Vorweg: Ich bin auf eurer Seite! Ich fahr gern Rad. Wann immer ich nicht gerade zwei Hunde mit dem Auto durch die Gegend kutschiere (Warum muss ein Städter auch zwei Köter haben?), radle ich durch unsere schöne Stadt. Obwohl ich extrem spät das Radfahren gelernt und als Jugendlicher aus verschiedenen Gründen keinen eigenen Drahtesel besaß, bin ich nun schon seit 1978 Stadtradler. Damals war die Nutzung eines Velos als urbanes Individualverkehrsmittel noch ein echtes Abenteuer. Ja, es gab Radwege, aber die waren kurz, schmal, blödsinnig angelegt und lebensgefährlich. Ansonsten stürzte man sich eben in den mordlüsternen Autoverkehr. Aber, damals waren Stadtradfahrer noch eine ziemlich eingeschworene Gemeinschaft.

Aus Spaß fuhr man nicht. Quietschbunte Presswürste jenseits der Fünfzig auf sündhaft teuren Hightech-Fahrmaschinen machten noch nicht die Landstraßen unsicher, durchgeknallte Mountainbiker zerwühlten noch nicht die Wälder und Fluren, und selbst Fahrradkuriere gab es noch nicht. Typische Radler waren ältere Frauen und Männer, die immer schon Rad gefahren sind, keinen Führerschein besaßen und mit Autos wenig anfangen konnten. Und eben die paar Öko-Freaks, die tatsächlich glaubten, Verbrennungsmotoren würden die Luftverschmutzung der Städte beschleunigen. Ja, wir hatten ein Auto, das aber ausschließlich für weitere Fahrten an Orte, die mit der Bundesbahn schlecht erreichbar waren, oder für die damals obligatorischen Urlaubsreisen in die europäischen Nachbarländer genutzt wurden.

Wir träumten von der autofreien Stadt. Muss man sich mal vorstellen: 1982 oder 1983 blockierten eines Sonntags ein paar Dutzend Radler – angestiftet von den hiesigen Grünen – den ganzen Vormittag lang die Dorotheenstraße zwischen Grafenberger Allee und Dorotheenplatz. Die Demo war angemeldet, und die Düsseldorfer Autofahrer lagen noch in den Betten und kriegten nichts mit. Heute heißt das „Critical Mass“ und findet einmal im Monat statt. Die Probleme, die wir Radfahrer in den Achtzigerjahren hatten, gibt es auch heute noch. Allerdings haben sich in den 40 Jahren schon einige Dinge verbessert (in 40 Jahren, ha, ha, ha…).

Nur, eine eingeschworene Gemeinschaft sind Radler schon lange nicht mehr. Je mehr Bürger*innen den Sattel für sich entdeckt haben (und nach Schätzungen soll es aktuell beinahe dreimal so viele Stadtradler geben wie um 1980 herum), desto mehr zerfällt die Gruppe in Teilgruppen. Was aber schlimm ist: Je größer die Zahl der Menschen auf unmotorisierten Zweirädern in der Stadt wird, desto mehr ähnelt das Verhalten vieler dem der Autofahrer. Es heißt: Jeder gegen jeden. Pkwisten gegen Radler, Radler gegen Fußgänger, Rennradler gegen den Rest der Welt, Lastradfahrer gegen alle und so weiter. Man sieht Typen auf Rädern, die gab’s früher nicht. Zum Beispiel diese einsamen Krieger (alles Männer), gern schwarz gekleidet und mit leichter Vermummung, die auf irgendeinem Kreuzzug sind und alles in Grund und Boden fahren, was sich ihnen Weg stellt. Oder die Verbohrten, die partout im Berufsverkehr im gemütlichen Tempo eine Spur einer stark befahrenen Straße blockieren, obwohl in der Parallelstraße ein feiner Radweg für sie bereitliegt.

Vieles hat damit zu tun, dass sich ein nicht kleiner Teil der Stadtradfahrer den motorisierten Verkehrsteilnehmer für moralisch überlegen halten. Kennt man ja generell von Leuten, die sich eines umweltbewussten Lebensstils meinen zu bedienen, dass ihr ökologisch sinnvolles Tun durch den ständigen Moralzeigefinger schier unerträglich macht. Bei manchen geht diese moralsauere Hochnäsigkeit so weit, dass sie sich Rechte auf Kosten Schwächerer nehmen – beispielsweise durch Befahren von Gehwegen, neuerdings auch mit extrabreiten Lasträdern. Dass Autonarren die Konflikte zwischen den verschiedenen Geschmacksrichtungen Verkehrsteilnehmern durch ihr Denken und Handeln befeuern, ist ein alter Hut. Dass ein erschreckend hoher Anteil Radfahrer dies inzwischen auch tut, ist erschreckend.

Also, liebe Radfahrer in der Stadt, seid zum Rest der Verkehrsgemeinde so nett und rücksichtsvoll, wie ihr euch das von Autofahrern wünscht. Und: Bitte achtet besonders auf die schwächsten Teilnehmer am urbanen Verkehrsgeschehen – denn die haben ja in Gestalt der E-Roller-Fahrer weitere Feinde bekommen, die ihnen gefährlich werden.