Menschen neigen dazu, sich an Unglücksfälle in ihrer Nähe besonders gut zu erinnern. Dem Autor dieses Beitrags geht es so mit dem Flugzeugabsturz vom 3. November 1957, der Explosion eines Kessels in Oberbilk im Jahr 1958 oder 1959 und dem schlimmen Brand in der Jagenberg-Fabrik am 11. April 1960. Den ganzen Tag über lag der Geruch nach brennendem und verkohlendem Papier in der Luft über den Stadtteilen Bilk, Unterbilk und Friedrichstadt. Als der Vater von der Arbeit nachhause kam, verfolgten wir die Nachrichten zum Unglück im Radio. Tatsächlich war das Feuer in einem Lager unterhalb der Produktionsstätten für Perga ausgebrochen.

Beim Brand des Perga-Lagers 1960 (Foto: Berufsgrubenwehr Prosper)

Beim Brand des Perga-Lagers 1960 (Foto: Berufsgrubenwehr Prosper)

Dabei handelt es sich um mit Paraffin getränktes und somit wasserdichtes Papier, das seinerzeit eine Revolution in der Verpackung von Lebensmitteln auslöste. Plötzlich gab es Milch in „Tüten“, also quadratischen Behältern aus Perga. Jagenberg hatte es erfunden und war natürlich erster Produzent des Materials und über Jahre weltweit führender Hersteller. In der Fabrik in Bilk zwischen der Merowinger-, der Ulenberg- und der Himmelgeister Straße wurde Perga auf speziellen Maschinen gefertigt. Das zu verarbeitende Papier und andere Materialen lagerte man in einer Halle von etwa 80 mal 50 Metern.

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Erst nach dem Abschied der Firma Jagenberg aus Düsseldorf wurde das hell gekachelte Verwaltungsgebäude als Salzmannbau bekannt. Zwar kannten viele Düsseldorfer diese Fassade, hatten aber wenig Vorstellung von der Produktion in den dahinter angeordneten Hallen. Bis zu 3.500 Mitarbeiter in den Büros und in der Produktion waren wir beschäftigt. In den Ferienmonaten konnte man hier bis in die Siebzigerjahre als Schüler oder Student mit Aushilfsjobs gutes Geld verdienen – das Kantinenessen war weithin berühmt.

Die Anfänge – vom Papiergroßhandel zum Maschinenbauer

Angefangen hatte Ferdinand Jagenberg 1878 als Papiergroßhändler – mitten in die erste große Papierkonjunktur, denn die industrielle Papierherstellung gab es gerade einmal seit 1848. Bis dahin war Papier ein teures Gut, das massenhaft lediglich beim Druck von Büchern und Zeitungen Anwendung fand. Und erst mit der Produktion von Papier auf Rollen ab etwa 1870 war die Rolle des Papiergroßhändlers erst geboren. Dessen Aufgabe bestand darin, das von den Fabriken gelieferte Papier zu konfektionieren, also zuzuschneiden und je nach Auftrag auszuliefern.

Eine der ersten Rollenschneidemaschinen (Abb.: Jagenberg-Chronik)

Eine der ersten Rollenschneidemaschinen (Abb.: Jagenberg-Chronik)

Da wundert es nicht weiter, dass der rührige Herr Jagenberg Rollenschneidemaschinen bauen ließ – dies noch am zweiten Standort der Firma in der Kronprinzenstraße. Als das Geschäft noch im Wesentlichen aus dem Vermitteln zwischen Herstellern und Käufern bestand, hatte Jagenberg mit seinem Kontor in der Bahnstraße residiert. Aber das Wachstum überrollte das Unternehmen beinahe. So zog man 1895 auf das Gelände der ehemaligen Krautmühle um; ein Grundstück, das sich in Unterbilk im Bereich zwischen Kirchfeld-/Düssel-, Loretto-, Reichs- und Kronprinzenstraße befand. Auch nach der Übernahme des Unternehmens durch die Jagenberg-Söhne Emil und Max expandierte die Firma in rasantem Tempo, immer wieder angetrieben durch die rasche Adaption neuer Technologien.

Große Erfolge um die Jahrhundertwende

Jagenberg konnte Jahr für Jahr neue Patente anmelden, neue Maschinen und Verfahren entwickeln und durch Zukauf von Firmen weiterwachsen. Neue Produktionsstandorte mussten eingerichtet werden, und die Verwaltung platzte aus allen Nähten. Durch die Beteiligung an internationalen Messen – auch auf der Weltausstellung in Paris 1900 – und vor allem durch ihren Auftritt auf der Große Industrie-Ausstellung in Düsseldorf von 1902 erlangte das Unternehmen Weltruf. Kein Wunder also, dass die beiden Chefs nach einem neuen Firmengelände suchten, um dort ein ganz neues Werk zu errichten.

