Meine Leben ist zum großen Teil auch lesen. Das fing früh an. Mein Vater war – wie es damals üblich war – Mitglied im Bertelsmann-Buchclub. Da er interessiert an Literatur war, aber in Folge seiner Kriegsbiografie wenig gebildet, wählte er die Bestellungen nach Themen aus. Wobei er US-amerikanische Autoren bevorzugte, denn er war ein großer Ami-Freund. Hinzu kamen die üblichen Schinken wie „Krieg und Frieden“ und diese Historienromane mit mehr als 1000 Seiten. Zu den vielleicht dreißig dicken Büchern hatte ich freien Zugang. Da fiel mir mit acht oder neun „Jenseits von Eden“ von John Steinbeck in die Hände. Ich las und vergaß, dass ich las. Dieser umfangreiche, ergreifende Roman hat mein Leseleben nachhaltig geprägt. Allerdings habe ich ihn nie wieder gelesen. Stattdessen waren es „Straße der Ölsardinen“ und „Wonniger Donnerstag“ von Steinbeck, die mich ihn lieben machten. Nun hab ich dieser Tage darüber nachgedacht, welche Romane eine ähnliche Rolle für mich gespielt haben. Und da lag es nah, hier wieder eine Abfrage zu starten: Welche 20 Romane haben DICH geprägt?

Die Regeln sind einfach, aber hart. Es gelten nur Romane, Novellen und Erzählungen, die als eigenes Buch erschienen sind. Trilogien und dergleichen können wie ein Titel behandelt werden. Jede/r Schrifsteller/in darf in der Liste nur EINMAL vorkommen. Ich weiß selbst, dass es für passionierte Romanfresser fast unmöglich ist, sich auf 20 Titel zu beschränken, aber du kannst es ja mal versuchen.

Als Anregung hier meine unsortierte Liste mit Anmerkungen:

Herman Melville – Moby Dick: Später war ich Stammgast in der Stadtbücherei an der Blücherstraße, wo mich die damalige Leiterin gern beriet. Bei schlechtem Wetter verbrachte ich dort die Nachmittag und las an meinem Lieblingstisch direkt am Fenster zum Schulhof. Natürlich empfahl sie mir auch „Moby Dick“. Zum Glück las ich diesen Roman aller Romane BEVOR ich den (ebenfalls wunderbaren) Film sah. Mich hat dieses Buch mehr beeindruckt als „Lederstrumpf“, „Robinson Crusoe“ und alles von Jack London…
Henry Miller – Stille Tage in Clichy: Mein erster Miller fiel mir mit 13 in die Hände und machte mich mit der geschriebenen Pornografie vertraut. Obwohl aber „Stille Tage in Clichy“ auch jede Menge Stellen enthält, hat es mich ein paar Jahre später viel mehr durch diesen anderen, antibürgerlichen Lebensstil der Protagonisten beeindruckt; im Gegensatz zu den anderen Miller-Romanen lese ich diesen regelmäßig wieder. Und die Verfilmung ist auch klasse.
John Irving – Das Hotel New Hampshire: Irgendwann in den frühen Neunzigern entspann sich ein Austausch von Lesetipps am damaligen Düsseldorfer IT-Stammtisch; es war wohl Michael Althaus, der den Irving empfahl. Ich las zuerst die „Mittelgewichtsehe“ und danach alles, was dieser kleine, eitle Mann verzapft hat, auch wenn es – wie in den letzten Jahren – oft nicht gut war. Aber „Das Hotel New Hampshire“ und auch „Garp“ sind fest in meinem Leseherz verankert; zumal beide Romane auch sehr ansprechend verfilmt wurden.
Philippe Djian – Betty Blue – 38° am Morgen: Mehr aus Zufall stieß ich um 1990 herum auf „Erogene Zone“ und war vom wilden Stil dieses Franzosen sofort gefangen. Auch von diesem Autor habe ich alles gelesen, aber an „Betty Blue“ kommt nichts heran; leider hat bei mir der Film inzwischen das Buch überdeckt, sodass ich es demnächst noch einmal lesen werde.
