Lesestück · Noch Mitte der Neunzigerjahre konnte sich kaum ein*e Düsseldorfer*in eine Stadt ohne Auto Becker vorstellen. Das vermutlich bunteste, wenn nicht verrückteste Autohaus der Welt gehörte zu unserer kleinen Großstadt wie die Altstadt und die Kö. So sahen es jedenfalls die Tausenden Kfz-Verrückten, die Woche für Woche, meist sogar ohne ernsthafte Kaufabsichten, kamen, um sich mal umzuschauen. Denn auf dem etwas verwinkelten Gelände zwischen Merowinger-, Karolinger- und Suitbertusstraße konnte man Karossen in echt sehen, die man sonst nur auf der AutoMotorSport kannte: Ferrari, Rolls Royce zum Beispiel. Vor allem aber im Gebrauchtwagenangebot fanden sich immer Perlen der Automobilkunst, die sogar Interessenten aus Übersee anlockten. [Lesezeit ca. 5 min]

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Dabei übersahen viele aber, dass Auto Becker auch ein stinknormales Autohaus mit Vertretungen solch prosaischer Marken wie Opel und Nissan war. Das alles hatte gleich nach dem Ende des zweiten Weltkriegs mit einer für damalige Zeiten genialen Geschäftsidee. Wilhelm Becker, der sich später den Vornamen „Auto“ offiziell in den Personalausweis schreiben ließ, hatte 1947 begonnen, gebrauchte Autoteile im großen Stil anzukaufen und dann vor allem über überregionale Zeitungsinserate anzubieten. Wer also Ende der Vierzigerjahre das Glück hatte, einen Vorkriegswagen zu besitzen, der fand bei Auto Becker die ansonsten sehr knappen Ersatzteile.

Irgendwann in den 80ern: Eine Auto-Becker-Weihnachtskarte (Foto: privat)

Irgendwann in den 80ern: Eine Auto-Becker-Weihnachtskarte (Foto: privat)

Und dann begann der Mann mit dem Vornamen Auto ebenfalls im großen Stil gebrauchte Karren aufzukaufen, die er in der eigenen Werkstatt fahrfertig machen ließ und mit enormem Aufschlag wieder vertickte. Ab 1951 profitierte sein Unternehmen dann ganz massiv vom beginnenden Auto-Boom im Wirtschaftswunderland Deutschland. Und um die Wünsche der wohlhabenden Automobilisten zu befriedigen, importierte Wilhelm Becker schon ab 1953 Autos solch exotischer Marken wie Lancia, Alfa Romeo und DeSoto. Schnell kamen die Luxusgefährte von Rolls Royce/Bentley und die Liebhaberkisten von Abarth, MG sowie des Karosserieschneiders Bertone hinzu. 1956 ernannte Enzo Ferrari Auto Becker zum deutschen Generalimporteur der Supersportwagen mit den springenden Pferd.

Ende der 90er: Auto Becker, hier an der Suitbertusstraße, in den letzten Zügen (Foto: TD)

Ende der 90er: Auto Becker, hier an der Suitbertusstraße, in den letzten Zügen (Foto: TD)

Weil es ein solches Angebot im ganzen Land nicht gab, kamen die Reichen und Schönen aus allen Himmelsrichtungen nach Düsseldorf, um sich dort die standesgemäßen Fahrzeuge zu holen. Gleichzeitig wurde Auto Becker aber zur Anlaufstelle für Otto Normalchauffeur, der einen Wagen aus seriöser zweiter Hand suchte. Es war übrigens Wilhelm Becker, der diesen Begriff als Synonym für Gebrauchtwagen erst populär machte. Wobei sein Autohaus nach dieser Logik eben zweiter Besitzer eines Fahrzeugs war, dass man vom ersten Besitzer übernommen hatte. So richtig bekannt wurde die zweite Hand nach dem Umzug von Auto Becker auf das Gelände der ehemaligen Papierfabrik Schulte und Zinken, einer der vier großen Hersteller von Papier und Pappe, von denen drei in Bilk entlang der Düssel angesiedelt waren.

