Beim Heimspiel vorgestern habe ich mich nach längerer Zeit mal wieder auf der Süd rumgetrieben. Aus Gründen kann ich mich da ja von Block zu Block frei bewegen. Da war ich auch eine Weile im 35er. Also direkt neben den Ultras. Die sind ja aus der Kurve hinters Tor ungezogen. Gab’s ja lange Diskussionen und Tausend Argumente pro und contra. Ich persönlich versteh den ganzen Aufstand nicht. Da wird mit einer Ernsthaftigkeit drüber diskutiert, als ginge es um den Einstieg eines Investors bei der Fortuna. Aber die ganzen Debatten und das erhebliche Drumherum haben mich in meiner uralten Meinung bestärkt: Ultras nehmen sich zu wichtig. Immer. Als geborener Engländer, der mit dem englischen Fußball der Achtziger aufgewachsen ist, versteh ich diesen ganzen Ultra-Quatsch sowieso nicht. Hab aber auch nichts dagegen. Besonders wenn ein cleverer, inspirierter und charismatischer Kapo am Werk ist. Hatten die F95-Ultras ja mal. Damals in den schönen Aufstiegsjahren.

Nun ist da einer Vorturner, den ich – vorsichtig ausgedrückt – eher langweilig finde. Vielleicht ist das aber auch genau richtig so, weil es bei dem, was Ultras „Support“ nennen, ja immer um Rituale geht. Also um Handlungen, die man immer und immer wieder mit großem Ernst macht, ohne dass es einen erkennbaren Grund gibt. Bei den Liedern finde ich das sogar ganz schön. Hatten wir in England ja auch, also Gesänge. Mein Dad hatte ein ganzes Liederbuch von Leeds United. Aber da wär keiner auf die Idee gekommen, sich auf einen erhöhten Platz zu stellen, um den Lads zu sagen, was sie singen sollen.

Dieser ganze Ultra-Kram

Diese ganze Ultra-Kram kommt ja aus Italien. Oder – wie mir mal ein Kenner erklärte – eigentlich aus Ex-Jugoslawien. Das Prinzip war, dass da haufenweise Boys eine Zeitlang ihr ganzes Leben in den Dienst der Anfeuerung stellen. Das heißt: Nichts ist wichtiger, als Woche für Woche mit den anderen Ultras zu den Spielen der eigenen Mannschaft zu gehen, um die dann bedingungslos anzufeuern. Sollen ja früher viele ihr Ultra-Sein weit über Beruf und Familie gestellt haben. Kann ich nicht beurteilen. In England gibt’s das so nicht. Und in Deutschland auch erst seit 15, 18 Jahren. Kam nach dem Ende der großen Hools-Ära, an die ich mich persönlich, ähem, gut und gerne erinnere. Da war in den Stadien nicht viel los mit Support. Außer irgendwelche fröhlichen Kerle standen immer zusammen und sangen.

Als die Fortuna noch am Flinger Broich spielte, erzählte mir einer, habe man den Block A die „Singing Area“ genannt, weil dort eine Mischung aus mittelalten Fans, alten Kuttenträgern und stimmgewaltigen Hools immer gestanden und gegrölt haben. Kam mir sehr englisch vor. Aber auch noch im Paul-Janes-Stadion sind dann wohl so um 1998 herum die ersten Burschen aufgetaucht, die sich Ultras nannten. Und die haben a) immer Trommeln dabeigehabt, haben b) ununterbrochen gesungen und c) superviele Fahnen und Transparente gezeigt. In der Singing Area wurde nur gesungen, wenn getrommelt, noch gewedelt.

Maximal uninspiriert

Nun stand ich also erst im 35er, später im 40er und noch später ganz außen in 42b, also dem ehemaligen Standort der F95-Ultras. Muss sagen: Die Trommeln gehen mir tierisch auf den Sack. Auch weil die Burschen, die daran herum pauken, so dermaßen kein Rhythmusgefühl haben. Und weil die viel zu laut trommeln. Aus der Kurve heraus hat man das komischerweise kaum gemerkt. Aber jetzt klauen einem die Trommeln jede Chance, mitzusingen ohne aus dem Takt zu kommen. Der Vorsänger hat übrigens auch kein ausgeprägtes Taktgefühl, aber das stört nicht weiter.

Ist übrigens immer noch so ein heikles Thema, Ultras zu kritisieren. Die sind da höchst empfindlich. Dann heißt es immer: Sprecht und doch direkt an. Wir treffen uns jeden Dingsbums da und dort. Außerdem wird Kritik am Support gleich immer „Ultra-Bashing“ genannt. Bin ich weit entfernt von. Ich mag’s bloß nicht. Leider glauben aber viele von denen, sie seien quasi das Herz der Anfeuerung, die Seele des Supports. Kann sein, dass es in den diesen herrlichen Fortuna-Jahren zwischen 2006 und 2012 so war. Ist es aber nicht mehr. Je mehr der ganze Kram zum Ritual wird, desto unwichtiger wird er auch. Und wenn dann die aktuellen Akteure auch noch so uninspiriert sind, dann machen sie sich bald überflüssig.

Was dann?

Die Verteidiger der Ultras sagen bei diesem Pessimismus immer: Ja, aber was kommt dann, wenn die Ultras weg sind? Erstmal werden die Ultras nie „weg sein“. So wenig wie die ganzen Kutten, die diversen Oldschooler und die Hools weg sind. Zweitens wird sich die Art der Anfeuerung ändern. Und das tut sie bei der Fortuna auf der Süd ja jetzt schon. Beispiel: Der Kapo stimmt eines dieser Beerdigungslieder an, mit denen man die ganze Tribüne einschläfern kann. Nach ein paar Minuten singen nicht mal mehr alle Leute im Ultras-Block mit. Plötzlich nehmen sich ein paar Typen oben im 160er den Mut und stimmen „Die Fortuna ist mein Verein“ an. Und schon singen alle Stehplätzler mit. Das hält nie lange an. Aber wenn es keinen organisierten Support durch Ultras mehr gäbe, dann würden solche spontanen Anstimmungen vermutlich öfter passieren.

Historisch betrachtet waren Ultra-Gruppierungen und ihre Art der Anfeuerung für das Leben in den Stadien sehr inspirierend. Mir scheint auch, dass ihre Art, die Mannschaft zu unterstützen, auswärts immer noch sehr wichtig ist. Aber mir scheint auch, dass die Ultra-Ära im deutschen Fußball langsam zu Ende geht. Wie immer im Fußball kommt dann was Anderes. Können wir gespannt drauf sein.