Analyse · Unter normalen Umständen würde man nach einer Auswärtsniederlage gegen einen Mitbewerber um einen Aufstiegsplatz bloß sagen: Aufstehen, Krönchen richten, Mund abputzen, weitermachen. Aber, was ist bei der Fortuna in diesen Tagen schon normal? Okay, so richtig normal war die launische Diva ja noch nie, und Geschichte wiederholt sich bekanntlich – einmal als Tragödie, einmal als Farce. Und das lässt den Ihnen von Herzen ergebenen F95-Beobachter an die Saison 2016/17 denken, an den 31. Spieltag, an dem wir mit 0:1 in Hannover verloren. Das Tor für Hanoi schoss übrigens ein gewisser Mr. Füllkrug… [Lesezeit ca. 11 min]

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Zu jenem Zeitpunkt – da war Friedhelm Funkel schon etwas über ein Jahr als Trainer an Bord und hatte die Mannschaft in der Saison 2015/16 vor dem Abstieg bewahrt – hätten nicht mehr viele Menschen Geld daraufgesetzt dass F95 nicht absteigen oder wenigstens Relegation würde spielen müssen. Da sich auch die Fans schon fast abgefunden hatten und wegblieben, lockte der Verein die Leute mit einem Sonderangebot in die Arena: Dauerkartenbesitzer konnten weitere Tickets für kleines Geld kaufen, um sie an Freunde weiterzugeben. Das brachte gegen Würzburg immerhin 27.000 Leute ins Stadion. Das Unentschieden kam nur durch ein äußerst strittiges Tor von Julian Schauerte in der 90. Minute zustande. Und hätte die Funkel-Truppe am nächsten Spieltag nicht wider Erwarten in Nürnberg gewonnen, der direkte Abstieg wäre kaum zu vermeiden gewesen.

Bremen vs F95: Da war die Fortuna-Welt noch halbwegs in Ordnung… (Screenshot Sky)

Verglichen damit ist die Tabellenlage zurzeit relativ entspannt. Weil die Buben einfach noch genug Spiele vor der Brust haben, um ihre dauernden Leistungsschwankungen, die leider mehrheitlich nach unten ausschlagen, wettzumachen. Sie hätten damit laut der Zielvereinbarung mit Trainer Preußer bereits gestern in Bremen anfangen sollen. Zum Ende der ersten Halbzeit sah es eigentlich sogar danach aus. Dem anfänglichen Offensivwirbel der Wiesenhofkicker hielt die Abwehr ganz gut stand; besonders erfreulich die Beteiligung ALLER Offensivkräfte daran. Aufgeboten hatten die Coaches ein ziemlich klassisches 4-4-2, das sich dann aber rasch zu einem 4-3-2-1 umformte – was am Startpersonal lag.

Defensiv funktionierte diese Systematik wie gesagt ganz gut, offensiv ging so gar nichts. Null, niente, nada. Was auch mit einem äußerst schwachen Shinta Appelkamp und einem willigen, aber ständig sich falsch entscheidenden Kuba Piotrowski zu tun hatte. Na ja, okay, Kris Peterson war die ganze Zeit bis zu seinem Platzverweis auch nicht auf der Höhe seines Könnens, und Khaled Narey hatte sich ausnahmsweise einen schwachen Tag genommen. Dass Ao Tanaka als defensiver Sechser quasi den Bodzek geben musste, entbehrte nicht einer gewissen Komik. Da konnte Rouwen Hennings vorn so viel wühlen wie er wollte, irgendeine Art von Chance bekamen weder er noch andere Fortunen serviert.

Bremen vs F95: Zimbo wird zum ersten Härteopfer (Screenshot Sky)

Wobei man bei Hennings‘ Versuchen Fußball zu spielen manchmal nicht weiß, ob man weinen oder lachen soll. Einen Ball, auch einen einfachen, einfach mal unter Kontrolle zu bringen und einfach mal ganz einfach sicher auf einen Kollegen zu passen, gehörte nie zu seiner Kernkompetenz, und das wird sich nie ändern. Das lässt den guten Rouwen mittlerweile sehr altmodisch wirken. Übrigens sogar im Vergleich mit dem vergleichbaren Füllkrug vom SVW und erst recht zu Modekönig Ducksch. Die, wir werden darauf zurückkommen, erlegten die Fortuna gestern fast ganz allein.

