Heimat, Nest und Ausgangspunkt der Jazzszene der 50er Jahre in Düsseldorf war das Bobbys auf der Ratinger Straße. Bobbys hieß das kleine Ecklokal, dessen offizieller Name Kreuzherren-Ecke war und noch ist, den Laden gibt es noch, er dürfte sich auch nicht wesentlich verändert haben, weil Bobby der Wirt war. Hinter der Theke stand also Bobby und Mitzi. Mitzi war mit einer nicht tot zu schlagenden Schnauze begabt. Ihre Bemerkungen waren grob und frech. Das gefiel uns und den anderen, die dort für 45 Pfennig ihr Bier tranken. Zum gleichen Preis gab es, damit man nicht vor Hunger starb und noch ein, zwei Bier mehr vertragen konnte, Speckschnittchen. Gekochter Bauchspeck mit Zwiebelringen und Salz und viel Pfeffer auf Schwarzbrot. Die Speckschnittchen waren ein der dort gebotenen Musik vom Plattenteller ebenbürtiger Grund, das Lokal aufzusuchen. Das Regal hinter der Theke war gespickt mit Spirituosen aus aller Welt.. Einer Mutprobe glich es – oder war es Ausdruck eines Überschwangs – , einen Ratzeputz zu kippen. Ratzeputz – nomen est omen – ist ein völlig ungeschliffener Trester. Es kostete Überwindung, ihn runter zu kippen und es war eine Kunst, dabei den Gaumen nicht allzu sehr damit zu benetzen. Nur weg mit dem Zeugs. Übelster Fusel. Er kratzte und biss, aber er hatte viel Alkohol und es kostete des Jung-Mannes ganze Überwindungskraft, ihm zuzusprechen.

Kreuzherreneck aka Bobbys

Das „Bobbys“ heute. Viel hat sich nicht verändert

Hier traf man sich, hier hing man ab, hier erfuhr man, was in der Stadt los war. Das Publikum bestand aus Jazzern und Leuten von der Kunstakademie, Professoren wie Studenten. Für uns schlug hier das Herz der Stadt. Das Bobbys hatte also seinerzeit den Rang, den der Ratinger Hof viel später für Punk und New Wave in den Endsiebzigern einehmen sollte. Beide Lokale befinden sich auf der Ratinger Straße, also etwas abseits der jetzt sehr touristischen Altstadt und mit der Kunstakademie um die Ecke.

Sperrstunde war um 1:00 Uhr morgens. Da kam es regelmäßig vor, dass noch Bier im Fass war. Das konnte man doch nicht verkommen lassen. Also wurde die Tür abgeschlossen, damit war dem Gesetz Genüge getan. Ab jetzt war dies keine öffentlich zugängliche Kneipe mehr, sondern eine private Feier. Das war erlaubt. War das Fass endlich leer, kein Tropfen mehr hervor zu locken, wie man es auch kippte und schaukelte, machten sich die Einen auf nach Hause und die Anderen legten sich auf den Bänken lang und schliefen dem nächsten Tag entgegen. Darunter auch etliche Professoren. Man war arm und außer einem dicken, abgeschlissenen Mantel zählte man nicht viel als sein Eigentum.

Kreuzherreneck aka Bobbys

Bobbys – Die von Künstlerhand gestalteten Fenster

Geradezu nobel war hingegen das New Orleans auf der Königstraße. Jetzt ist dort das Victorian. Das Lokal war von ‚Flötchen‘ Geldmacher ausgestaltet. Flötchen Geldmacher war Designer und Jazzer. Flötchen hieß er, weil er auf einer Blockflöte jazzte. Hören konnte man ihn zusammen mit u.a. Günter Grass im Csikos, jenem alten, schmalen Lokal, das zur Hälfte aus einer steilen Treppe bestand, und in dem es die schärfste und gehaltvollste Gulaschsuppe der Stadt gab. Man findet Flötchen Geldmacher in Günter Grass’s Blechtrommel wieder. Dort heißt er Münzer aka Klepp. Mehr über das Csikos (den Zwiebelkeller im Roman), Herrn Schuster (Schmuh im Roman) und Flötchen Geldmacher kann man und sollte man in Güter Grass’s Blechtrommel lesen. In dieses New Orleans kamen wir nicht rein. Hier wurde darauf geachtet, dass man wirklich mindestens 21 Jahre alt war. Und doch ist es mir gelungen, ein mal Ken Colyer und ein anderes mal Beryl Bryden dort zu erleben.