Mark Twain – Tom Sawyer und Huckleberry Finn: Dieses wunderbare Buch des genialen Schriftstellers empfahl uns seinerzeit unser Englischlehrer am Leibniz-Gymnasium, Herr Reich. Ich habe den Tom Sawyer sicher zehn-, zwölfmal gelesen, auch im Original. Diesen Roman als Kinderbuch zu bezeichnen, ist eine Unverschämtheit!
Harriet Beecher-Stowe: Onkel Toms Hütte: Dies wieder eine Anregung meiner Stadtbücherei-Leiterin. Literarisch eher von zweifelhafter Qualität hat es doch mein Bewusstsein für die Ungerechtigkeit jeder Form von Rassismus geweckt. Ging meinen Kindern, denen ich es vorlas, auch nicht anders.
Michel Houllebecq – Elementarteilchen: Das war ja eine Bestseller, und jeder hat was dazu gesagt oder geschrieben. Mich hat dieser Roman erschüttert; die ganze zweite Hälfte las ich 2001 auf der Busrückreise vom Firmenwochenende in Quedlinburg, und der Text löschte jede Erinnerung an diese Tage mit Fress und Sauf und Spiel komplett aus. Wie es der Zufall wollte, klappte ich das Buch exakt in dem Moment zu, in dem der Bus anhielt, um uns rauszulassen. Bis heute bin ich mir nicht sicher, ob dieser komische Typ, der seine Gitanes immer zwischen Mittel- und Ringfinger hält, nicht bloß ein zynischer Scharlatan ist.
Valdimir Nabokov – Lolita: Ebenfalls in ganz jungen Jahren in der Bibliothek gelesen – und natürlich nicht verstanden. Erst später habe ich mir die ganzen Feinheiten dieses umwerfenden Romans (der leider immer auf die pädophile Ebene reduziert wird) erschließen können. Und dann habe ich Nabokob komplett verzehrt; man muss sich immer vor Augen halten, dass er in Englisch schrieb, einer Sprache, die erst mit über 30 lernte, und zwar durch Lesen von Zeitungen und Klassikern.
John Steinbeck – Straße der Ölsardinen: Muss – wie oben schon geschrieben – unbedingt zusammen mit seinem zweiten Teil gelesen und verstanden werden. Und dann ist es ein leichter, fröhlicher Roman voller Lebenslust, verrückter Charaktere und eigenwilliger Situationen in einer sterbenden Industriestadt am Pazfik.
Irmtraud Morgener – Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz: Warum auch immer hatte ich mich im Herbst 1981 während des Germanistik-Studiums für ein Seminar zur DDR-Literatur eingetragen, bei dem es exemplarisch um diesen Roman der heute fast vergessenen, wunderbaren Autorin Irmtraud Morgener ging. Die hatte über lange Jahre immer unter der Zensur zu leiden und montierte einen kompletten Roman („Rumba auf einen Herbst“), der nicht erscheinen durfte in diesen scheinbaren Historienroman hinein. Aber da sind noch mehr Ebenen, Wendungen und Elemente, die zu einem amüsanten Text zusammenkommen, der eigentlich von der Rolle der Frauen in der DDR erzählt.
Günter Grass – Die Blechtrommel: Verrückt, aber wahr: Diesen riesengroßen Roman habe ich mit fünfzehn gelesen. Was heißt: gelesen – durchgearbeitet habe ich mich! Schon in der Eingangszene wurde mir klar, dass das Ding was mit mir zu tun hatte. Und als dann der Düsseldorf-Teil kam, war ich nur noch gefesselt. Mein damaliger Deutschlehrer (dessen Name ich vergessen habe) war entsetzt und erklärte Grass zum Pornografen. Ich mochte auch die Verfilmung, wobei ich immer wieder hoffe, dass der zweite Teil eines Tages vielleicht auch mal ins Bild gesetzt wird.
Martin Walser – Anselm Kristlein-Trilogie: Walser mochte ich von Anfang an sehr gern. Ich glaube, es waren die „Ehen in Phillipsburg“, die mir als erstes in die Hände fielen. Aber über die drei Romane rund um die Lusche Kristlein kann ich mich immer und immer wieder amüsieren. Das ist Erzählkunst auf hohem Niveau, mit viel Witz und vor allem jeder Menge Zeitgeist der 60er-Jahre.