Nun sollte man annehmen, man hätte es mit einer desolaten Abwehr zu tun gehabt, dass sich eine Mannschaft drei solche Dinger – eigentlich vier, aber eines wurde wegen einer hauchdünnen Abseitsstellung nicht anerkannt – fängt. Stimmt aber nicht. Neuzugang Nicolas Gavory, der nicht ganz überraschend als linker Außenverteidiger auflief, war dann noch der beste Mann im roten Dress. Chris Klarer war ebenfalls gut, aber derart mit der Verteidigung ausgelastet, dass man ihn nur in drei Situationen während der 90 Minuten mal vorne sah. Tim Oberdorf agierte erneut solide, hatte aber einen nicht unerheblichen Anteil am 1:0 für die Fischköppe, denn er war es, der das Abseits des späteren Torschützen minimalst aufhob.

Bremen vs F95: Mit alle Mann in der Defensive (Screenshot Sky)

Unser verehrter Zimbo Zimmermann fand im Weserstadion überhaupt nicht ins Spiel, die Zusammenarbeit mit Narey funktionierte erstmals überhaupt nicht, und überhaupt ging der Zimbo so gut wie gar nicht mit nach vorne. Überhaupt (um dieses Wort nochmal zu strapazieren): Der ganze Auftritt des aktuellen Fortuna-Teams sah irgendwie völlig unfortunistisch aus. Genauer: Die Spielerei erinnerte in keinster Weise an die guten oder halbwegs guten Auftritte der Mannschaft in der bisherigen Saison. Und das hatte einerseits individuelle, andererseits systemische Gründe.

Bremen vs F95: Da übernahm F95 kurz die Regie (Screenshot Sky)

Nehmen wir mal exemplarisch zwei Kollegen heraus: Ao Tanaka und Kuba Piotrowski. Wie kann es sein, dass sich beide nach einer Ballannahme IMMER falschherum drehen; also linksherum, wenn ein Gegner links in der Nähe ist, und rechtsherum, wenn die rechte Seite blockiert ist? Und: Warum dreht sich Kuba immer nach hinten um, wenn er den Ball bekommt? So kann kein Umschaltspiel aufkommen. Und auf Konter aus einer sicheren Abwehr zu spielen, war ganz offensichtlich der eigentliche Spielplan. Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: In 90 Minuten gelang das den Roten genau zweimal. Und nur einmal wurde ein solcher Konter zumindest mal bis zur Kante des gegnerischen Strafraums vorgetragen – ein Armutszeugnis!

Bremen vs F95: Trainer Preußer in der Pause noch guter Dinge (Screenshot Sky)

Immerhin zelebrierten die Herren mit dem F95 auf dem Hemd nicht das übliche Offensivrezept, dass ja unter Preußer immer nur aus Flanken von Flügel in die Mitte des Sechzehners besteht. Zwar führt F95 deshalb die Tabelle der meisten Flanken an, gleichzeitig liegt das Team aber bei der Anzahl Torchancen inzwischen nur noch auf Platz 14. Irgendwas stimmt da also etwas nicht. Womit wir bei den systemischen Problemen sind, die einzig und allein das Trainerteam zu verantworten hat. Die Fortuna der Saison 2021/22 ist für jeden Gegner, der schon mal das Wort „Videoanalyse“ gehört hat, leicht auszurechnen. Zu leicht. Und wenn dann die Außenduos nicht so gut drauf sind, entstehen eben keine Chancen, da kann man mit einer, mit zwei oder gar mit drei Spitzen spielen.

Angeblich soll auch das Herausholen von Standardsituationen eine Zutat der Preußer’schen Küche sein. Dieses Rennen bis zur Grundlinie hat ja auch den Zweck, Eckbälle zu provozieren. Dann muss man aber auch Kollegen an Bord haben, die gute Ecken treten können. Was soll der kantige Klarer in solchen Situationen im Fünfer, wenn die Dinger ihn nie erreichen. Wobei: An seiner Sprungkraft könnte er noch ein bisschen arbeiten. Und wenn Freistöße aus dem Halbfeld gewünscht sind und herausgeholt werden, dann müsste man entweder Leute im Kader haben, die solche Dinger auch mal aus 30 Metern Entfernung in die Bude nageln, oder man müsste eine kleine Auswahl Varianten bereitstellen.

Bremen vs F95: Der gute Neuzugang Gavory (Screenshot Sky)

In der 22. Minute gab es einen Freistoß für die Fortuna auf der rechten Seite, etwa sechs Meter von der Grundlinie und drei oder vier von der Sechzehnerlinie entfernt – quasi eine Art besser Ecke. Der Strafraum ist mit fünf Fortunen besetzt, darunter die beiden Innenverteidiger. Drei der Anwesenden stehen an der langen Ecke des Fünfmeterraums. Narey schießt und legt auf den langen Pfosten; die Kollegen sind aber derweil in die Mitte gerückt. Da passt zu oft nichts zusammen.

