Manchmal merkt man einen Verlust erst, wenn einem bewusst wird, dass etwas früher sehr Geliebtes kaum noch da ist. So geht es mir persönlich mit der Pommesbude. Um es gleich richtigzustellen: Gemeint ist eigentlich der klassische Schnellimbiss, der vorwiegend in einem geschlossenen Raum residiert, manchmal aber auch in einem stationären Verkaufswagen. Der Schnellimbiss hat eine viel längere Geschichte als man glauben mag. Die meisten Quellen gehen davon aus, dass der – allerdings eher mobile Schnellimbiss – zusammen mit der Industralisierung entstanden ist. Aber von Pommes, also Fritten oder korekt: Pommes frites ist erst seit Ende der Fünfziger Jahren als Schnellfrass die Rede. Zuvor gab es im Imbiss meist etwas aus Fleisch oder Fisch mit Kartoffelsalat o.ä. oder Eintöpfe. Die Bockwurst war lange Liebling der Massen, die Bulette und das Kotellet auch. Apropos: Im Rheinland ist deshalb das Wort „Kotlettbud“ ein Synonym für Schnellimbiss.

Was wie tatsächlich angeboten wurde, unterlag bis weit in die Sechzigerjahre hinein regionalen Vorlieben. So gibt es entlang der Küsten schon seit Alters her Fischimbissbuden und -restaurants. Im Westen und in der Mitte Deutschlands herrschte lange die Wurst und die Frikadelle. In Süddeutschland war der Schnellimbiss beinahe immer Ableger einer Metzgerei, und die Leberkas-Semmel ist der historische Hit in Bayern. Aber in der Blütezeit der Pommesbude ab den frühen Sechzigerjahren setzte auch eine Nivellierung der Angebotspaletten ein. Was besonders mit dem grandiosen Vormarsch der frittieren Knolle zu tun hat. Plötzlich konnte der Hungrige unterwegs an jeder zweiten Ecke eine Tüte Pommes mit oder ohne Majo für sehr kleines Geld erstehen.

Gerade Kinder und Jugendliche fuhren voll auf die gesottenen Stäbchen ab. So konnten sich gerade Anbieter in der Nähe von Schulen ein goldenes Näschen erwirtschaften, und mancher Bub und einige Mädels investierten ihr halbes Taschengeld in Pommes. Außerdem avancierten Schnellimbisse – sofern Wirt bzw. Wirtin jugendfreundlich waren – zu wahren Jugendtreffs. Was mich zu meiner allerersten Lieblings-Pommesbude bringt. Die war auf der Liebigstraße direkt neben der Judo-Schule Praas angebracht und wurde von An Li betrieben. Wenn wir uns dort verabredeten, sagten wir nur „Nachher beim Chinesen“. Nachdem wir uns aber mit dem überaus freundlichen Wirt angefreundet hatten, hieß es dann „Beim An“. Der hatte – wie in der Zeit viele Pommes-Imbisse – eine Musicbox, sodass wir Essen, Trinken und Musik aus einer Hand hatten. Damals war das Angebot für Jugendliche ansonsten dünn gesät. Jugendzentren gab’s noch nicht, in Kneipen kam man nicht rein, und so blieb fast nur das Angebot der Kirchen. Und – um ein wenig abzuschweifen – so etwas wie die Tanzschule Kaechele an der Sternstraße, die das ganze Wochenende über Veranstaltungen für uns zuließ.

Multinational
In dieser Ära wurden die Imbissläden noch von Menschen ganz unterschiedlicher ethnischer Herkunft betrieben. Die traditionsreichen Schnellrestaurant wie die legendäre Fischgaststätte Walldorf auf der Lichtstraße in Flingern befanden sich in deutscher Familienhand, während die Italiener ihre italienischen Restaurants hatten und die Jugos ihre Balkanrestaurants – bis auf diejenigen Gastronomen, die den Trend zum schnellen Essen, auch unterwegs und beim Gehen, erkannten und bedienten. Denn tatsächlich war und ist die Tüte Pommes beinahe der ideale Im-Gehen-Snacken-Snack. Man kann die Tüte schön in einer Hand halten und mit der anderen picken. Außerdem fallen die verbrannten Stücke automatisch nach unten, sodass man sie nicht versehentlich mitisst. Hat man genug, knüllt man das Papier zusammen und entsorgt es im Mülleimer – von denen es damals in der Stadt übrigens gut zwanzigmal so viele gab wie heute.

