mit seinen 37 Jahren eine ganze Generation älter als die Protagonisten der Szene. Er knipste drauf los. Bei jedem Gig im Ratinger Hof, aber auch im Neusser Okiedokie und den anderen Orten, an denen die neue, wilde Musik gemacht werden durfte, stand er mit dem Fotoapparat in der Hand vor, neben und auf der Bühne. Niemand außer ihm hat diese Zeit des Aufbruchs so intensiv fotografisch dokumentiert.

Die Nähe zu den Musikern, vor allem von Der Plan, wuchs, und Richard beschloss, eine Musikeragentur zu eröffnen, die eben nicht nur Punkartisten vermittelte, sondern auch jedes Projekt – ob Buch, ob Film, ob Performance – förderte, das die Betreuten vorschlugen. Legendär sein komplett in Weiß gehaltenes… Büro würde man es nicht nennen. Der Punk verdünnte sich, sein Geschäft verkümmerte, und Mitte der Neunzigerjahre war Richard Gleim fast vergessen. Dann wurde er Rentner und fuhr und ging unermüdlich durch die Stadt, natürlich mit dem Fotoapparat in der Hand. Anfang der Nullerjahre war er in Düsseldorf beinahe der Einzige, auf den das neumodische Wort „Street Photographer“ passte.

Die digitalen Köpfe der Stadt räumten ihm einen Platz in ihrem inzwischen legendären Blog „Mehrzweckbeutel“ ein, und so wurde Richie Blogger. Nachdem der Verfasser dieses Beitrags ihn in seiner Ratinger-Hof-Zeit nur aus der Ferne gesehen und nicht näher kennengelernt hatte, begegnete man sich nun bei den Düsseldorfer Blogger-Treffen, die ab 2002 oder 2003 regelmäßig stattfanden – und wurde das, was man einen Fan nennen könnte. Einen Liebhaber der einfachen, ungeschönten, nicht durchkomponierten und doch so aussagestarken Fotos, die Richard Gleim bei seinen Streifzügen durch die Stadt sammelte und im Mehrzweckbeutel – meist kommentarlos – zeigte.

Man kam ins Gespräch, das nicht selten zum Streitgespräch wurde, denn Richie war bei all seiner Freundlichkeit ein durchaus streitbarer Mensch. Diese Stadtbilder aber, die inspirierten. Und so begann der Schreiber damit, bei seinen Wegen durch die Stadt und den Hundegängen oft eine Kamera in der Hand zu haben, um die Szenen festzuhalten, die ihm unterwegs auffielen. Richard war für viele von uns eine Quelle der Inspiration. Und es war so gut, dass einige Leute, die damals dabei waren, seine Arbeiten nicht nur wiederentdeckten, sondern ihn animierten und unterstützten, damit die Fotos a) angemessen verfügbar wurden und b) Richard endlich mal richtig Geld damit verdienen konnte.

So begann er vor vier, fünf Jahren eine Mammutaufgabe, die ihn vielleicht mehr Kraft gekostet hat, als ihm noch geblieben war. Er sichtete nicht nur seine Tausenden von Aufnahmen, sondern machte sich daran zu digitalisieren, was noch nicht digitalisiert war. Die großformatigen Abzüge seiner Fotos der frühen Toten Hosen lösten Bewunderung aus und spülten dem armen Rentner Kohle ins Portmonee. Ironie der Geschichte: Vor wenigen Monaten fiel Richard auf einen Trickbetrüger herein, der ihn um fast sein ganzes Erspartes brachte. Und nach der Mammutarbeit konnte man ihm die rapide Verschlechterung seiner Gesundheit ansehen. Im März war er Stargast der Buchpräsentation „Geschichte wird gemacht“ in der Kunsthalle, und wer ihn länger nicht gesehen hatte, war beunruhigt.

Die Hitzewelle im Juni und die Schwierigkeiten noch das Haus verlassen zu können, machten im schwer zu schaffen. In den ersten Julitagen kam er ins Marienhospital, in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli ist er dort gestorben. Wer ihn kannte, wer seine Bilder kannte, wer je mit ihm gesprochen, diskutiert oder gestritten hat, wird ihn nicht vergessen.

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