Dabei hatte es die Mannschaft ungefähr zu diesem Zeitpunkt verstanden, sich aus dem Dauerdruck zu befreien und das Heft des Handelns selbst zu übernehmen. Zwischen der 22. und der 42. Minuten fanden sich also wieder diese 15 bis 20 „guten Minuten“, die diese Jungs eigentlich in jedem Spiel hinkriegen. Das sind die Minuten, in denen die spielerischen Möglichkeiten aufblitzen, in denen die Zahl der individuellen Fehler sinkt, die Kreativität und auch der Mut wachsen und alle wissen, was zu tun ist. Nur in ZWEI Partien der Saison konnte das Team unter der Leitung von Christian Preußer diese Qualitäten über einen längeren Zeitraum liefern: bei den Siegen gegen den KSC und in Darmstadt.

Bremen vs F95: Die beiden werden keine Freunde mehr (Screenshot Sky)

Immerhin sah Preußer zu Beginn der zweiten Halbzeit halbwegs zufrieden aus. Immerhin stand – gegen die auch nicht wirklich überzeugenden Bremer – wie erwünscht die Null. Offensichtlich hatte der Trainer für die zweite Hälfte mehr Kampf, mehr körperlichen Einsatz, ja, auch mehr Härte gefordert. Denn nun gingen die Roten beherzter zur Sache. Zumal Rouwen Hennings nach den Vorfällen beim Hinspiel mit dem Spieler Toprak noch einen Vogel zu rupfen hatte. Der bekam, nicht nur vom Rouwen, einiges auf die Socken, die dann auch Löcher aufwiesen.

Die mögliche Anordnung hatte der Schweder Peterson allerdings deutlich missverstanden. In der 58. Minute grätschte er einen Werderaner an der Außenlinie völlig unkontrolliert um. Weil der dabei dessen Verletzung billigend in Kauf nah, zeigte ihm der ordentlich pfeifende Schiri Reichel eine absolute berechtigte rote Karte. Bis dahin war der Unparteiische ganz ohne gelbe Karten ausgekommen und hatte die Sache voll im Griff. Dass später zwei potenzielle Abseitssituationen spielentscheidend durch die kölschen Grottenolme beurteilt werden mussten, schmälert diese Refereee-Leistung nicht.

Bremen vs F95: War kein Abseits, also 1:0 (Screenshot Sky)

Fortuna hatte also einen Mann weniger auf der Wiese, was man aber bis zur 68. Minute nur daran spürte, dass die Roten nun offensiv gar nicht mehr stattfanden. Werder Bremen setzte dagegen zunehmend auf ihr Tandem des Schreckens, also Füllkrug und Ducksch, die nun absolute Narrenfreiheit bekamen und diese nutzten. Nach einer kurz ausgeführten Ecke landete das Ei auf Füllkrug, der einnickt. Der Linienmann hat aber sein Fähnchen gereckt. Tatsächlich stand ein SVW-Kollege deutlich im Abseits, griff aber nicht ein und irritierte auch Keeper Kastenmeier nicht. Und Tim Oberdorf hatte das Pech, eine Abseitsstellung des späteren Torschützen durch eine Körperbewegung aufzuheben.

Bremen vs F95: War Abseits, also kein Tor (Screenshot Sky)

Das 1:0 förderte natürlich das Offensivspiel der Bremer noch mehr. Nur sieben Minuten später landete das Ei wieder in Flos Gehäuse. Dieses Mal hatte Ducksch aber seine Fußspitze jenseits der ominösen Linie, und der VAR-Keller schlägt vor, den Treffer nicht zu geben, was Schiri Reichel auch umsetzt. So richtig ins Schwimmen gerät die Fortuna aber erst nach der 79. Minute, in der die Coaches einen Dreifachwechsel anordnen. In der 72. Minute war schon Tony Pledl für den schwachen Shinta Appelkamp ausgetauscht. Nun kommen Cello Sobottka, Dawid Kownacki und Robert Bozenik für Tanaka, Piotrowski und Hennings – ein nicht unlogischer und ziemlich mutiger Wechsel, der zu einer radikalen Systemumstellung führt.

