…der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Es dauert bis er sein Verhalten ändert. Und da nutzt es auch nichts, wenn man ihn anschnauzt. Es braucht ein paar Minuten, Stunden oder vielleicht sogar Tage bis auch der/die Allerletzte verstanden hat, was es mit diesem Corona-Dings auf sich hat und wie man sich als verantwortungsvolle/r Bürger*in verhalten soll. Diese Spätmerker aus einer Position der moralischen Überlegenheit virtuell dauernd anzuschnauzen, bringt nichts. Aus derselben selbstgerechten Haltung heraus Ausgangssperren zu fordern, ist mindestens egoistisch, wenn nicht asozial.

Natürlich kriegen Otto und Tina Normaldüsseldorfer den Mund kaum noch zu, wenn sich – wie am Mittwoch geschehen – mehrere Hundert Feierabendbiertrinker am Fortunabüdchen versammeln und die schulfreie Jugend auf den Rheinwiesen Grillpartys inszeniert. Zwei Dinge sollte man sich als jemand, der das BLEIBZUHAUSE diszipliniert befolgt, aber bedenken:

Erstens leben nicht alle Menschen in derselben Filterblase; weite Bereiche der jungen Bevölkerung haben sich vom von vielen für selbstverständlich gehaltenen Nachrichtenstrom völlig abgekoppelt. Omas und Opas Linear-TV samt Tagesschau und heute-Nachrichten wird weiträumig ignoriert, irgendwelche News-Portale auch, und Zeitung liest diese Generation schon gleich gar nicht. Ihr Wissen über den Zustand der Welt beziehen sie aus YouTube-Clips, aus Instagram und ihren WhatsApp-Filterblasen. Über diese Kanäle kriegt man nicht wirklich mit, dass derzeit ein epische Pandemie den Globus quält. Geben wir den Verwirrten doch einfach ein wenig Zeit. Das gilt auch für die Komfortrentner*innen, die sich am schönen Wetter erfreuend dicht an dicht vor Cafés und Eisdielen ballen.

Zweitens ist es ziemlich einfach, aus der 100-Quadratmeter-Wohnung, die man mit der/dem Partner*in kinderlos teilt, zu fordern, die Leute sollten jetzt aber verdammt nochmal zuhause bleiben, wenn das Zuhause der so angebrüllten Person eben nur 40 Quadratmeter (ohne Balkon) hat. Wollen die überheblichen Gutverdiener einer alleinerziehenden Mutter allen Ernstes verbieten, in den Zeiten von Schul- und Kita-Schließungen nach draußen zu gehen, an die frische Luft, um den Kindern wenigstens ein wenig Bewegungsfreiheit zu gönnen? So betrachtet ist es klug, dass die Verantwortlichen im Bund und in den Ländern (das archaische Bayern mit dem machtsüchtigen Söder mal ausgenommen) auf Ausgangssperren verzichten.

Vielleicht sollten diejenigen, die sich jetzt über Feiernde auf den Wiesen und in den Parks aufregen, es auf sich nehmen, zu diesen Menschen hinzugehen und ihnen ruhig und sachlich zu erklären, was ihr Verhalten bewirken kann – dass sich die Omma infiziert und dann bald abtritt statt erst in vier, acht, zwölf Jahren.

War es erst mediengemachte Hysterie und Panikmache, haben Vernunft und Solidarität in den letzte Tagen auf breiter Front Einzug gehalten. In unserem Mehrfamilienhaus mit über 24 Einheiten hängen Zettel an den Haustüren, mit denen junge Mitbewohner Mitglieder der Risikogruppen im Haus Hilfe anbieten. Bis auf wenigen Arschlöcher, die weiter hamstern, verhalten sich die Käufer*innen in den Düsseldorfer Supermärkten zunehmend diszipliniert und zeigen den unermüdlichen Mitarbeiter*innen der Läden ihre Dankbarkeit. Restaurants bieten genau den Leuten, die trotz Epidemie täglich ihre Frau bzw. ihren Mann stehen müssen, kostenloses Essen an, das sie dann auch noch liefern. Jeden Tag gibt es mehr gute Nachrichten aus Düsseldorf, die zeigen, dass sogar Menschen in einer Großstadt bereit, willens und in der Lage sind, Schwächeren und Ärmeren zu helfen.

Darauf kann man als Bürgerin und Bürger dieser schönen kleinen Großstadt stolz sein.