Jetzt feiert Düsseldorf ein Jahr Ela. Um unter den Ersten zu sein, begannen die absterbenden Lokalblätter bereits an Pfingsten mit der Erinnerungslyrik – schließlich war es ja ein Pfingstmontag, an dem dieser gewaltige Orkan wie eine Faust in die hiesige Kulturbotanik schlug. Nur dass Pfingsten 2014 deutlich später lag. Aber was macht man nicht alles, um die abwandernden Leser bei der Emotion zu packen. Wie ja das Naturereignis zwei grundverschiedene Seiten hat: die persönlich-individuelle und die öffentliche. Im Privatbereich häufen sich tausende Berichte darüber, wie die Katastrophe erlebt wurde, garniert mit Millionen mehr oder weniger aussagefähigen Fotos. Das alles schon ab der Stunde Null auf allen Sozialkanälen. Kurz brandeten Diskussionen zwischen denjenigen auf, die über Dutzende zerstörter Autos weinten, und denen, die froh waren, dass so wenige Menschen getötet wurden oder zu Schaden gekommen waren. Höchste Betroffenheit kam von den alten Düsseldorfern, also den Eingeborenen, die schon immer hier lebten, denn die sahen die Kulissen ihrer Kindheit zerstört. Unvermeidbar wohl auch die Sensationsgeilen, die am Tag danach Selfies vor Baumleichen anfertigten oder den Aufräumkräften im Weg standen.

Schnell bildeten sich Floskeln und Phrasen aus, die dann ab Tag 3 die öffentliche Diskussion beherrschten. Die schöne Natur – zerstört! Natürlich ist jeder Baum ein Stück Natur, wie ja auch jeder Mensch ein Stück Natur ist. Aber das was durch Ela fiel, waren fast durchweg von Menschenhand gesetzte Bäume, mithin Kulturstücke. Die Natur kam in Gestalt eines Orkans, der in einem relativ schmalen Korridor zuschlug – beginnend südwestlich von Neuss, durchschlagend bis ungefähr ans Nordostufer des Baldeneysees. Am schlimmsten getroffen hat es ausgerechnet die Ölgangsinsel, ausgerechnet das naturbelassenste Stückchen Forst in diesem Korridor. Noch heute, ein Jahr nach dem Sturm, wird dort Holz aus dem Gebiet geholt, fast 80 Prozent aller Bäume sind gefallen oder wurden gefällt. Einen ähnlich starken Einschlag gab es nur noch im Aaper Wald unweit der Galopprennbahn.

Natürlich betrifft es die Düsseldorfer mehr, dass die Parks und Alleen dermaßen zerfetzt wurden. Der Hofgarten im Teil zwischen Maximillian-Weyhe-Allee und Ehrenhof hat für immer sein Gesicht verloren, die wunderschöne Allee unterhalb des Wasserwerks Am Staad ist zerschmettert, und im Volksgarten sind die schönsten und ältesten Bäume weg. Man kann das, wie von öffentlicher Seite geschehen, in nüchterne Zahlen packen, wobei die Angaben variieren: mindestens 30 Prozent aller Bäume im Stadtgebiet wurden umgerissen oder mussten gefällt werden. Und sofort ging man ans Thema Aufforstung. Für den damals noch nicht gewählten OB war die Katastrophe ein gefundenes Fressen, weil er sich emotional positionieren konnte – wozu sein Konkurrent vor der Stichwahl nicht in der Lage war. Und dann forderte die Stadt ihre Bürger auf, für das Neusetzen von Bäumen zu spenden. Dieselbe Stadt, die gern heimlich und am frühesten Morgen Bäume fällt, die irgendwelchen Bauprojekten im Wege stehen. Nicht wenige Einheimische reagierten so: Wenn die Stadtverwaltung auf ewige Zeiten garantiert, dass die Bäume, die dank meiner Spenden gepflanzt werden, niemals durch ebendiese Verwaltung gefällt werden, kann man mal müber Spenden reden. Derlei Gedankengängen lagen Promis wie dem unvermeidlichen Campino, dem netten Axel Bellinghausen und dem Erzdüsseldorfer Josef Hinkel offensichtlich fern als sie für eine Plakatlampagne posierten, mit der Bürger zum Spenden animiert werden sollten.

Immerhin regten die Orkanfolgen eine wichtige Diskussion über Bäume auf Deichen an, einer pittoresken Einrichtung, die man im Mutterland des Deiches, also in den Niederlanden, nirgendwo finden wird. Weil’s aus flutschutztechnischen Gründen einfach Quatsch ist. Eine Allee auf einem Deich – wie am Rheinpark in Neuss – sieht hübsch aus, schwächt aber den Deich. Und zwar so nachhaltig, dass je größer die Bäume, desto schwächer der Schutz. Nun erlebt Düsseldorf im Gegensatz zum südlich gelegenen Domdorf ja selten bedrohliche Hochwässer, aber wenn’s mit dem Klimawandel so weiter geht und die A61 zur Küstenautobahn wird, könnte sich das ändern. Und dann würden wir alle froh sein über stabile Deiche.

Schön profilieren können sich Unternehmen mit gespendeten Bäumen. Und jede Dezenz ablegen. Wie die Messegesellschaft, die an der erwähnten Allee beim Wasserwerk ein gutes Dutzend Jungbäume setzen ließ. Mit giftgrünen Latten markiert und jeweils mit einem Schild versehen, wer die neue Natur bezahlt hat. Das kommt so ähnlich daher wie die Leute, die für kleines Geld aus Sturmbruch gesägte Frühstücksbrettchen erwarben, sich damit selfierten und so als Gutbürger outeten.

Ein Jahr nach Ela sind die rein technischen Folgen noch überall sichtbar, auch wenn gerade die Parks nach der Belaubung wieder fast so aussehen wie früher und nur rasenfreie Flächen an die Standorte gefallener Riesen erinnern. Aber immer noch sitzt der Schrecken vielen Düsseldorfern in den Knochen, die bei stärkeren Windböen inzwischen immer leicht nervös werden. Wenn Sommerorkane wie der vom 09. Juni 2014 dank des Klimawandels öfter mal vorbeischauen, wird Ela nicht der letzte Sturm sein, der uns trifft.