Die 2. Hand: Der legendäre Schlot mit der Werbeinstallation (Foto: public domain vie Wikimedia)

Die 2. Hand: Der legendäre Schlot mit der Werbeinstallation (Foto: public domain vie Wikimedia)

Becker ließ den Fabrikschornstein stehen und dort eine weithin sichtbare Werbeinstallation abringen. Über dem Schriftzug Auto Becker in Weiß auf Blau war an drei Seiten eine Hand abgebildet, in deren Innenfläche „2.“ stand – dies als Symbol für den Slogan von der zweiten Hand. Dieses rund acht Meter hohe Signet an der Spitze des über 60 Meter hohen Schlotes war von jedem erhöhten Punkt der Stadt aus zu sehen und diente der Legende nach Amateurflieger vor dem Bau des Rheinturms als Orientierungspunkt. Schornstein und Werbung blieben das letzte Zeichen der Existenz dieses grandiosen Stücks deutscher Automobilgeschichte. Nach der Insolvenz des Unternehmens im Jahr 2002 und langem Leerstand mit zeitweiliger Zwischennutzung wurden die Bauten im gesamten Karree abgerissen – auch der legendäre, weiß gekalkte Schlot.

Aus heutiger Sicht kann man davon ausgehen, dass eine ganze Kette unternehmerischer Fehlentscheidungen des ältesten Sohns, Helmut Becker, zur Pleite führten. Der war ohnehin mehr der Welt der Promis, des Geldadels und des Glamours verpflichtet als der seriösen Führung eines Unternehmens – auch wenn er sich über viele Jahre semi-politische als Bewahrer der freien Marktwirtschaft generierte und zwischendurch sogar als Einzelbewerber für den Bundestag kandidierte. Im Gegensatz zu seinen Brüder Achim und Harald, die sehr erfolgreich das Unternehmen Data Becker führten und aufgrund veränderter Marktbedingungen 2014 seriös und ohne jemanden in irgendeiner Form zu schädigen abwickelten, kannte man Helmut Becker vor allem als eitlen Burschen, den man meist im Maßanzug samt seidenem Einstecktuch sah und dessen penetranten Herrendüfte man schon aus einiger Entfernung wahrnahm. Zu dieser Erscheinung passt seine nie ganz geklärte Verwicklung in den Mord am Unternehmer Franz Gsell.

ca. 1998: Helmut Becker im Kreise seiner Lieben... (Foto: Auto Becker)

ca. 1998: Helmut Becker im Kreise seiner Lieben… (Foto: Auto Becker)

Unterhält man sich mit ehemaligen Angestellten der Auto Becker GmbH & Co KG, so sind die Erinnerungen durchaus zwiespältig. Wer noch zu Zeiten von Wilhelm Becker dort als Lehrling oder Verkäufer begonnen hatte, schwärmt in den höchsten Tönen von diesem Arbeitgeber. Der olle Auto Becker war ein Patriarch, aber ein gerechter, der seine Untergebenen fair behandelte. Unter den später Hinzugekommenen gehen die Meinungen auseinander. Gerade die besonders loyalen Mitarbeiter im Verkauf nehmen es dem 2018 verstorbenen Helmut Becker übel, dass und wie er die Firma zugrunde gerichtet hat. Übrigens war es dessen Gier nach Luxus geschuldet, dass Auto Becker in den Siebzigerjahren in einer Dependance sündhaft teure Riva-Motorboote anbot.

2016: Das Auto-Becker-Loch (Foto: TD)

2016: Das Auto-Becker-Loch (Foto: TD)

Nach dem Abriss ab 2014 klaffte im Viertel über mehrere Jahre ein Loch als Mahnmal für diesen historisch bedeutenden Teil der Düsseldorfer Nachkriegsgeschichte. Inzwischen hat man auf dem gesamten Gelände die sogenannten „Karolinger Höfe“ errichtet, ein Konglomerat aus architektonisch nicht besonders aufregenden Klötzchenbauten mit einer Ladenfront zur Merowingerstraße hin. Sämtliche Spuren von Auto Becker hat man getilgt – nicht einmal eine Gedenktafel erinnert an die Geschichte des Grundstücks.

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