Begeben wir uns auf Spurensuche: Seit wann nennt man die Düsseldorfer Altstadt „längste Theke der Welt“ und seit wann ist sie das eigentlich? Da mein Vater als angestellter Architekt der Hirschbrauerei („Düssel Alt“) ab 1956 Gastwirtschaften sanierte, renovierte und baute, hatte er naturgemäß viel in der Altstadt zu tun, weil der Brauerei dort einige Kneipen gehörten. In den Ferien durfte ich ihn begleiten, und so reichen meine Erinnerungen gut 60 Jahre zurück. Aber den Spruch von der längsten Theke, den hab ich zu der Zeit nie gehört – ganz einfach, weil es noch gar nicht so viele Wirtschaften dort gab.

Hans Lötzsch singt das Altbierlied

Hans Lötzsch singt das Altbierlied

Nachweisbar fällt der bewusste Spruch erstmals im legendären Altbierlied, das der berühmte Karnevalssänger Hand Ludwig Lonsdorfer im Karneval 1978/79 präsentierte. „Wir haben in Düsseldorf die längste Theke der Welt“ singt er da. Das Ding wurde zum Hit, eroberte dann die DEG-Fans, die es ab 1979 vor jedem Partie sangen, und kam irgendwann auch zu den Fortuna-Anhängern. Nüchtern betrachtet spielt die Aussagen auf die enorme Dichte an Lokalen zwischen Carlsplatz und Ratinger Straße, zwischen Marktplatz und Heinrich-Heine-Allee an, besonders gemünzt auf die Bolkerstraße, die Kurzestraße und die Ratinger Straße samt den Gassen in Nord-Süd-Richtung dazwischen.

Da Primo im Haus Schneider-Wibbel-Gasse Nr. 7

Da Primo im Haus Schneider-Wibbel-Gasse Nr. 7

Verrückt, aber wahr: Bis kurz nach dem zweiten Weltkrieg konnte von einem Amüsierviertel nicht die Rede sein. Die Anzahl an Wirtshäusern pro Einwohner war in der Düsseldorfer Altstadt nicht höher als in den Vierteln rundum, ja, war sogar niedriger als in Gerresheim und Flingern. Die Flinger Straße war schon ab etwa 1910 eine Geschäftsstraße mit der Gastwirtschaft „Zum Kurfürst“ (die mein Vater seinerzeit modernisiert hat) als einziger Einkehrmöglichkeit. Auf der Bolkerstraße gab es allerlei Einzelhandelsgeschäfte und die Werkstätten diverser Handwerker, die Kurzestraße zeigte sich als reine Wohnstraße, und auf der Ratinger Straße konkurrierten nur die „Uel“ und das „Goldene Einhorn“ miteinander. Dafür waren zwei der wichtigen Hausbrauereien mit je einem Ausschank dort vertreten: Uerige und Füchschen.

Die Ladenpassage zwischen Flinger und Bolkerstraße

Mit dem galoppierenden Wirtschaftswunder der Fünfzigerjahre stieg der Bedarf der Menschen an Vergnügen. Man ging gern aus, nicht nur zum Essen, sondern besonders gern zum Tanzen, aber auch in Kabaretts und Varietés. Der Typus des Vergnügungslokals, den man aus den goldenen Zwanzigern kannte, feierte fröhliche Urständ. Davon gab es aber bis 1949 kein einziges in der Altstadt. Denn die Passage des Kaufhauses Hartoch, ja, der ganze Häuserblock zwischen Flinger und Bolkerstraße waren in den Bombennächten zerstört worden. In dieser Passage gab es nicht nur Geschäfte, sondern eben auch ein piekfeines Tanzlokal.

Die goldene Welt

Die goldene Welt

Aufmerksame Leserinnen und Leser wissen, dass die Schneider-Wibbel-Gasse nach dem Krieg erst entstand; und zwar ungefähr an der Stelle der alten Passage und als Verbindung zwischen den beiden genannten Hauptstraßen der Altstadt. Dass alle Gebäude in dieser Gasse Nachkriegshäuser sind, kann man am Baustil erkennen – auch die Nummer 7, in dem heute mit „Da Primo“ das einzige italienische zwischen lauter spanischen Restaurants existiert. Wenn man vom Eingang zum Lokal hochschaut, erkennt man ganz oben auf dem Giebel eine Weltkugel mit den Kontinenten aus vergoldetem Blech. Und darunter, ebenfalls in Gold, steht „Die Goldene Welt„. Die Erklärung: Hier entstand direkt nach der Fertigstellung der Schneider-Wibbel-Gasse ein Vergnügungslokal diesen Namens.

Es war das erste seiner Art in der Altstadt. Ab ungefähr 1954 startete dann die große Welle der neuen Gastronomiebetriebe. Da entstanden die Jazzkeller der Existenzialisten, da eröffneten Künstler und Kunststudenten Bier- und Schnapskneipen, und die Düsseldorfer Prominenz der Show-Szene begann, möglichst originelle Bars und Clubs bauen zu lassen. Aus ehemaligen Traditionsgastwirtschaften wurden Treffpunkte der Halbstarken, und tanzen konnte man in mehreren Lokalen. Seit jener Zeit verändert sich die Altstadt allerdings regelmäßig und bisweilen tiefgreifend.

Ratinger Straße in den 70ern: Einhorn, Zweihorn, Dreihorn...

Zum Goldenen Einhorn auf der Ratinger Straße

Die Kultur des gemeinsamen Biertrinkens, gern auch draußen, bestimmte die Sechzigerjahre. Es folgte die Periode der Diskotheken, später „Clubs“ genannt. Die Ratinger Straße wurde ab Ende der Siebziger zum Biotop der Punks, während die spanische Küche die Schneider-Wibbel-Gasse eroberte und bis heute beherrscht. Und aus jeder dieser Epoche blieben Relikte übrig, die den Wandel überlebten – man denke nur an das „Weinhaus Tante Anna“, „Dä Spiegel“ oder die „Auberge“, an „Julio’s“ und natürlich „Bobby’s“ (die Künstlerkneipe, die ja eigentlich „Kreuzherreneck“ heißt), von der „Uel“ und dem „Einhorn“ ganz zu schweigen. Auch „Knoten“, „Schaukelstühlchen“ und „Engelchen“ auf der Kurzestraße muss man schon zu den Traditionskneipen zählen. Und die beiden Pizza-Imbisse an der Ecke zur Mertensgasse sowie das „Ham-ham“ stehen für die Tradition des schnellen Happens in der Altstadt. Wobei gerade auf diesem Gebiet viele wirklich legendäre „Hühner-Hugo“ schon lange verschwunden sind.

Düsseldorf war eine Hafenstadt, und bis weit in die Vierzigjahre hinein waren die Binnenschiffer die einzige Klientel, die in der Altstadt so etwas wie Amüsement suchten. Die gesitteten Bürger frequentierten die angesehenen Wirtshäuser und Weinstuben, von denen es noch im 19. Jahrhundert in Düsseldorf deutlich mehr gegeben hatte als Bierkneipen. Nur die Künstler, die hatte ihre eigene Szene mit eigenen Lokalen, in die sich Normalos nie verirrten. Das, was wir heute „längste Theke der Welt“ nennen, begann allerdings tatsächlich erst nach dem zweiten Weltkrieg mit dem Vergnügungslokal „Die goldene Welt“ im Haus Bolkerstraße 7.

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