In jenen Jahren bekam aber auch nicht überall diese 08/15-Vorfrittierware aus den Niederlanden. In der winzigen Pommesbude an der Schlossstraße in Pempelfort verwendete der Wirt nur selbstgeschälte und -geschnittene Stäbchen, die er irgendwo in seinem Lager anfertigte und in großen Blechkisten in seine Verkaufsstelle brachte. Die Dinger schmeckten aber sowas von nach Kartoffeln!

Ganz überfallartig brach in den späten Sechzigern dann die Currywurst über die Nation herein. Die gab es schon sehr viel länger in Berlin, Hamburg und vor allem im Ruhrpott. Aber außerhalb dieser Epizentren aß man die Bratwurscht noch ganz traditionell mit Senf. So hatte unser lieber An derlei neumodischen Kram nie im Angebot. Erst die vielen Neugründungen setzten auch auf die Wurst in der roten Sosse, die mit scharfem Pulver überstäubt wurde. So entstand nach dem Ende der Winzbude an der Schlossstraße wenige Meter weiter eine viel größerer Schnellimbis MIT Currywurst, und unsere Mutter schickte uns bisweilen dorthin um Pommescurry für alle zu holen.

Ein bisschen früher etablierten sich in der Altstadt nicht nur die Schnellpizzerien, sondern die balkanisch angehauchten Imbisse, allen voran die sich konkurrierend gegenüberliegenden Läden auf der Kurze Straße. Während Ivka in einem winzigen deckenhoch gekachelten Raum residierte, wo Bretter an den Wänden die Tisch ersetzten, hatte Josef mit dem „Ham-Ham“ schon ein richtiges Restaurant. Und während es bei Ivka eine sehr schmalle Karte (Cevapcicci, Rasniji, Pleskavica und Serbische Bohnensuppe) gab, hatte Josef richtige Gerichte im Angebot – alles aus dem jugoslawischen Geschmacksraum, versteht sich. Apropos Altstadt: Aus der Art schlugen damals die ebenfalls legendären „Hühner Hugo“ und die „Ferkes Hött“ mit ihrem sortenreinen Angebot an Flattermännern und Schweinischem im Brötchen. Wobei zur selben Zeit auch noch das „Halbe Hähnchen“ rasch Karriere machte – in Düsseldorf besonders repräsentiert durch das „Grillrestaurant Luxor“, einer Art Kette, die Spitzenzeiten drei oder vier Filialen im Stadtgebiet hatte.

Griechen regieren!
Aber dann übernahmen – zumindest in Westdeutschland – die Griechen nach und nach das Pommes-Business; bis es fast keine Schnellimbisse mehr gab, die nicht in griechischer Hand waren. Das hat einen einfachen Grund: „Für auf die Hand zu essen“, wie man im Rheinland und Ruhrgebiet so charmant wie grammatisch versaut statt dem neumodischen „To Go“ sagt, hat in Hellas eine sehr lange Tradition. Ähnlich wie in weiten Teilen Asiens findet man in den Städten des weißblauen Landes allüberall mobile Souvlakia-Grills. Vergleichbares kennen weder die nördlichen Kulturen, noch die anderen Mittelmeerländer – die Türkei und Nordafrika natürlich ausgenommen.

Mit der Griechifizierung der Pommesbude ging eine dramatische Veränderung der Speisenkarten einher. Denn vom traditionelle Speiseplan der guten, alten Pommesbude blieen eigentlich nur Pommes frites, Brat- und Currywurst sowie das Grillhähnchen übrig. Dafür hielt das Schnitzel auf breiter Front Einzug. Erstmals fand man in der Kühltheke nicht mehr bloß Kartoffel- und Nudelsalat aus dem Eimer, sondern frische Salat aus Gemüse wie sie auf der griechischen Vorspeisenplatte zu finden sind. Mancher Wirt experimentierte mit Souvlakia (statt balkaneischem Schaschlik) und Heftedes (statt Frikadellen). Aber erst die Erfindung des Gyros drehte den Spieß komplett um.

