„Als ich 1975 die Destille eröffnete, waren wir eine linke Kneipe. So bezeichnete man das damals. Ich war Studentin und musste mir etwas dazuverdienen. Aber ich blieb, was ich war: Kneipenwirtin – trotz abgeschlossenem Studium!“ Chris ist in die Jahre gekommen. Sie lächelt. „Nicht nur ich, wir alle sind in die Jahre gekommen. Viele meiner Gäste kenne ich von damals: Linke, Hippies, Alternative; heute fügt man gerne ergänzend ‚ehemalige‘ hinzu. Obwohl sie sich, zumindest was die Kleidung und die Haarlänge betrifft, nicht viel verändert haben.“ In der Destille, heute wie damals, trifft man sich zum Diskutieren.

Die SPD vor 30 Jahren – eine linke Partei als Stammkundschaft

Google-Map: Die Destille auf der Bilker Straße

Chris kennt ihre Gäste. Auch mich hat sie erkannt. „Sie kommen doch immer donnerstags.“ Es stimmt, wir kommen einmal in der Woche. Kurz nach neun. Mal zehn, mal bis zu zwanzig Personen, die nach einer anstrengenden Chorprobe den Abend gemütlich ausklingen lassen. Reserviert wird nicht, ein passender Tisch findet sich immer. Speis und Trank sind schnell zur Stelle. Leise Hintergrundmusik, eine unaufdringliche Bedienung, nichts stört die angeregte Unterhaltung.

„Die Destille ist, was Stammtische angelangt, ein beliebter Ort. Bei uns gibt es die ‚Strickerinnen‘, die ‚rheinische Humorverwaltung‘, die ‚ehemaligen Bäcker‘, die ‚Literaturübersetzer‘, die ‚Franzosen‘ und wahrscheinlich noch ein paar mehr.“ Früher habe die SPD als linke Partei zur Stammkundschaft gehört, erzählt Chris weiter. Aber die Zeiten seien vorbei. Dafür käme aber Die Linke, und den Stammtisch der Altkommunisten gäbe es auch noch.

Was ist eigentlich ein Stammtisch?

Destille – die Sommergalerie

In Zeiten von Internet und Online-Kommunikation kommt einem die Destille wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten vor. Hier werden die Gäste animiert sich einzubringen, mitzumachen, kreativ zu sein und sich mit anderen auszutauschen. So findet einmal pro Woche das Autorenfrühstück statt, zu dem sich Literaturschaffende und Interessierte einfinden. In der Sommergalerie stellen die Gäste der Destille ihre Werke aus, und auf der kleinen Bühne im hinteren Teil der Kneipe wird – ebenfalls einmal pro Woche, immer sonntags – musiziert: und zwar Jazz.

Des Weiteren beteiligt sich die Destille mit eigenem Programm an allfälligen Festivitäten. Aktuell bietet sie im Rahmen des Straßenfestes „Romantik & Revolution“ am 26.10.2019 Kunst-, Musik- und Literaturschaffenden eine „Offene Bühne für Selbstgemachtes“ und freut sich auf „vielseitige Beiträge, die nicht länger als 10 Minuten sein sollten“.

Bierdeckelkunst – jedes Stück ein Unikat

Bierdeckelkunst in der Destille

„Viele unserer Gäste kommen wegen der Unterhaltung“, erzählt Chris weiter. „Einige von ihnen täglich. Zum Beispiel Jan. Er ist Grafiker und hat sich in der Destille mit seiner Bierdeckelkunst verewigt.“ Sie zeigt mir eine Säule hinter dem Ausschank, die von oben bis unten mit Bierdeckeln tapeziert ist. Jeder von ihnen ein handgezeichnetes Unikat; unzählige Portraits, von Gästen vielleicht? Aus mehreren Jahrzehnten?

„Heute ist er nicht gekommen“, sagt Chris nachdenklich und zeigt auf den Tresen. „Dort sitzt er immer. Er ist 70 Jahre alt, und wenn er dann nicht kommt, macht man sich schon mal seine Gedanken.“ Ich gebe mir einen Ruck und frage Chris, wie lange sie das hier noch machen will. Sie lacht, überrascht, vielleicht etwas verlegen, aber dann antwortet sie ernst und nachdenklich.

Eine Kneipe ist wie ein Kind

„Manchmal bedaure ich schon, dass ich nicht so reisen kann wie andere in meinem Alter; mal eben abends ins Theater oder in die Oper. Dreimal in der Woche koche ich nachmittags vor. Ich mache den Einkauf. Eine Kneipe ist nun mal ein lebendiges Wesen. Ständig kreisen meine Gedanken um sie. Irgendetwas gibt es immer, das mir nicht aus dem Kopf geht: ein Erlebnis mit Gästen, ein Probleme mit dem Personal, Ärger mit dem Finanzamt, neues Rezept. Aber ein paar Jährchen werde ich das wohl noch weitermachen. Vorausgesetzt meine Gesundheit macht mit!“