T.C. Boyle – Grün ist die Hoffnung: Das war ja komisch, dass die ersten beiden Romane dieses tollen Schreiberlings zuerst nur bei Zweitausendeins zu haben waren. Ich bestellte beide, kam mit „Wassermusik“ nicht zurecht, liebte aber „Grün ist die Hoffnung“ sofort. Die Arbeitsweise und den Stil von Boyle verehre ich, auch wenn nicht alle seine Romane wirklich gelungen sind. Ich hatte das Glück, ihn auf der Frankfurter Buchmesse 1996 kennen zu lernen und ganz friedlich mit ihm ein halbes Stündchen zu fachsimpeln – ein extrem sympathischer Typ!
Tom Robbins – Panaroma: Ich verstehe nicht, weshalb dieser Autor in Deutschland so wenig geschätzt wird. Denn der ist nicht nur ein riesengroßer Erzähler und Romanbauer, sondern einer, der auch Werte vertritt. Robbins ist nach eigenem Bekunden immer Hippie gewesen und hat mit seinem Hang zum Esoterischen immer auch den Weltgeist gesucht. Dabei sind unglaublich vielschichtige und trotzdem unterhaltsame Romane entstanden – „Panaroma“ ist so voller Einfälle und Zusammenhänge, dass sich das kaum beschreiben lässt. Es sei denn, man schreibt einen Roman…
George Orwell- 1984: Ich las diesen Roman des Jahrhunderts zuerst im Original, weil wir ihn im Englischunterricht bei Dieter Bergsch durchnahmen. Mich hat das Werk sofort gefangen – und zwar nicht nur wegen seiner politischen Relevanz. Das Thema ist nämlich in erster Linie der Missbrauch von Sprache, das Unwissen über die Bedeutung von sprachlicher Genauigkeit und die Wehrlosigkeit der schlecht Informierten. Gilt heute alles immer noch.
Albert Camus – Der Fremde: Bei der Prüfung im Fach „Philosophie“ wollte ich es mir leicht machen und wählte Epikur und Camus, weil beide nicht so sehr viel geschrieben haben. Es war Camus‘ „Mythos des Sisyphos“, der mich aufweckte, er mir einen ganz natürlich Weg zum Verständnis des Existenzialismus lieferte und zu allem Überfluss mein Leitbild festschriebe. Aber als literarischer Text steht „Der Fremde“ weit über allem, was andere Existenzialisten, Sartre inkluisve, je geschrieben haben.
Harry Mulisch – Die Entdeckung des Himmels: Nein, es ist nicht der Blitz, der den Protagonisten beim Scheißen trifft, aber ein Meteor, der vom Himmel fällt. Bis das passiert, entwickelt sich eine vielfach verschlungene Familiengeschichte, die zeigt, das alles – das Irdische und das Himmlische – unlösbar miteinander verbunden sind. Gelesen habe ich den Roman, als er in den Bestsellerlisten stand. Noch einmal gelesen habe ich ihn vor ein paar Jahren im niederländischen Original.
Janwillem van de Wetering – Die Katze von Brigadier de Gier: Nein, ich bin kein Krimileser. Schon gar nicht nachdem ich Sjöwall/Wahlöö und eben die Wetering-Dinger gelesen habe. Gerade der Niederländer, der erst ehrenamtlicher Kriminalpolizist in Amsterdam war und dann viele Jahre als Zen-Adept in Japan. Kanada und den USA gelebt hat, wird immer mein Vorbild in diesem Genre bleiben. Außerdem sind diese Romane pures Zen.
Jonathan Swift: Gullivers Reisen: Komischerweise hatten wir dieses Buch nicht nur zuhause im Schrank, sondern es wurde uns als besonders geeignet für lesende Kinder angedient. So habe ich den Gulliver beim ersten Mal als Abenteuerroman gelesen. Später – ich wusste mehr – habe ich den satirischen, gesellschaftskritischen Gehalt kapiert. Aber eigentlich kann man diesen tollen Roman auch immer als verrückte Geschichte lesen.