[Am 20. Mai 2020 jährt sich der Todestag des Oberbürgermeisters Joachim Erwin zum zwölften Mal. Damals erschien dieser Nachruf auf dem Vorgänger-Blog „Rainer’sche Post“, das sich oft und hart an ihm gerieben hat. Der folgende Beitrag ist eine leicht gekürzte, bearbeitete und aktualisierte Version.] Wer war dieser Joachim Erwin? Am ehesten lässt er sich als typischer Aufsteiger porträtieren, der durch Protektion die ersten Karrierestufen nahm. Weitestgehend in Vergessenheit geraten ist, dass der großmäulige Junge-Union-Aktivist mit dem Juristenabschluss seinen Weg der Tatsache verdankt, dass er ab Mitte der Siebzigerjahre unter dem persönlichen Schutz der Landtagsabgeordneten Maria Hölters stand. Diese hochkatholische Kriegerwitwe hatte sich des ehrgeizigen jungen Mannes angenommen, da ihr eigener Sohn einige Züge eines Versagers aufwies. Maria Hölters, die zeitlebens darauf bestand als MdL (Mitglied des Landtags) angesprochen zu werden, hatte in den Fünfzigerjahren mit dem ASG Bildungsforum ein eng an die katholische Kirche gebundenes Weiterbildungsinstitut gegründet – Joachim Erwin übernahm zeitweise anstelle des Hölters-Sohns die Geschäfte.

Joachim Erwin auf einem Wahlplakat von 1990 (siehe Bildnachweis)

Nun muss man zum Verständnis der weiteren Ereignisse die Anatomie der Düsseldorfer Christdemokratie betrachten, die sich nie als geschlossene Einheit präsentierte. Maria Hölters stand für den katholischen, aus der Zentrumspartei entstandenen Arm der Bewegung, dem die jungen Sozialmarktwirtschaftler entgegen standen. Dass nun ausgerechnet der aus Thüringen stammende Protestant auf dem katholischen Ticket reiste, überrascht zunächst. Das Bindeglied lässt sich bei der näheren Betrachtung des erwin’schen Menschen- und Gesellschaftsbilds schnell ausmachen. Im Stile der katholischen Soziallehre unterteilte er die Welt in die, die machen, und die, mit denen gemacht wird. Er selbst zählte sich selbstverständlich zu den Machern, und mancher Kommentator hielt diesen gnadenlosen Pragmatismus für visionär. Dass Erwin später zum überzeugten Anhänger der neoliberalen Wirtschaftslehre und damit zu einem der radikalsten Anhänger der Privatisierung in der Lokalpolitik wurde, überrascht da nicht. Diese Weltsicht muss als typisch für Aufsteiger gesehen werden, denn das war Joachim Erwin.

10.92004: Joachim Erwins Multifunktionsarena beim Soft-Opening

Wie viele Aufsteiger trieb ihn vermutlich eine tiefe Sehnsucht nach Bürgerlichkeit. So wundert es nicht, dass seine Politik durchweg dazu geeignet war, das Wohlergehen der traditionell bürgerlichen Kreise zu steigern. Alles was anderen Sozialvorstellungen anhing oder gar andere Gesellschaftsformen vertrat, war ihm nicht nur suspekt. Menschen, die nicht seiner Ansicht waren, diffamierte er methodisch. So nannte er den PDS-Ratsherrn Laubenburg öffentlich einen verrückten Kommunisten und bezeichnete Vorschläge der grünen Fraktion als geisteskrank. Gleichzeitig umgab er sich mit Mitarbeitern, die grundsätzlich nicht ganz kompetent für die ihnen zugeteilten Aufgaben waren – ein beliebtes Mittel, Menschen von sich abhängig zu machen, denn wer permanent über seinen Fähigkeiten arbeitet, der ist von Angst getrieben. Wie überhaupt das Spiel mit versteckten Drohungen zur Vorgehensweise des Joachim Erwin zählte. Man kann davon ausgehen, dass seine Theorie die war, dass jeder Mensch Flecken auf der Weste habe, die man nur entdecken müsse. Gerüchte besagen, dass er auf Basis dieser Theorie etliche Dossiers über mehr oder weniger einflussreiche Menschen der Stadt anlegen ließ.

Joachim-Erwin-Platz, nachts

Das Prinzip der Einschüchterung begleitete er mit dem kreativen Umgang mit Fakten und notfalls dem Spiel auf der juristischen Klaviatur. So erarbeitete sich Joachim Erwin zu Beginn seiner Amtszeit als OB eine zwar angreifbare, letztlich aber nie gefährdete Machtposition. Widerstand aus den eigenen Reihen kam von keinem CDU-Politiker – vermutlich weil alle froh waren, dass die Stadt von einem Christdemokraten regiert wurde, vielleicht aber auch aufgrund von Einschüchterungen der subtilen Art. Joachim Erwin war ganz offensichtlich ein Getriebener, ein Mann mit vielen Symptomen der Machtsucht. Sein Leben, so weit es öffentlich bekannt ist, war eine Abfolge von karriereförderlichen Entscheidungen. So auch die Ehe mit Hille Erwin, geborene Schüssler, durch die er Teil des Schüssler-Clans wurde. Diese lange strikt patriarchalisch geführte Familie wird durch die Firma Schüssler Plan repräsentiert – einem Unternehmen, dass spätestens seit der Amtseinführung von Erwin an praktisch jedem Bauvorhaben der Stadt beteiligt ist. Die familiäre Verbindung eines OB, der Chef der Verwaltung ist und sich zudem vordringlich mit Bauvorhaben beschäftigt, mit einem derart in der Stadt verankerten Planungshaus wurde von vielen Beobachtern als zumindest unappetitlich bewertet.

War lange die Macht an sich Erwins Lebensziel, lenkte seine im Jahr 2003 diagnostizierte Krebserkrankung seine Interessen auf andere Dinge. Es scheint, als habe er seitdem nur noch an seinem persönlichen Nachruhm gearbeitet. Im Stile eines Pharaonen betrieb er dies durch eine Reihe umstrittener Bauvorhaben – vielleicht in der Hoffnung, man möge seiner angesichts von Arenen, Einkaufszentren, Luxushotels und Bürotürmen gedenken und ihn osothum nicht als den OB zu betrachten, der sich mit einer gescheiterten Olympiabewerbung und die durch persönliches Ungeschick entgangenen Fußball-WM-Spiele 2006 lächerlich gemacht hat.

Nein, Joachim Erwin war kein sympathischer Mensch, auch weil ihm der Sinn für einen Humor ohne Schadenfreude und Demütigung abging. Er wusste hart auszuteilen, reagierte aber auf Angriffe vorwiegend juristisch. Joachim Erwin wird eher als gefürchteter, denn als geliebter Oberbürgermeister der Stadt Düsseldorf in Erinnerung bleiben. Dies auch verursacht durch seinen Bestreben, im Amt zu sterben, und nach der Erkrankung nicht zu versuchen, das andere, friedliche und harmonische Leben kennen zu lernen.

[Bildnachweis – Wahlplakat: von der Konrad-Adenauer-Stiftung der Wikimedia zur Verfügung gestellt unter der Lizenz CC BY-SA 3.0 DE]