Als wir 1977 mit ein paar fröhlichen Menschen eine WG in Straberg bei Dormagen betrieben, war „der Grieche“ in Dormagen eines unserer Stammlokale. Was auch damit zu tun hatte, dass einer von uns als ehemaliger Air-Olympia-Mitarbeiter sehr oft in Griechenland geweilt hatte und von dort eine Vorliebe für die dortige Küche mitbrachte. Ich erinnere mich, dass irgendwann der griechische Wirt bei uns anrief und verkündete, er habe da was Neues. Wir fuhren hin und bekamen beinahe als erste Gäste so richtig tolles Gyros vom Drehspieß aus selbstgestecktem und gewürztem Fleisch. Ich habe nie wieder ein derart leckeres Gyros gegessen.

Wo sind sie geblieben?
Drehen wir die Uhr ein paar Jahre vor, und überspringen wir die Phase der Hamburgerniederkunft und des Überschwappens der niederländischen Fastfood-„Kultur“ mit Frikandeln und Bitterballen. Denn seit der Jahrtausendwende nimmt die Zahl der klassischen Pommesbuden, also der fritten-zentrierten Schnellimbisse mit klassischem Portfolio rapide ab. Einer der letzten Mohikaner ist die Grillstube Pfeffermühle hier bei uns im Viertel. Die kenne und frequentiere ich bereits seit 1988. Damals hatte ich mein Büro in einem Hinterhaus am Fürstenplatz, und die Pfeffermühle war (neben dem Vulcano und Da Gino sowie diesem bürgerlichen Restaurant an der Corneliusstraße, wo später lange ein Wettschuppen residierte) unsere liebste Zapfstelle für den Mittagsschmaus. Seit nunmehr dreizehn Jahren wohne ich im Viertel und habe seitdem zwei Pächterwechsel (natürlich immer innerhalb der griechischen Familie) erlebt.

Mit dem Vorgänger der aktuellen Mannschaft verband mich eine Art Fußballfreundschaft, weil ich wie er von allen griechischen Vereinen nur auf PAOK Saloniki stehe und wir uns bei diesem wunderbaren Freundschaftsspiel zwischen PAOK und der glorreichen Fortuna im Paul-Janes-Stadion am Souvlaki-Grill trafen und davon dann jedes Mal schwärmten, wenn ich mir dort Pommes und/oder Gyros holte.

Tatsächlich ist die Pfeffermühle mehr als eine Pommesbude, weil diese Gaststätte dermaßen viele Stammgäste hat, dass mittags manchmal ein halbes Dutzend Autos querparken, weil Leute für ihre gesamte Kollenschaft irgendwo in der Stadt hier die Fressalien kaufen. Außerdem kann man sich auch einfach mal in diese Grillstube setzen, etwas essen, Bier aus der Flasche trinken und fernsehen, wenn man schlechte Laune oder Sorgen hat. Beides verschwindet garantiert.

Manchmal fallen mir Imbisse in der Stadt auf, die zum selben traditionellen Typus zählen und noch nicht durch irgendwelche Luxus-Currywurts-Schuppen weggentrifiziert wurden. Zum Beispiel das Ding an der Ecke Bilker Allee / Kronprinzenstraße. Oder der leicht schmierige Imbiss an der Helmholtz- / Scheurenstraße. Das alte Ehepaar, das über Jahrzehnte seine Speisen unterm Bahndamm an der Harkortstraße feilbot und eine Art Winzbiergarten anbei betrieb, musste ja dieser Tage leider aufgeben.

Bleibt die Frage an die geneigte Leserschaft: Wo kennt ihr noch solche guten, alten Schnellimbissläden? Wo holt ihr eure Pommes? Und wie sieht eure Lebensgeschichte rund um Pommes frites, Currywurst & Co. aus? Die Kommentarecke ist eröffnet!