Das Tor zur Jagenberg-Fabrik in den Dreißigerjahren

Das Tor zur Jagenberg-Fabrik in den Dreißigerjahren

So wurde ab 1904 vor allem der sogenannte Salzmannbau an der Himmelgeister Straße gebaut, die damals noch außerhalb der Stadt lag und von landwirtschaftlich genutztem Land umgeben war. Weil das neue Gelände vor den Toren Düsseldorfs lag, nahmen die Jagenbergs an, es gäbe ausreichend Grund für zukünftige Erweiterungen. Sie sollten sich täuschen, weil mit der Eröffnung 1906 die erste große Welle der Eingemeindungen begann und mehr als ein Dutzend Stadterweiterung in Planung gingen. Düsseldorf war eine boomende Metropole, in der sich – nach der ersten Gründungswelle zwischen 1870 und 1890 – weitere zig Industriebetriebe ansiedelten.

Ab 1914: Weltweit führend in der Verpackungsindustrie

Spätestens 1914, kurz vor Ausbruch des Weltkriegs, war aus Jagenberg ein Unternehmen der eben erst entstandenen Verpackungsindustrie geworden. Bis zur Jahrhundertwende wurden Güter des täglichen Bedarfs im Wesentlichen lose im Gemischtwarenladen verkauft. Ausnahmen wie die Maggi-Würze, die bereits ab 1874 als Markenartikel in den typischen Flaschen angeboten wurde, blieben Einzelfälle. Spätestens mit der Einführung des Waschmittels Persil durch das Düsseldorfer Unternehmen Henkel begann die Ära der verpackten Markenartikel, deren Verpackung den Wiedererkennungswert transportieren und damit Vertrauen wecken sollte. Übrigens: Über wenige Jahre konkurrierten Jagenberg und Henkel, weil beide Industriekleber entwickelt hatten, die speziell für die Herstellung von Verpackungen gedacht waren.

Ein Durchbruch sowohl in der Geschichte der Markenartikel, als auch in der Firmengeschichte war die Entwicklung einer Verpackungsmaschine für Tabak und Zigaretten. Erst die Möglichkeit, Zigaretten in Packungen bestimmter Größe zu konfektionieren, machte das Entstehen der Marken auf diesem Feld möglich. Wieder war Jagenberg auf einem Feld Weltmarktführer. So überstand das Unternehmen die Kriegszeit und wuchs selbst während der Weltwirtschaftskrise. Zum 50. Firmenjubiläum im Jahr 1928 beschäftigte Jagenberg an drei Standorten insgesamt 1.350 Mitarbeiter.

So sah es in der Jagenberg-Fabrik nach dem Aus in den 89ern aus (Foto: salzmannbau.de)

So sah es in der Jagenberg-Fabrik nach dem Aus in den 89ern aus (Foto: salzmannbau.de)

In den Dreißigerjahren besitzt die Firma alle wesentlichen Patente im Umfeld der Verpackung von Zigaretten, stellt selbst den Klebstoff für Packungen her und kauft eine marktführende Kartonagen-Firma zu, um mitten im zweiten Weltkrieg das Aktienkapital zu erhöhen. Immerhin hatte man mit dem Material „Perga“ (siehe oben) und des „Eco-Packining„, eines bis heute angewendeten Verfahrens für die Herstellung von Faltschachteln, zwei weitere Erfindung zur Marktreife gebracht, die über mehrere Jahre weltweit konkurrenzlos blieben. In den ersten Jahren des Krieges blieben sogar die Verkaufsbüros in den USA und anderen alliierten Staaten geöffnet.

Das Ende und die Umnutzung des Fabrikgeländes

Der Salzmannbau mit der Jazzschmiede heute (Foto: Wiegels via Wikimedia)

Diese mussten allerdings ab 1944 schließen, und das Werk mit dem Salzmannbau in Bilk wurde bei den Bombenangriffen auf Düsseldorf schwer beschädigt, wobei die Produktionshallen fast vollständig zerstört wurden. Aber schon am 19. April 1945 begann man mit rund 200 Mitarbeitern den Wiederaufbau der Jagenberg-Werke. Ende der Sechzigerjahre wird deutlich, dass dieses Werk zu klein wird, und man errichtet eine neue Produktionsstätte in Neuss. Dort werden die Maschinen für die Papierindustrie hergestellt, die Verpackungsmaschinen dagegen weiter in Düsseldorf. Überhaupt hat sich Jagenberg zu einem weltweit operierenden, hochspezialisierten Maschinenbaukonzern verwandelt, der aber an Wachstumsgrenzen stößt und mit strukturellen Problemen zu kämpfen hat. Deshalb verkauft die Familie Jagenberg zum Ende des Jahres 1981 eine Aktienmehrheit von 76 Prozent an die Rheinmetall Maschinenbau GmbH. Das leitet eine so grundsätzliche Umwälzung der Firma ein, dass nur knapp 15 Jahre später von der „alten“ Jagenberg durch den systematischen Verkauf von Unternehmensteilen durch die Rheinmetall nichts mehr übrig ist. Die Reste übernimmt eine Beteiligungsgesellschaft, die auch den bekannten Namen tragen wird.

Dass der Salzmannbau erhalten blieb und heute selbstverwaltet genutzt wird, ist eine andere Geschichte, die demnächst zu erzählen ist…

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