Ein weiteres Lokal von Bedeutung war die Oase auf der Bolkerstraße. Später hieß es Weißer Bär. Hier spielte der unvergleichliche Wilton Gaynair seine kaum enden wollenden Soli, die – so sehe ich das im Nachhinein – schon damals einen John Coltrane vorwegnahmen. An den Drums war der dicke, immer zu Späßen aufgelegte Gillespie und am Klavier brillierte George Maycock, der später Hauspianist im damals noch nicht existierenden Downtown sein sollte. An den Namen des Bassisten kann ich mich nicht erinnern.

Mit der Oase hatte es, daneben dass wir wie immer zu jung waren, um da rein zu dürfen, folgende Bewandtnis. Als erstes musste man ein sog. ‚Gedeck‘ nehmen. Dieses bestand aus einem Bier und einem Korn auf einem Tablett zusammen serviert. Danach konnte Bier solo bestellt werden. Solch ein Gedeck war sündhaft teuer und für uns nicht bezahlbar. Aber auch hier fanden wir einen Weg. Wir betraten das Lokal erst, wenn alle Plätze besetzt waren. Meist waren wir zu zweit. Uns wurden dann unmittelbar vor der Bühne, sonst war auch kein Platz mehr vorhanden, zwei Stühle hingestellt, auf die wir uns setzen konnten. Mit Gedeck war hier nichts, weil wir ja keinen Tisch hatten, auf dem das Tablett abgestellt werden konnte. So brauchten wir nur ein Bier zu 1,00 Mark zu bestellen, woran wir uns den ganzen Abend hielten. Nur nicht ganz austrinken! Ein zweites konnten wir uns nicht leisten. Ha, so hatten wir zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, bei weitem die besten Plätze und viel Geld gespart. Dort haben wir uns mit Jazz voll gepumpt. Wilton Gaynair war einfach der Größte. Und wir waren live dabei. Einfach unvergesslich.

Dann gab es da noch so Lokale wie das Pöötzke, in denen man sich sein Geld verdiente, wenn man mal wieder ganz klamm war. Die Kurze Straße und um die Ecke die Mertensgasse waren so zu sagen die Beal Streat und die Burbon Street. Von überall klang einem Live-Jazz entgegen. Im Pöötzke spielte hin und wieder auch Marianne, ja, die Marianne, mit ihrem Akkordeon und ihren frechen Liedern. Das hat zwar wenig mit Jazz zu tun, sei hier aber dennoch erzählt.

Eines Abends komm ich ins Pöötzke und finde nur noch einen Platz auf einer Bank direkt gegenüber der spielenden Marianne. Marianne machte eine Pause und setzte sich neben mich, legte ihre Hand auf meine 17-jährigen Oberschenkel und meinte mich mit ihren fast 40 Jahren schräg von der Seite anguckend: „Ob sich unsere Körper noch aneinander gewöhnen können?“ Sie genoss es, wie ich rot und weiß wurde und vor Verlegenheit nicht wusste wohin. Später wurde das Downtown gegründet. Davon erzählt aber Siegfried Hanten besser selber. Und nicht zu vergessen das legendäre Cream Cheese. Das war aber noch später.

Dass man von überall her Live-Jazz hören konnte, sollte man bald nicht mehr erleben Immer mehr Lokale legten sich Music-Boxes zu und sparten so nicht nur die Bezahlung von Musikern sondern verdienten auch noch an den Umsätzen, die dadurch entstanden, dass das Publikum Münzen in den Musikautomaten schmeißen musste, um etwas zu hören. Die Livemusik-Szene erlebte hier einen ordentlichen Niedergang durch Mechanisierung und Automation. Nicht zum letzten Mal wurden Musiker durch Maschinen ersetzt. Musiker konnten schon damals ebenso heftig jammern wie jetzt die Musikindustrie angesichts des Internets. Aber es geht weiter.

…und weiter
Inzwischen waren wir 18 geworden. Das Abitur war gemacht. Die Musiker der Cotton Pickers zerstreuten sich über Deutschland; jeder an eine andere Uni. Wir sollten uns nie mehr wieder sehen. Bis heute nicht. Ich habe keinen blassen Schimmer, wo die Jungs jetzt sind und was sie machen. Ich spielte noch in dieser oder jener Band mit, wenn es galt, Gigs zu machen. Schlussendlich machte ich den Versuch, ich hatte mir ein Tenorsaxophon gekauft, ein Quartett auf die Beine zu stellen. Wir spielten hauptsächlich Thelonius Monk Titel von Misterioso bis Round Midnight. Aber die Zeit war vorbei. Ornette Coleman und Free-Jazz hatte es gegeben und dann lebte noch mal ein Jazzfieber mit Cannonball Adderleys Hard Bop auf. Das war`s dann. Wir schreiben das Jahr 1962. Alles war Geschichte. Funk, Soul und Twist kamen. Der Jazz war tot.