Denn nun bildet sich hinten eine Fünferkette (beziehungsweise eine 4+1-Reihe mit Cello als defensivem Sechser), vorne arbeiten nun Kownacki und Bozenik mit Narey als einzigen Flügelmann, und das Mittelfeld besteht praktisch nur noch aus Pledl. Deutlicher kann man nicht machen, dass man nur noch auf Konter setzt. Nur zwei Sachen haben Preußer und Stefes nicht bedacht, nämlich, dass ihre Spieler eine Weile brauchen, das Konzept real umzusetzen, und dass ein leeres Mittelfeld dem Gegner viele Möglichkeiten für das Umschaltspiel eröffnet.

Bremen vs F95: Hennings geht beim Dreierwechsel in der 79. (Screenshot Sky)

So fällt das 2:0 für den SVW beinahe zwangsläufig und zwar durch einen sauberen Angriffszug der Bremer, dem die noch desorientierten Fortunen nichts entgegenzusetzen haben. Auch Flo Kastenmeier, der im Spielverlauf zwei-, dreimal prima hielt, hatte da keine Chance mehr. Fast noch zwangsläufiger das 3:0 in 87. Minute, dass aus einem schwachen Pass vom mittlerweile eingewechselten Flo Hartherz resultiert. Dabei hatten es sich die Bremer schon im Zwei-Tore-Vorsprung gemütlich gemacht und den Gästen ordentlich Raum gegeben. Da sah es ein paar Minuten lang so aus, als könnten die Düsseldorfer sogar noch einen Anschlusstreffer markieren.

Nach dem 3:0 ging dann gar nichts mehr. Im Gegenteil: Der SVW hätte nach einer Ecke noch erhöhen können. Wie das alles so kommen konnte, erklärt – jenseits der Schwächung durch die rote Karte gegen Peterson – die Statistik. Nur VIER Schüsse in Richtung Tor stehen in der Bilanz der Fortuna, dazu aber NULL Torschüsse, also das, was man als „Chance“ bezeichnet. Die Passquote ist mit 74 Prozent wieder äußerst bescheiden, und nachdem F95 in der Pause noch die bessere Zweikampfquote hatte, holte der SVW am Ende in dieser Disziplin dann noch ein Remis. Dass die Düsseldorfer mit einem Mann weniger auf etwa dieselbe Gesamtlaufstrecke kamen wie die Bremer, ist der einzige Lichtblick des ganzen Spiels.

Bremen vs F95: Das 2:0 nach großer Wechselkonfusion (Screenshot Sky)

Und nun? Jetzt können die Wutfans nicht einmal mehr dem Uwe Klein die Schuld geben, denn der ist ja weg. Übrigens nicht wegen seiner angeblich verfehlten Kaderplanung, sondern wegen seines nicht mehr akzeptablen Verhaltens intern und in der Öffentlichkeit. Jetzt muss der junge Christian Preußer damit leben, dass er die Verantwortung für die verkorkste Saison fast allein tragen muss, und das wird er auf dem Patex-Stuhl nicht überleben, das ist absehbar. Aber so langsam richtet sich der Unmut der Anhänger:innen der glorreichen Fortuna auch auf Klaus Allofs, den Heilsbringer, der dem Verein ja nun in seiner bisherigen Amtszeit so gar kein Heil gebracht hat – eher im Gegenteil. In der Ära Allofs ist rund um die Mannschaft nichts, aber auch gar nichts besser geworden. Retten kann ihn nur noch die Installation eines Sportdirektors, der genau das liefert, wozu Klaus Allofs anscheinend nicht in der Lage ist.

Bremen vs F95: 3:0 – der Deckel ist drauf (Screenshot Sky)

Es ist ja nicht nur der mögliche Abstieg, der das fußballerische Leben der Fortuna gefährdet, sondern die Tatsache, dass sich immer mehr Fans von der Mannschaft abwenden. Dank der Corona-Pandemie wird man die dieses Mal auch nicht in die Area locken können, um durch bedingungsloses Anfeuern das Team auf fortuna-typische Weise noch einmal so unter Strom zu setzen, dass die Burschen doch die Kurve kriegen. Diese Perspektive ist genauso beängstigend wie die Tatsache, dass es – in welcher Liga auch immer – zur Saison 2022/23 wieder zu einem massiven personellen Umbruch kommen wird, weil sich erneut bis zu neun Spieler verabschieden und durch neue Kicker zu ersetzen sein werden. Das Heil kann dann nur noch (endlich!) im Einbau von noch mehr Jungs aus dem eigenen Nachwuchsleistungszentrum liegen. Im Prinzip wäre Preußer für solch einen radikalen Neustart der richtige Trainer, aber der wird dann gar nicht mehr dabei sein.