Riverside Jazzband

Die Riverside Jazzband

Mich brachte die Musik zwar noch einmal hinaus in die Welt, aber da war sie nur noch Mittel zum Zweck, während bisher Musik und Leben nahezu kongruent waren. Das kam so. Es war Mai oder schon Anfang Juni 1962. Ich ging auf der Kö am Stadtgraben längs, als ich von ein paar Leuten, die da unten im Wasser ihre Füße kühlten, angesprochen wurde. Sie suchten noch dringend einen Klarinettisten. Sie würden noch vor Pfingsten an die Côte d’Azur fahren, um da Straßenmusik zu machen. Da müsste ich unbedingt mitkommen. Das waren die Leute, mit denen ich über Weihnachten in Paris zum ersten Mal Straßenmusik gemacht hatte. Dies um einmal Paris zu sehen. Côte d’Azur, das hörte sich verlockend an. Côte d’Azur, das war Brigitte Bardot, das war Gunther Sachs, das war Las Vegas nur besser, viel nobler und teurer. Da wollten die hin? Das ging? Drei Tage später saßen wir im Zug. Dort unten haben wir dann auf der Straße gespielt. 20 Minuten am Tag reichten, um sein gutes Auskommen zu haben. In Juan les Pins spielten wir im Club Trois. In Antibes sah ich Picasso auf der Straße und saß mit Silvie Vartan an einem Tisch. In St. Tropez feierten wir auf etlichen Luxusyachten ebenso luxuriöse Parties. Wieder in Juan les Pins begleitet ich einmal Juliette Greco. In Cannes fuhren wir auf einem blumengeschmückten LKW Reklame für ein neu eröffnetes Hotel und Radio Monte Carlo machte eine Sendung mit uns.

Dunkler als der mondlose Himmel

Mit einem Projekt, „Dunkler als der mondlose Himmel“, welches am Comeniusgymnasium in Oberkassel entstand, waren wir im Fernsehen.

Vorher und nachher die Harald Banther Band, bei der ich ziemlich heruntergekommen Conny Jackel von der Helmuth Brandt Combo wiederentdeckte. Das Interview mit uns machte der junge Hanns Joachim Friedrichs, der spätere Star-Nachrichtensprecher. Dort hatten wir gehört, dass in der Nacht im Apollo am Ende der Kö – inzwischen ein Aufnahmestudio des WDR – die Größen der Jazzwelt, die Jazz at the Philharmonic Champs , Aufnahmen machten. Wir fragten unseren Regisseur, ob wir dabei sein dürften. Wir durften.

Ich will nur ein paar Namen nennen. Miles Davis, John Coltrane, Stan Getz, (wohl das einzige mal ,dass die beiden, Coltrane und Getz, zusammenspielten), Ray Brown, Paul Chambers, Oscar Peterson und viele, viele andere. Muss ich mehr erzählen? Die MAZ muss noch in Köln beim WDR rumliegen. Darauf wird allerdings nicht zu sehen sein, was zwischendurch geschah, wie z.B. Oscar Peterson dem Pianisten von Miles Davis eben mal zeigte, wie die Akkordfolge zu dem gleich zu spielenden Titel war, oder wie Getz sich verspielte, und erst nach vielfältigem Bemühen von Kollegen begriffen hatte, wie dieses Stück nun wirklich aufgebaut war, oder wie Miles Davis ein paar Mal auf der Bühne erschien, sichtlich übel gelaunt und schimpfend. Das bewegte sich zwischen „I’m worth a lot more money“ und „Fuck off, withies!“ Oder wie ich Ray Brown links und Paul Chambers rechts zusammen back stage ging. Ich zwischen Giganten, mein Herz wummerte, die Knie schlotterten und meine Miene zeigte keine Regung. Cool bleiben, cool wirken, war Verhaltensregel der Zeit. Damals war das das Leben, heute ist es elektronisch bearbeitete Geschichte auf digitalen Speichern. Dabei gewesen zu sein, ist durch nichts zu ersetzen.

>> Zur ersten Folge

[Verfasst von Richard „ar/gee“ Gleim; zuerst erschienen auf seinem Blog Gnogongo]

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